Zunächst muss geklärt werden, was ein Wildtier ist

Manege frei!

Ein grundsätzliches Verbot von Wildtieren im Zirkus scheitert schon daran, dass sich kaum definieren lässt, was ein Wildtier ist.
Von

Die Landesregierung Sachsen-Anhalts hat derzeit viel zu tun und viel zu klären. »Was muss bei der Beseitigung von auf Grund der Hochwasserkatastrophe verendeten Tieren, insbesondere von Wild, beachtet werden?« Das ist eine der beiläufigeren Fragen, der sie sich auf einer diesbezüglichen Website widmet. Ganz nebenbei muss sie dabei auch definieren, was ein Wildtier ist: Als »Wildtier« werden demnach »alle nicht vom Menschen gehaltenen Tiere definiert«. Wikipedia sieht’s ähnlich: »Wildtiere leben üblicherweise in der Wildnis, und sie sind – im Gegensatz zu den Haustieren – nicht domestiziert. Allgemein dient der Begriff Wildtier zur Charakterisierung von Tieren, die nicht zahm sind.«
Nun, das ist eine gute Nachricht für jene Tierschützer, die Wildtiere im Zirkus grundsätzlich verbieten wollen, denn: Es gibt gar keine Wildtiere in Zirkussen! Alle Tiere dort werden »vom Menschen gehalten« und befinden sich nicht »in der Wildnis«. Dass Tiere im Zirkus »nicht zahm« seien, kann man ebenfalls schwerlich behaupten, in ihrer Zähmung, gar ihrer Dressur besteht ja eben die Kunst jenes Gewerbes. In Sachsen-Anhalt gälten Elefanten, soweit sie in der dortigen Wildnis lebten, sicherlich als »nicht domestizierte Wildtiere«, aber dort leben sie bekanntlich nicht. In Nord-Thailand hingegen kommen Elefanten mit drei Jahren in die Schule, ihre Ausbildung dauert sieben Jahre, dabei lernen sie unter anderem Marschieren und die Holzverarbeitung, in diesem Beruf arbeiten sie später viele Jahre, in Indien steht ihnen Urlaub zu, in China erhalten sie, falls es nötig ist, eine Heroin-Entziehungskur. Mehr Domestizierung geht kaum. Oder Zebras: Einerseits gelten sie als »Wildtiere«, lassen sich schwer zähmen, auch wenn in Berlin und London im 19. Jahrhundert vereinzelt Kutschen mit Zebragespannen zu sehen waren. Andererseits sind sie natürlich auch nur Pferde – und Pferde sollen im Zirkus oder in Dressurschulen weiter ihre Kunststückchen machen dürfen. Und was, nebenbei bemerkt, ist mit den Zebroiden, den Kreuzungen aus Hauspferd und Zebra?

Das zeigt: Der Begriff »Wildtier« ist relativ. Selbstverständlich ist jede Forderung nach einer besseren, tiergerechteren Haltung von Tieren in Zirkussen zu unterstützen. Und wenn ein Zirkus dies nicht gewährleisten kann, dann muss er die Tiere abgeben. Dies ist längst Gesetzeslage. Die kann man gerne verschärfen, und vielleicht führt das dazu, dass keine Schimpansen mehr in Zirkussen, wie sie heute üblich sind, gehalten werden können – tatsächlich gibt es auch nur noch einen einzigen Zirkusprimaten in Deutschland. Gut, dann ist das so, und dann ist das richtig so. Käme man jedoch zur Feststellung, diese oder jene Tierart dürfe grundsätzlich, unabhängig von den konkreten Bedingungen, nicht von Menschen gehalten und gezähmt werden, dann beträfe dies auch Zoos, Bauernhöfe und die Heimtierhaltung.
Es geht bei der Debatte aber nicht nur um das konkrete Tierwohl. Im Spiegel offenbarte dies 2011 ein Autor, der schrieb: »Die Zurschaustellung wilder Tiere in der Manege hat in einer modernen Gesellschaft nichts verloren.« Sie sei »das Resultat eines überkommenen Denkens, das wilde Tiere für wandelnde Kuriositäten hält und nicht für Lebewesen, denen man mit Respekt begegnen sollte. (…) Wenn der klassische Zirkus tatsächlich nicht ohne reitende Löwen und Motorrad fahrende Bären auskommt – er hätte sein Ende verdient.«

Die Organisation »Vier Pfoten« argumentiert ähnlich, wenn sie meint: »Kein Elefant macht freiwillig einen Kopfstand.« Das liegt voll im Trend einer Tierschutzmodewelle, bei der es weniger um den Schutz von Tieren geht als vielmehr um den Schutz ihrer Würde, einer Würde, die der Mensch den Tieren zuvor zugesprochen hat. Doch warum sollen »Respekt« und »Würde« (war eigentlich auch schon von »Ehre« die Rede?) speziell für Wildtiere gelten? Haben Hamster keinen Respekt verdient? Ist es besser, wenn Ziegen auf Schweinen reiten und Schafe Motorrad fahren? Woher wissen jene Tierschützer, dass es für den Elefanten grausamer ist, einen Kopfstand zu machen, oder für einen Seehund, durch einen Reifen zu springen, als für einen Hund, Pfötchen zu geben, oder für einen Wellensittich, »Hallo, Lora« zu sagen? Die vermeintliche Würde des Tieres ist in Wirklichkeit nur die des Menschen, der besser damit leben kann, wenn er keine Bären auf Motorrädern in der Manege sieht. Tierschutz aber sollte die konkrete Verbesserung der Situation von Tieren im Blick haben und nicht Menschen moralisch erbauen.
Und: Ist ein Auftritt als Clown wirklich würdevoll zu nennen? Hier wäre ein Eingreifen dringlicher. Und wenn der klassische Zirkus tatsächlich nicht ohne über ihre Füße stolpernde Clowns auskommt – er hätte sein Ende verdient.