Umstrittene betriebliche Abkommen in Frankreich

Ärger mit den Boches von Bosch

Die sozialdemokratische Regierung Frankreichs hat betriebliche Abkommen legalisiert, die Tarifverträge brechen.

»Halt dei’ Gosch, du schaffschd beim Bosch« – diese Devise gilt nicht nur im Schwäbischen. Auch die französischen Filialen des in Stuttgart ansässigen Maschinenbaukonzerns sind seit einigen Jahren führend beim Abbau von Beschäftigtenrechten. Die Filiale von Bosch in Vénissieux nahe Lyon machte im Frühjahr 2004 den Anfang. Die damals erprobte Methode war ebenso neu wie illegal. Unter der Drohung, dass die Arbeitsplätze andernfalls in die Tschechische Republik verlagert würden, stimmten zwei der dort vertretenen Gewerkschaften einem Abkommen zu, das die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich über die gesetzlich geltende hinaus erhöhte, also die Überstundenzuschläge abschaffte. Dieses Abkommen war damals gesetzeswidrig.
Doch seit Mai dieses Jahres erlaubt es das Gesetz, »zur Sicherung von Arbeitsplätzen« Vereinbarungen zwischen Unternehmensleitung und Gewerkschaften abzuschließen, die entweder die Löhne unter das im Flächentarifvertrag vereinbarte Niveau senken oder aber die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich erhöhen. Die konservative Regierung unter Nicolas Sarkozy hatte im Januar 2012 angekündigt, dem von ihr so genannten »Abkommen zur Wettbewerbsfähigkeit« in den Betrieben gesetzlich den Weg ebnen zu wollen. Die damals oppositionelle Sozialdemokratie protestierte heftig, auch im Wahlkampf, verabschiedete nun jedoch selbst ein solches Gesetz.

Erstmals wird ein Verzichtsabkommen nun die Gerichte beschäftigen. Am 5. Juli reichte die CGT in Nanterre eine Klage gegen eine solche Vereinbarung beim Automobilbauer Renault ein, die von dem Gewerkschaftsverband als illegal betrachtet wird. Das Abkommen war im März, noch vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes, geschlossen worden und könnte deswegen ungültig sein.
Neben Renault hat sich in der Zwischenzeit erneut Bosch bei der Verschlechterung der Bedingungen für die Lohnabhängigen hervorgetan. An seinem Standort im südfranzösischen Rodez wurde im Mai, kurz nach Veröffentlichung des neuen Gesetzes im Amtsblatt, eine Vereinbarung für Arbeitszeiterhöhung ohne Lohnausgleich abgeschlossen. Am 29. Mai besuchte Präsident François Hollande genau diesen Standort, während die konservative Tageszeitung Le Figaro am selben Tag »Bosch, das Symbol der Flexibilität in Frankreich« feierte. In Rodez gab es wenig Widerstand gegen die Vereinbarung, die unter anderem von den linken Gewerkschaften SUD und CGT unterzeichnet wurde, »um Arbeitsplätze zu retten«. Dennoch war Hollande misstrauisch und ließ sich im Hubschrauber auf dem Werksgelände absetzen, um eine Begegnung mit Protestierenden zu vermeiden. Eine wesentlich stärkere Opposition gibt es dagegen auf den Schiffswerften in Saint-Nazaire. Dort streikten am 1. Juli Beschäftigte, aufgerufen von den Gewerkschaften CGT und FO, gegen ein geplantes ähnliches Verzichtsabkommen.

Der nächste Angriff auf soziale Rechte in Frankreich wird bereits vorbereitet. Am Ende der ersten Juliwoche begann die Regierung die »Konzertierung« über die nächste Rentenreform – nach ­jenen von 1993, 2003, 2007 und 2010. Die vorerst letzte Reform wurde im November 2010 gegen den erbitterten Widerstand von linken Parteien und Gewerkschaften verabschiedet. Damals ging es darum, die Zahl der erforderlichen Beitragsjahre von 40 auf 41,5 zu erhöhen. Jetzt soll eine weitere Anhebung auf – je nach Geburtsjahrgängen – 43 oder sogar 44 Jahre folgen. Der Protest blieb bislang verhalten. Einer Umfrage aus der ersten Juliwoche zufolge sollen sogar 53 Prozent der Bevölkerung bereit sein, auch 43 Beitragsjahre zu akzeptieren. Noch vor zehn Jahren hätten solche Zumutungen zu Massenprotesten geführt.
Zum ersten Mal seit dem Regierungswechsel haben die geplanten Änderungen in der Rentenpolitik immerhin zur Ankündigung von gewerkschaftlichem Widerstand geführt. Einige Gewerkschaften wollen am 10. September dagegen streiken und demonstrieren – während die rechtssozialdemokratische CFDT, der zweitstärkste Gewerkschaftsbund des Landes, der Regierung keinerlei Ungemach bereiten will.