Voll verrückt gefeiert

»Großartig!«, »Wunderschön!«, »Unglaublich toll!« – überall leuchtende Augen und strahlende Gesichter auf der ersten »Disability and Mad Pride Parade« am vergangenen Samstag in Berlin. Über 1 000 Krüppel, Freaks und Normalgestörte feiern »behindert und verrückt« mit Konfettiregen bei strahlendem Sonnenschein ihr Anders- und Zusammensein. Die Veranstaltung orientiert sich an dem Vorbild der jährlichen »Disability Pride Parade« in Chicago, die in dieser Woche bereits zum zehnten Mal stattfindet, und der »Mad Pride« in Toronto, die schon seit 1993 begangen wird. Es geht um die Forderung nach Selbstbestimmung statt Ausgrenzung.
Weder Ordner noch Awarenessteam haben viel zu tun, einen geordneten Demonstrationszug (im Aktivistenslang auch als »Latschdemo« bezeichnet) hat– außer der Polizei – sowieso niemand erwartet. Immer wieder hält der Hauptwagen, ein 7,5-Tonnen-Laster auf seiner Strecke zwischen Hermannplatz und Kottbusser Tor an, weil vor ihm Kinder in den Fahrradanhänger hineinklettern oder doch wieder rauswollen, Leute in ihren Rollis langsam oder im Zickzack fahren, Gruppen so ins Gespräch vertieft sind, dass sie nichts mehr mitkriegen – die Parade windet und schleppt sich, tanzt, hüpft und humpelt vorwärts. Überall Glitzer, Federboas, Verkleidungen und selbstgemalte Schilder mit Slogans wie »Pflegestufe 3 und Spaß dabei«, »Ich bin Assistent, kein Pfleger, kein Betreuer« und »Gegen Scham und Stigma« von Sexworkerinnen. Charme statt Scham – die perfekte Verbindung von Party und Protest. Am Ende ihrer Rede zertritt die Hauptrednerin Theresia Degener, Professorin für Disability Studies und »Veteranin der Krüppelbewegung«, mit einem gekonnten karatemäßigen Kick ein Brett mit der Aufschrift »Terror der Normalität«. Das Publikum bricht in Jubel aus und man hat das Gefühl, dass es tatsächlich möglich sein könnte, diesen Terror nicht nur für einen Tag an diesem Ort zu durchbrechen.