Ein »Büro für Häuserbesetzungen« in Barcelona

Gut beraten gegen das Gesetz

In Barcelona organisiert das »Büro für Besetzung« Häuserbesetzungen. Noch immer gibt es in Spanien viele Zwangsräumungen aufgrund der Krise.

In den südeuropäischen Krisenländern finden der­zeit nicht nur Massenprotesten und Streiks statt, auch neue Ansätze der Selbstorganisation und der Aneignung werden entwickelt. So gibt es viele neue besetzte und selbstverwaltete Betriebe, Kooperativen, Kindergärten und soziale Zentren. Besondere Aufmerksamkeit hat in Deutschland die spanische Bewegung der Indignados (Empörte) erhalten, deren Anhängerinnen und Anhänger in vielen Städten Spaniens Plätze besetzten und Demonstrationen organisierten. In Andalusien kam es im vorigen Jahr zu Landbesetzungen, die die Versorgung mit dem Nötigsten durch selbstbestimmte Arbeit zum Ziel hatten (Jungle World 15/2012). Die »Plattform der Hypothekenbetroffenen« (PAH) sorgte durch Verhinderung von Zwangsräumungen für internationales Aufsehen (Jungle World 11/2013). Anfang April besetzte die PAH mit Unterstützerinnen und Unterstützern 40 Wohnungen in Sabadell (Barcelona), die der Bank Caixa Penedès gehörten und seit ihrer Fertigstellung leerstanden. Unter dem Motto »Recht auf Wohnraum« zogen dort Familien ein, die von Zwangsräumungen betroffen waren. Es folgten mehrere ähnliche Aneignungen. Auch in Berlin wurden Zwangsräumungen seit Anfang des Jahres politisch skandalisiert, teilweise blockiert und verhindert. Bei allen Unterschieden der Situation in den verschiedenen Ländern schien man nun eine gemeinsame Praxis zu haben.

Besonders in Barcelona sind Besetzungen jedoch nichts Neues. Die Metropole gilt seit Jahrzehnten weltweit als ein Zentrum der Besetzerbewegung und hat diesen Ruf trotz der Verschärfung der Lage in den vergangenen Jahren bisher nicht verloren. Mit der »Oficina per l’Okupació« (Büro für Besetzung) wurde seit 2004 eine Organisation geschaffen, die Besetzungen in Barcelona und anderen spanischen Städten fördert und praktisch unterstützt. In verschiedenen sozialen Zentren bieten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Büros seither Beratungen an. Dabei werden technische wie juristische Fragen geklärt, die mit den Besetzungen in Zusammenhang stehen. Es stehen gesammelte Informationen über leerstehende Häuser und über Vermieterinnen und Vermieter zur Verfügung. Über Häuser, die schon einmal besetzt wurden, ist ein Erfahrungsaustausch möglich, so dass eine Strategie entwickelt werden kann.
Zudem beteiligt sich das Büro regelmäßig an Veranstaltungen und Workshops, in denen Wohnungsprobleme, Gewalt im Zusammenhang mit Immobilienhandel, Selbstverwaltung und schließlich die Aneignung von Wohnraum diskutiert werden. Plakate und T-Shirts werden gedruckt, praktische Handbücher herausgegeben und Plattformen im Internet aufgebaut. In einem Dokumentationszentrum der selbstverwalteten Gruppe »La Cuitat Invisible« (Die unsichtbare Stadt) stehen Dossiers der verschiedenen besetzten Häuser und sozialen Zentren, Bücher, Videos, Presseartikel, graphisches Material und Angebote von Forschungsprojekten zur Verfügung. Auch über ländliche selbstverwaltete Projekte und leere Häuser wird eine Liste geführt. So können beispielsweise eher isolierte ökologische, landwirtschaftliche Projekte neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter finden. Neben der Öffentlichkeitsarbeit wolle man nun die Arbeit der Unterstützungsgruppe für Behördengänge und Gerichtstermine verstärken und in Fällen von »Immobiliengewalt« solidarisch eingreifen, so Mitglieder der Gruppe zur Jungle World.
Zu tun gibt es genug: In der katalanischen Metropole kommt es durchschnittlich zu etwa 500 Zwangsräumungen im Monat, so viele waren es im vergangenen Jahr täglich landesweit. Durch eine vor kurzem beschlossene Reform des Mietrechts wurde die Kündigungsfrist für Wohnraum auf zwei Monate reduziert. Angaben der Stadtverwaltung zufolge stehen etwa 90 000 Wohnungen leer, etwa 60 Prozent davon befinden sich im Besitz von Banken und Immobilienfirmen. 80 Prozent der Wohnungen in Barcelona sind Eigentumswohnungen. Wer zu Fuß durch die Stadt geht, kann den hohen Leerstand schnell erkennen. An vielen Häusern hängen Schilder mit der Aufschrift »zu verkaufen« oder »zu vermieten«. Neu aussehende, teilweise nicht fertiggestellte, leerstehende Wohnungen und Häuser deuten auf Zwangsräumungen oder den finanziell bedingten Abbruch der Einzugspläne hin. Vor allem viele junge Menschen können die Kredite nicht mehr tilgen und müssen zurück zu ihren Eltern ziehen. Eine Besonderheit besteht in Spanien darin, dass die Schulden bei der Bank nicht mit dem Auszug aus der Immobilie beglichen sind. Die regierende Volkspartei (PP) ignorierte im April die wichtigsten Forderungen eines Volksbegehrens, das Betroffene eingebracht hatten. Einen Schulden­erlass wird es daher auch künftig nicht geben. Immer wieder wird von Selbstmorden berichtet, die in engem Zusammenhang mit den Auswirkungen der europäischen Sparpolitik und somit auch den Zwangsräumungen stehen.

Ihre grundlegende Motivation sei sehr einfach zu beschreiben, sagt Pesatez, eine Aktivistin des Besetzungsbüros: »Wir verurteilen die ungerechte Tatsache, dass viele Gebäude leerstehen, während viele Menschen keinen Ort zum Wohnen haben.« Das Eigentumsrecht werde vom spanischen Staat in der Verfassung als fundamentales Recht angesehen, das Recht auf Wohnraum nicht. Das Büro sehen die Mitarbeiter als ein politisches und technisches Mittel zur Verbreitung und Erleichterung der Praxis des Besetzens: »Es ist eine der möglichen Formen, der allgemeinen Prekarisierung in allen Lebensbereichen entgegenzutreten. In einer Stadt wie Barcelona geht es erst einmal darum, für allgemeine Teilhabe einzutreten«, sagt Pesatez. Letztlichgehe es ihnen aber auch immer darum, sich gegen Kapitalismus und Auto­ritarismus zu wehren.
Auch wenn das Büro nicht davon sprechen mag: Seit Beginn der Krise ist das Interesse an dessen Angeboten deutlich gestiegen. Hunderte von Sprechstunden und Online-Beratungen habe es in jüngster Zeit gegeben. Im vergangenen Jahr wurden bereits drei Büros in verschiedenen Stadtteilen Barcelonas betrieben, in die jeweils mindestens fünf Gruppen von Interessierten pro Tag gekommen seien. Das Büro ist Teil politischer Netzwerke und hat auch immer wieder mit der PAH zu tun. Deren Art der Besetzung könnte man auch als »Wiedergewinnung« betrachten, da die Besetzungen der PAH meist auf gerade erst entstandene Wohnungslosigkeit folgen.
Seit 1995 werden die Besetzungen vom spanischen Staat als Straftat geahndet. Innerhalb der vergangenen Jahre hat die Stadtverwaltung in Barcelona gegen soziale Zentren eine neue, auch in Deutschland bekannte Strategie entwickelt: Es werden Polizeibeamte geschickt, die den Besetzerinnen und Besetzern mit Geldstrafen über Tausende Euro drohen, weil sie die entsprechenden Lizenzen für öffentliche Veranstaltungen nicht hätten. Deshalb allerdings eine Legalisierung der Projekte anzustreben, komme für das Besetzungsbüro nicht in Frage: »Auch wenn die Legalisierung in der Besetzerbewegung in an­deren Ländern gängig ist, auf dem Gebiet des spanischen Staates hat dies nicht häufig stattgefunden und wird als Schwächung der Bewegung angesehen«, sagt Pesatez. »Wir misstrauen dem Dialog mit Eigentümern und der Verwaltung.« Trotz aller Schwierigkeiten sind die Aktivistinnen und Aktivisten zuversichtlich: »Gut organisierte Besetzungen könnten zu einer Möglichkeit für noch viel mehr Menschen werden.« Dafür versuchen sie zu sorgen.