Berlin Beatet Bestes. Folge 203.

Mit Aktentasche und Gummihuhn

Berlin Beatet Bestes. Folge 203. Pensionärs Chor: Meine Welt ist der Korridor vom Arbeitsamt (1975).

Was sagt der Rockmusiker zum Jazzmusiker?« – »Zum Flughafen, bitte.« Dass es nicht leicht ist, als Jazzmusiker ein Auskommen zu finden, ist auch das Thema dieser Platte, die in den vergangenen Jahren zu den beliebtesten Singles gehörte, die ich öffentlich aufgelegt habe. Wiederholt habe ich sie auch mit zu Auktion-Destruktion-Veranstaltungen genommen. Dort werden Platten versteigert oder, wenn niemand bietet, an Ort und Stelle zerbrochen. Zerstören musste ich diese Single allerdings nie, immer wurde viel Geld dafür geboten.
Die Platte ist bei Warner erschienen, einem wirklich großen Label, und mir beim Stöbern immer wieder begegnet. Ich ging also davon aus, sie sei nicht besonders selten. Ich habe mich getäuscht, denn sie ist gnadenlos gefloppt. Mitverantwortlich dafür ist sicher das bildlose, nur aus Typographie bestehende Cover. Graphiker können so grausam sein. So wundert es auch nicht, dass das Lied nie wieder veröffentlicht wurde. Dabei zeigt die heutige Beliebtheit der Platte, dass sich Zuhörer immer noch mit dem Text identifizieren können.
»Meine Welt ist der Korridor vom Arbeitsamt/Ich fühl’ mich dort schon wie zu Haus’/Meine Chance/ist der ­dufte Swing vom ­Arbeitsamt/Ich komm’ bestimmt noch ganz groß raus.«
Der im Dixieland-Stil gehaltene Song verweist auf die musikalische Herkunft des verantwortlichen Künstlers Werner Böhm. Schon in den fünfziger Jahren war Böhm Pianist bei Cabinet Jazzmen und blieb bis Mitte der Siebziger in der Hamburger Jazzszene aktiv. Ab 1974 war Böhm, neben Gottfried Böttger und Peter Petrel, Mitglied der Rentnerband, die ebenfalls Jazz mit lustigen, modernen Texten verband. Obwohl die »echte« Jazzszene diese Blödeltruppe nicht im geringsten würdigt, gehörte die Band doch zu den letzten in Deutschland, die Jazz noch so verstanden, wie er ursprünglich gemeint war: als Tanzmusik, die sich mit Alltagsthemen beschäftigt und gern mal lustig ist.
Humor ist ja der Feind der Kunst. Dass Jazz heute zu so einer dermaßen drögen Kunstgattung verkommen ist, liegt vor allem an seiner hoffnungslosen Humorlosigkeit. Leider genügt ein Helge Schneider nicht, um das zu ändern, aber zumindest zeigt er mit seinem Erfolg den ernsthaften Jazzern eine lange Nase.
Der Text über das Arbeitsamt trägt mit Sicherheit autobiographische Züge. Und so hatte auch Werner Böhm es irgendwann satt, ein mittelloser Jazzmusiker zu sein. 1979 schnappte er sich ein schwarzweiß kariertes Jackett, eine Aktentasche und ein Gummihuhn, nannte sich fortan Gottlieb Wendehals und fing an, draufloszublödeln. Ganz groß raus kam er dann tatsächlich 1981 mit »Polonäse Blankenese«, das sich neun Wochen lang auf Platz 1 der deutschen Charts hielt. Seitdem polonäst Böhm durch die Lande. Zuletzt ist im März seine Autobiographie »Das karierte Verhängnis« erschienen. Jetzt fehlt nur noch eine Wiederveröffentlichung von »Meine Welt ist der Korridor vom Arbeitsamt«. Vielleicht als Elektro-Swing-Remix?

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.