Die Folgen der Geldpolitik der US-Notenbank

Der nächste Schock

Bereits die Ankündigung der US-Notenbank, die Dollarschwemme demnächst zu beenden, hat weltweit mehrere Billionen US-Dollar an Kapital vernichtet. Daran, dass das der Beginn einer Entwertung im großen Stil sein könnte, glaubt aber offenbar noch niemand.

Als unumgängliche »Bedingung der Selbsterhaltung« der bürgerlichen Produktionsweise in ihren Krisen hat einst Karl Marx die »gewaltsame Vernichtung von Kapital« bezeichnet, um die Profitabilität der Investitionen nach der Entwertung überakkumulierten Kapitals und dem Abbau von Überkapazitäten in der Produktion wieder zu gewährleisten. Seit der Nachkriegsaufschwung zu Beginn der siebziger Jahre an sein Ende kam und die USA sich gezwungen sahen, das Bretton-Woods-System der festen Wechselkurse aufzukündigen, haben die Regierungen der Industrieländer allerdings überwiegend versucht, den Aufschwung durch die immer stärkere Ausdehnung des Kredits zurückzuholen – und damit die Krise immer weiter hingezogen. 2007 schließlich hatten die fiktiven Vermögenswerte als Vorgriff zukünftiger Wertproduktion das 15fache des Welt­sozialprodukts angenommen, was letztlich unhaltbar ist. Diese börsenkeynesianischen Therapien, folgerte der marxistische US-Ökonom Robert Brenner in seiner Studie »Boom and Bubble« am Beispiel der USA, hätten »eine Verabreichung der bitteren Medizin der Rezession oder sogar der Depression« verhindert, die »historisch immer erst den Weg für einen neuen Aufschwung freigemacht hatte«.
Gelegentlich musste aber doch ein wenig Druck aus der Blase genommen werden. Das war bereits 1979 der Fall, als der gerade zum Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) beförderte Paul Volcker den Leitzins für den US-Dollar innerhalb kürzester Zeit auf 21 Prozent im Jahr 1981 verdreifachte und so die nach ihm benannte Schocktherapie verordnete. Die Folge dieser drastischen Erhöhung des allgemeinen Zinsniveaus war neben dem erwünschten Ende der Inflation des US-Dollars – diese hatte bei Volckers Amtsantritt noch bei fast zwölf Prozent gelegen – ein weltweiter Einbruch der Investitionen. Das führte selbst in den USA zu einem Rekord an Firmenpleiten und zum Platzen der ersten großen Immobilienblase. Die Verschuldungskrise in Dutzenden Ländern der kapitalistischen Peripherie fand im Staatsbankrott Mexikos ihren deutlichsten Ausdruck. Erneut geschah dies im Februar 1994, als Volckers Nachfolger, Alan Greenspan, wegen der »unakzeptablen Probleme für die Zukunft« der seit 1987 betriebenen Politik des billigen Geldes und der damit verbundenen Blasenbildungen den Zinssatz erhöhte und so den Fall der aufstrebenden Ökonomien in Lateinamerika (»Tequilakrise«) und Südostasien hervorrief.

Jenseits dieser kurzen Schocktherapien aber reagierte die Fed, der durch die globale Leitwährungsfunktion des US-Dollars die entscheidende währungspolitische Rolle zukommt, auf alle Krisenerscheinungen seit den siebziger Jahren stets mit einer Ausdehnung der Geldmenge. Dies galt nicht nur für die ersten Jahre nach der Bretton-Woods-Ära, sondern auch 1987, als der seit 1929/30 größte Einbruch an der Wall Street fast 30 Prozent der Vermögenstitel innerhalb einer Woche vernichtete. Gleiches geschah 1998 nach der Asien-Krise, 2001 nach dem Platzen der New-Economy-Blase und erst recht seit Ausbruch der Finanzkrise. Die vom Präsidenten der Fed, Ben Bernanke, vorgenommene Senkung des Leitzinses von 4,75 Prozent im Jahre 2007 auf
0 bis 0,25 Prozent im Jahre 2008, der bis heute gilt, flutete den Markt mit Massen an billigem Geld und wurde durch die sogenannte quantitative Lockerung, den Aufkauf von US-Staatsanleihen, verstärkt. Zuletzt stieg diese Summe auf 85 Milliarden Dollar pro Monat.
Zumindest mit dem Kauf von Staatsanleihen könnte aber bald Schluss sein. Ein halbes Jahr vor dem voraussichtlichen Ende seiner Amtszeit hat Bernanke im Anschluss an die turnusmäßige Zinssitzung der Fed am 19. Juni verkündet, ab Herbst eventuell das Volumen der quantitativen Lockerung (quantitative easing) zu reduzieren. Der Zinssatz soll aber bis auf Weiteres auf dem jetzigen Niveau bleiben. Wie fragil die Weltwirtschaft derzeit ist, zeigt sich daran, dass selbst eine solch vorsichtige Formulierung mit einem einzigen Schlag Billionen US-Dollar an Kapital vernichten kann. Allein am Aktienmarkt lösten sich nach den Äußerungen 2,2 Billionen US-Dollar in Luft auf und an den Renten- und Rohstoffmärkten verschwand fast eine weitere Billion. Selbst der stabile Deutsche Aktienindex (Dax) stürzte am Tag nach Bernankes Äußerungen um 3,7 Prozent ab, dem Dow Jones erging es ähnlich. Japans Index Nikkei gab um annähernd sieben Prozent nach.
Wie schon beim »Volcker-Schock« traf es aber auch diesmal vor allem die Schwellenländer. Neben den Einbrüchen an den dortigen Börsen, die dem Emerging Markets Bond Index der Investmentbank JP Morgan zufolge binnen kurzer Zeit ein Minus von durchschnittlich 7,4 Prozent verzeichneten, stiegen auch die Zinsen für Staatsanleihen der Türkei, Brasilien, Indien, Südafrika und vieler weiterer Länder um teilweise über drei Prozent. Zudem werteten die meisten Währungen stark ab, was die Importe für in den vergangenen Jahren expandierende Ökonomien verteuert. Vor diesem Anstieg der Refinanzierungskosten hatte Weltbankchef Jim Yong Kim unmittelbar vor der Rede Bernankes aufgrund aufkommender Gerüchte gewarnt.

Noch schlimmer dürften sich langfristig die Kapitalabflüsse in die USA auswirken. Die Renditen für US-Staatsanleihen stiegen seit Mai, als erste Gerüchte über eine strengere Währungspolitik aufgekommen waren, von 1,7 auf derzeit 2,3 Prozent. Das könnte den Prozess seit 2008 umkehren, in dem immer mehr Kapital auf der Suche nach höheren Renditen in expandierende Nationalökonomien wie die Türkei und Brasilien und der die Booms in diesen Ländern mit ausgelöst hatte. Experten gehen von etwa vier Billionen US-Dollar an derartigen Kapitalflüssen in den vergangenen drei Jahren aus. Nun müssen die Zentralbanken der jeweiligen Länder entweder das Zinsniveau erhöhen und sich damit höher verschulden oder mit fehlenden Investitionen oder wachsender Inflation rechnen. Gegenüber der Londoner Tageszeitung Telegraph sprach ein anonymer Finanzanalyst der Société Générale von einer kommenden »Explosion der Märkte in den Schwellenländern«, die dann »wie Dominosteine« fallen könnten. Auch der Chefökonom der Investmentbank Morgan Stanley, Joachim Fels, warnte bereits vor einem »erheblichen Schaden für die Weltwirtschaft« und erinnerte an die dramatischen Folgen zu Beginn der achtziger Jahre.
An die Verheerungen des Volcker-Schocks wurde von vielen Ökonomen erinnert. Angesichts der geringen Inflation in den USA von deutlich unter zwei Prozent, ein Unterschied zur Situation Ende der siebziger Jahre, sprach Christine Lagarde, die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), davon, dass es »keinen Grund für einen schnellen Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik« gebe. Sie schloss sich damit der von Bernanke vor allem in seinen wissenschaftlichen Forschungen zur Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre vertretenen Auffassung an, dass eine langfristig angelegte expansive Geldpolitik die Depression hätte verhindern können. Diese Ansicht war auch die Grundlage für Bernankes Politik an der Spitze der Fed in den vergangenen Jahren gewesen. Gut möglich aber, dass ihm nun erste Zweifel gekommen sind. »Bernanke will nicht als Greenspan in die Geschichte eingehen, der bis heute als Mann der Spekulationsblasen gilt, sondern als neuer Paul Volcker«, meint etwa Lena Komileva, Geschäftsführerin der Investmentberater von G-plus Economics in London.

Vor dem Hintergrund der von Deutschland dominierten Austeritätspolitik in Europa, den zuletzt erfolgten Verknappungen der Geldmenge der chinesischen Regierung, der von vielen konstatierten Inflationsgefahr in den USA, der Entwicklung der Fed zu einer Bad Bank des internationalen Kapitals und der Möglichkeit, einen Teil des Entwertungsdrucks in die Schwellenländer zu transferieren, erscheint die Entscheidung zumindest irgendwie folgerichtig. Dass Bernankes Ankündigung aber tatsächlich das Ende der fiktiven Kapitalschöpfung durch die Währungshüter der Zentralbanken bedeutet, darf bezweifelt werden. Zwar wird die Entwertung des fiktiven Kapitals zwangsläufig irgendwann anstehen, aber angesichts der Verwerfungen, die bereits eine Pressekonferenz anrichten kann, wird wohl auch Bernanke die Verantwortung für Prozesse scheuen, gegen die Volckers »abgefeuerte Elektroschockpistole« (Naomi Klein) wie ein Kinderspielzeug aussehen dürfte. Nur ein wenig Dampf aus dem Kessel zu lassen, wird in absehbarer Zeit nicht mehr ausreichen. Vermutlich wird die folgende gigantische Schocktherapie dann aber den Namen eines Nachfolgers Bernankes tragen. Zwar könnte Bernanke nach dem 31. Januar 2014, dem Ende seiner Amtszeit, noch für eine weitere Periode ernannt werden, US-Präsident Barack Obama hatte aber zuletzt angedeutet, einen Nachfolger noch im Sommer benennen zu wollen.