Illegale Auslieferung durch die italienische Regierung

Ungewöhnliche Aspekte

Italien hat Angehörige eines kasachischen Oppositionellen illegal ausgeliefert. Innenminister Angelino Alfano will davon nichts gewusst haben.

Die Warnung des Staatspräsidenten Giorgio Napolitano am Vorabend der Krisensitzung im Senat war eine Anordnung: Die Regierungskoalition darf nicht in Frage gestellt werden, da Italien im Fall politischer Instabilität »irreparabler Schaden« drohe. Entsprechend dieser Weisung scheiterte der vom Movimento 5 Stelle und der linken Partei SEL am Freitag vergangener Woche gemeinsam eingebrachte Misstrauensantrag gegen Innenminister Angelino Alfano.
Drei Tage zuvor hatte Alfano vor den Parlamentskammern glaubhaft zu machen versucht, er sei über die Abschiebung der Ehefrau und der Tochter des kasachischen Oppositionellen Muchtar Abljasow nicht informiert worden. 40 Polizisten hatten Ende Mai im römischen Vorort Casal Palocco mitten in der Nacht das Haus, in dem mehrere Familienangehörige Abljasows wohnten, gestürmt, Alma Schalabajewa mit dem Vorwurf, sie sei mit einem falschen Pass illegal eingereist, festgenommen und sie knapp drei Tage später zusammen mit ihrer sechsjährigen Tochter Alua in einem von der kasachischen Botschaft angemieteten Privatjet ausgeflogen.

In dem Bericht des Polizeichefs Alessandro Pansa, aus dem Alfano in seiner Verteidigungsrede zitierte, wird der Vorfall als »gewöhnliche Ausweisung« von »eindeutiger Rechtmäßigkeit« beschrieben, der allerdings einige »ungewöhnliche Aspekte« aufweise. Weil der Minister über diese Aspekte angeblich nicht informiert wurde, musste sein Büroleiter, Giuseppe Procaccini, zurücktreten. Zweifel an Alfanos Ahnungslosigkeit ergeben sich aus den Dokumenten im Anhang des Polizeiberichts. Demnach war der kasachische Botschafter in Rom, Andrian Jelemessow, im Innenministerium vorstellig geworden und hatte darauf gedrängt, den wegen Finanzdelikten mit internationalem Haftbefehl gesuchten Abljasow in seinem mutmaßlichen Versteck in Casal Palocco festzunehmen und an Kasachstan auszuliefern. Pansa beklagt in seinem Bericht die »massive und andauernde Präsenz« kasachischer Diplomaten in den Büros der italienischen Sicherheitskräfte, betont aber, dass den Beamten weder bekannt noch aus den Daten von Interpol ersichtlich gewesen sei, dass es sich bei dem Gesuchten um einen politischen Gegner des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew handelt.

Bis Ende der neunziger Jahre war Abljasow als Energieminister ein enger Vertrauter des autokratischen Machthabers, dann schied er im Streit aus der Regierung aus und schloss sich der demokratischen Opposition an. Er wurde Chef der BTA Bank, geriet aufgrund dubioser Kreditvergaben ins Visier der kasachischen Finanzbehörde und setzte sich, nachdem die Bank 2009 verstaatlicht worden war, ins Ausland ab. Abljasow erhielt in Großbritannien politisches Asyl, sein derzeitiger Aufenthaltsort ist nicht bekannt.
Ein Überprüfungsverfahren in Rom hat die Gültigkeit von Schalabajewas Ausweispapieren bescheinigt und ihre Ausweisung widerrufen. Allerdings wurde sie unmittelbar nach ihrer Ankunft in Kasachstan unter Anklage gestellt. Am Wochenende veröffentlichte Dokumente erhärten den Verdacht, dass die italienischen Behörden nicht nur widerrechtlich Angehörige eines Dissidenten auslieferten, sondern Verschleppung und Sippenhaftung seitens des kasachischen Machtapparats unterstützt, zumindest toleriert haben. In der Tageszeitung La Repubblica wurde spekuliert, Alfano habe auf Anweisung seines Parteichefs Silvio Berlusconi gehandelt, der seinem privaten Geschäftspartner Nasarbajew einen »Freundschaftsdienst« habe erweisen wollen.
Dass die Demokraten den Innenminister im Amt bestätigten und im Namen der »nationalen Verantwortung« an der großen Koalition festhalten, gilt als Generalprobe für kommende Krisen­situationen. In seiner Ansprache stellte Napolitano vorauseilend klar, dass die Stabilität der Regierung auch gewährleistet werden müsse, wenn der Vorsitzende der rechten Koalitionspartei ­wegen Steuerbetrugs verurteilt werden sollte. Das Urteil des Kassationsgerichts gegen Berlusconi ist für den 30. Juli angekündigt.