In Kroatien wächst die Angst vor einem Rechtsruck

Was juckt uns die EU?

Viele Kroatinnen und Kroaten sind den Nationalismus der neunziger Jahre leid. In den vergangenen Jahren konnten Sozialdemokraten, Linke und soziale Bewegungen Fortschritte erzwingen. Doch die Rechten werden wieder populärer und nutzen den EU-Beitritt und die wirtschaftliche Misere, um alte Feindbilder zu erneuern.

Menschen aus ganz Europa flanieren auf der zwei Kilometer langen Stadtmauer Dubrovniks, die die Altstadt an der Adriaküste umgibt. Die Mauer gilt als die am besten haltene Befestigung des Mittelmeerraumes. Autos dürfen hier nicht fahren, nichts soll die Idylle trüben. Abgesehen von einigen Mahnmalen zeugt nichts mehr vom Bombardement durch serbische und montenegrinische Truppen zu Beginn des Kroatien-Kriegs 1991. Man kann allerdings nicht vom Flughafen aus nach Dubrovnik hereinfahren, ohne auf der Autobahn an einem riesigen Plakat vorbeizukommen, das General Ante Gotovina zeigt, der trotz seiner Kriegsverbrechen als Held gefeiert wird (Jungle World 50/2012). Auf einem anderen Plakat unweit von Dubrovnik prangt sein Gesicht mit den Worten »Willkommen im Lande Ante Gotovinas«. In den neunziger Jahren bildete ein extremer Nationalismus die ideologische Grundlage der jungen Adria-Republik. Kroate zu sein, bedeutete vor allem bedingungslosen Patriotismus, Ablehnung von Minderheiten und die Akzeptanz von nationalistischem und erzkatholischem Gedankengut, welches sich oftmals positiv auf das klerikalfaschistische Ustascha-Regime bezog. Doch viele Kroatinnen und Kroaten wollen nicht mehr in ­einem solchen Land leben, so spricht die Schriftstellerin Daša Drndić vielen aus der Seele, wenn sie sagt: »Auch heute noch leben viele Kroaten mit der Lüge, dass Ante Gotovina das Land befreit habe. Wir müssen die Menschen mit der Lüge konfrontieren, in der sie es sich gemütlich gemacht haben. Wenn die Kroaten ihre Vergangenheit leugnen und schönreden, dann ist das schlecht für ihre Zukunft.«
Tatsächlich hat sich die politische Lage in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt. Sozialdemokraten, Liberale und weiter links stehende Parteien und Bewegungen haben es geschafft, die rechte Hegemonie zu brechen, und betreiben seither eine Politik, die mit der anderer Mitte-Links-Koalitionen in Europa vergleichbar ist. Diese Politik ist kritikwürdig, aber anders als bei der Rhetorik der Rechten hat man wenigstens das Gefühl, im 21. Jahrhundert angekommen zu sein. Selbst die rechtspopulistische HDZ, die lange Zeit die Politik in Kroatien dominierte, verlor mit ihren nationalistischen Parolen an Zustimmung. Die Partei rückte, auch auf Druck der EU, weiter in die Mitte. Doch im Zuge des EU-Beitritts mehrten sich wieder Stimmen von Rechten und Rechtsex­tremen, die die EU als »Völkergefängnis« bezeichnen. Ein Begriff, der zuvor exklusiv für Jugoslawien verwendet wurde. Bei den Europawahlen Mitte April wurde die HDZ knapp vor den Sozialdemokraten wieder stärkste Fraktion. Somit sitzen nun sechs Abgeordnete der HDZ im Europaparlament. Fünf Sitze gingen an die Sozialdemokraten und ein Sitz an die Arbeiterpartei »Laburisti«.

Allerdings sollte man diese Ergebnisse nicht als repräsentativ ansehen, denn die Wahlbeteiligung lag bei lediglich 20,8 Prozent. Gerade mal 780 000 von 3,7 Millionen Wahlberechtigten nahmen an der Europawahl teil. Bei dem Referendum zum EU-Beitritt Anfang 2012 hatten immerhin noch 43,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Davon machten 68 Prozent ihr Kreuz für den EU-Beitritt, der nun am 1. Juli stattfinden wird. Es wäre jedoch ein Fehlschluss, zu meinen, dass die Bevölkerung sehnsüchtig auf den Beitritt wartet. Die Arbeitslosenzahlen steigen und die Absatzmärkte brechen weg, weil die größten Abnehmer kroatischer Waren sich ebenfalls in der Krise befinden. Zudem machen sich in der Bevölkerung Ängste breit, dass kroatische Produkte, insbesondere landwirtschaftliche Erzeugnisse, nicht den europäischen Standards entsprechen und auf dem europäischen Markt nicht konkurrenzfähig sein könnten.
Ansonsten wird Kroatien in Etappen ein ähnliches Austeritätsregime aufgezwungen wie anderen südeuropäischen Staaten. Der bitter notwendige Kampf gegen Korruption führt nicht zuletzt dazu, dass Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor eingespart werden. Zusätzlich wird der Arbeitsmarkt liberalisiert und die Macht verschiebt sich weiter von Seiten der Arbeit auf die Seite des Ka­pitals. Derzeit ist das Durchschnittseinkommen in Kroatien etwa so hoch wie in Ungarn und somit deutlich höher als in Rumänien und Bulgarien. Dass sich noch relativ viele Kroatinnen und Kroaten von ihrer Arbeit ein menschenwürdiges Dasein leisten können, wird ihnen von Seiten einzelner EU-Staaten, insbesondere Deutschland, als Wettbewerbsnachteil angekreidet. Derzeit sinken die Reallöhne, und auch der EU-Beitritt wird daran vorerst nichts ändern. Abgesehen von radikalen Positionen scheint allerdings keine extrem antieuropäische Stimmung zu herrschen, vielmehr muss man wohl konstatieren, dass der EU-Beitritt den meisten Bürgern ziemlich egal ist, weil sie glauben, dass es ohnehin nicht in ihrer Macht liege, etwas gegen die wirtschaftliche Misere auszurichten. Forderungen der EU könnten jedoch in Zukunft zu Massenprotesten führen, sowohl von progressiven als auch von reaktionären Kräften.
Die Touristen in Dubrovnik stört das alles wenig. Sie genießen den Blick aufs Meer und die Altstadtidylle. Der Tourismus macht etwa ein Fünftel des kroatischen Bruttoinlandsprodukts aus und wegen der Krise ist die Tendenz steigend. Zudem kommen immer mehr Besucher, was europafreundliche Politiker auf den baldigen EU-Beitritt und die Anpassung an die europäischen Standards zurückführen. In Wahrheit sind die Aufstände in den arabischen Ländern wohl der Hauptgrund dafür, dass die Schuldenquote Kroatiens noch nicht exorbitant gestiegen ist, weil derzeit viele Westeuropäer einen Besuch an der Adria einem in Tunesien oder Ägypten vorziehen. So wichtig der Tourismus für Kroatien auch ist, adäquate Arbeitsplätze für junge, gut ausgebildete Akademikerinnen und Akademiker schafft die Branche nur wenige. Deni, ein 25jähriger Wirtschaftswissenschaftler, sagt, was viele junge Kroatinnen und Kroaten denken: »Ich bin in der Nähe von Dubrovnik aufgewachsen und mag es sehr gerne, aber ich finde keinen Job, und nach dem Studium habe ich keine Lust mehr, weiterhin als Kellner zu arbeiten. Ich hoffe natürlich, dass sich die Situation verbessert, aber ich glaube nicht wirklich daran.« So ähnlich ergeht es vielen anderen Menschen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt derzeit bei 43 Prozent – das ist vergleichbar mit Portugal und Italien, aber immer noch besser als in Spanien und Griechenland –, wobei die, die einen Job haben, meist schlecht bezahlt werden und keine bessere Stelle finden. Viele junge Kroatinnen und Kroaten erhoffen sich von der EU-Mitgliedschaft in erster Linie Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt. Dieser wird ihnen aufgrund von verschiedenen Beschränkungen jedoch vorerst erschwert.

Wer nach Zagreb kommt, befindet sich längst in Europa. In der 800 000-Einwohner-Stadt wird ein Drittel des kroatischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet. Auf dem Ban-Jelačić-Platz trifft sich die wohlhabende Mittelschicht des Landes. Der Eindruck wird verstärkt durch den Schriftzug »Konzum« im Hintergrund der Reiterstatue des Feldherrn. Zagreb ist grün, die Infrastruktur funktioniert und die Stadt erscheint an vielen Stellen besser renoviert als Berlin und andere euro­päische Hauptstädte. Extreme Armut ist eine Randerscheinung, die aus dem Zentrum der Wirtschaftsmetropole verlagert wurde. Die Armut ländlicher Regionen scheint weit entfernt.
In Kroatien hatte sich die Konstellation einer Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Partei gerade erst etabliert, doch nun entbrennt ein Kulturkampf und die Parteien entwickeln wieder klare rechte und linke Positionen. Zum Beispiel zur gleichgeschlechtlichen Ehe.
Die Aufklärung schien nicht nur die Rechten, sondern auch die Schulen zu erreichen. Zu Beginn des vergangenen Schuljahres wurde ein Pflichtfach zur Gesundheitserziehung eingeführt, dazu gehört vor allem die Sexualerziehung. Dort sollte auch über Homo-, Bi- und Transsexualität informiert werden. Die katholische Kirche in Kroatien lief Sturm gegen den neuen Lehrplan. Unter anderem auch deshalb, weil der Unterricht »zur Homosexualität erzieht und gegen die natürliche und gewollte Ehe zwischen Mann und Frau ankämpft«, wie Bischof Mile Bogović formulierte. Mit diesem Thema haben die Parteien in Kroa­tien versucht, ihr liberales, linkes oder rechtes Profil zu schärfen. Während sich jahrelang alle größeren Parteien der politischen Mitte genähert haben, ermöglicht es das Thema Homosexualität, wieder klar zwischen einer Linken und einer Rechten zu unterscheiden. Das kroatische Verfassungsgericht schlug sich auf die Seite der Reaktionäre und verbot Mitte Mai in einem fragwürdigen Urteil den Unterricht.
Möglicherweise muss sich das Verfassungsgericht bald noch mit einer anderen Klage befassen. Die derzeitige Regierung denkt laut über die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe nach, wogegen die Kirche, konservative Kräfte, aber auch Rechtsextreme eifrig mobilisieren. In den vergangenen zwei Monaten sammelte die Bürgerinitiative »Im Namen der Familie« Unterschriften. Die Ehe soll nach dem Willen dieser Gruppe in der Verfassung so definiert werden, dass sie nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden kann. Um ein Referendum zu erzwingen, müssen 400 000 Unterschriften gesammelt werden, die Bürgerinitiative hat bereits 750 000. Eine beachtliche Zahl in einem Land mit 4,5 Millionen Einwohner.
Auch Minderheiten wie Serben und Roma klagen immer häufiger über Diskriminierung. Vor allem bei ihnen wächst die Angst vor einem Rechtsruck in Kroatien. So erklärt Karla Horvat-Crnogaj von Queer Zagreb: »Es macht keinen Sinn mehr, über den Beitritt zu diskutieren. Es gibt keine Alternative zum EU-Beitritt, nun geht es darum, darüber nachzudenken, welche Probleme wir in Zukunft haben werden. Es gibt einen Rechtsruck, gegen den wir vorgehen müssen.«
In welche Richtung es für die Kroatinnen und Kroaten geht, ist derzeit nicht absehbar. Es bleibt zu hoffen, dass es keine ähnliche Entwicklung wie im nördlichen Nachbarland Ungarn geben wird und dass es nicht zu homophoben Massenaufmärschen wie in Frankreich kommt. Dabei zeigen die Probleme in Kroatien vor allem eines: Das Land befindet sich in der Krise, und dazu passt der EU-Beitritt ganz gut.