Der Tanzfilm »Frances Ha« ist ein klassischer Stadtfilm

Die Fehler-Queen

Greta Gerwig gilt als Ikone des Mumblecore-Kinos. In der New-York-Komödie »Frances Ha« überzeugt sie als ungelenke Tänzerin.

Ich mag Dinge, die wie Fehler aussehen«, sagt Frances (Greta Gerwig) an einer Stelle des Films. Sie spricht über die Choreographie eines Tanzstücks, das eigentlich ganz nach konventionellem Modern Dance aussähe, wären da nicht diese seltsam linkischen Momente, die etwas Unpassendes, Hampeliges in den Bewegungsfluss einschleusen. Dinge, die fehlerhaft wirken, gibt es auch im Leben und im Alltag von Frances, die als erfolglose Tänzerin in New York lebt und kleine Ballettmäuschen unterrichtet, um Geld zu verdienen. Mit Nachnamen heißt Frances natürlich nicht »Ha«, wie der Filmtitel Glauben macht, auch dies eine kleine, charmante Panne. Frances, die schon nach wenigen Filmminuten keinen Freund mehr hat, weil sie sich sträubt, mit ihm und zwei haarlosen Katzen zusammenzuziehen, schlägt sich vor allem mit ihrer prekären Existenz herum, die nicht Armut genannt werden darf, weil die Widersprüche doch zu groß sind: Für ein spontanes Wochenende in Paris ist irgendwie Geld da, für eine Kinokarte eher nicht. Reichtum, viele Ehrendoktortitel, viele Liebhaber, keine Kinder – so sieht Frances’ schöne Vision aus. Diese teilt sie mit Sophie (Mickey Sumner), Mitbewohnerin und best friend forever – es ist eine Frauenfreundschaft, die alles hat, was den sogenannten Liebesbeziehungen fehlt, nämlich Lebendigkeit, Witz, Offenheit und Intimität. »Wir sind wie ein lesbisches Paar, das keinen Sex mehr hat«, meint Frances. Sie genießt den Ruf, »undatable« zu sein, und scheint platonische Beziehungen keineswegs als defizitär zu begreifen – zumindest hält sie es bis zum Ende des Films auch ganz gut ohne »love interest« aus, ohne gleich ein Thema daraus zu machen.
Dann verändern sich die Dinge für Frances. Sophie wird Lektorin bei dem Verlag Random House und zieht ins teure Tribeca, später folgt sie ihrem öden Verlobten nach Japan und stellt spießige Paarfotos auf ihr Blog. Frances dagegen hängt in dem diffusen Raum zwischen Post-Studienzeit und einem funktionierenden Berufsleben fest. Bei einem Abendessen in der Upper West Side sieht sie inmitten der gepflegten Gesellschaft aus erfolgreichen Selbstoptimiererinnen schlichtweg ulkig aus. Einmal bekommt sie zu hören, sie sehe älter aus als 27, aber weniger erwachsen, und es ist nicht gerade nett gemeint.
Strukturiert wird ihre Balanceakt zwischen Lebensentwurf und Wirklichkeit durch diverse Orts- und Stadtteilwechsel: Prospect Heights in Brooklyn, eine Wohngemeinschaft in Chinatown, die sie sich schon bald nicht mehr leisten kann, weil ihre verwöhnten Mitbewohner glauben, für 400 Dollar eine Putzfrau anstellen zu müssen, dazwischen Weihnachtsurlaub bei den Eltern im kalifornischen Sacramento, ein vermurkster Trip nach Paris (dazu ist ausgerechnet »Every 1’s a Winner« von Hot Chocolate zu hören), ihr altes College in Poughkeepsie, in das sie vorübergehend zum Jobben und Wohnen zurückkehren muss (ein nicht nur sozialer Abstieg), schließlich ein eigenes Apartment in Washington Heights.
»Frances Ha« ist ein Schwarzweiß-Film mit kleinem Budget, bei dem Noah Baumbach Regie geführt hat, eigentlich eher ein Spezialist für misanthrope Typen, deren Schrulligkeit weniger anrührend als ätzend ist. Das Drehbuch haben der Regisseur und seine Hauptdarstellerin Greta Gerwig gemeinsam geschrieben. Das Ergebnis ist ein klassischer Stadtfilm, der eng mit Woody Allens »Manhattan« verwandt ist. Die wiederkehrenden Schauplätze sind Wohngemeinschaften, Bars und Restaurants, der Central Park und die Subway. Statische Einstellungen in den Innenräumen wechseln sich ab mit dynamischen Travellings im urbanen Raum. Außerdem gibt es Referenzen zu Buster Keaton, Charlie Chaplin, vor allem aber zum Kino der Nouvelle Vague. Ein Großteil des Soundtracks besteht aus Klassikern der Filmmusik, die der Komponist George Delerue für François Truffaut geschrieben hat, und Frances erinnert zuweilen sogar an die liebenswert-verpeilte, von Jean-Pierre Léaud verkörperte Figur des Antoine Doinel.
Dabei wirkt »Frances Ha« an keiner Stelle nostalgisch, der Blick ist ganz auf die großstädtische Gegenwart New Yorks gerichtet. Im Grunde beschäftigen Frances ganz ähnliche Fragen wie die »Girls« der gleichnamigen, schwer gehypten HBO-Serie (gemeinsam sind beiden Werken der Schauplatz Brooklyn und der Schauspieler Adam Driver), allerdings begegnet Noah Baumbachs angenehm unnarzisstische Heldin den Lebensverhältnissen eher körperlich ungelenk und sprachlich verhaspelt. Frances versucht nicht, ihr Leben zu dramatisieren; ihre verzögerten Reaktionen konterkarieren den verbalen Überschuss der Girls. Ohnehin geht es in »Frances Ha« nicht so sehr um Zeitdiagnose oder ein Generationenporträt (bürgerlicher Hintergrund, gut ausgebildet, unterbeschäftigt, unterbezahlt) – das alles passiert eher so nebenbei –, sondern eher darum, einer Figur bzw. einer Darstellerin mit einem außergewöhnlichen Talent für die Komik des Körpers eine Bühne zu errichten.
Greta Gerwigs Anfänge als Schauspielerin liegen im Mumblecore-Kino eines Joe Swanberg. Mumblecore ist eine informelle Bewegung innerhalb des amerikanischen Independentkinos. Die Ultra-Low-Budget-Produktionen kommen meist ohne ein ausgearbeitetes Drehbuch aus, leben von improvisiert-verquasselten Dialogen und arbeiten mit Laiendarstellern. Gerwig wurde durch Noah Baumbachs »Greenberg« (2010) einer größeren Öffentlichkeit bekannt und glänzte unlängst in Whit Stillmans »Damsels in Distress« (2011) als Anführerin eines von Parfüm besessenen Trios, das an einem Elite-College mit wohlriechenden Seifen und merkwürdigen Tänzen für eine Verbesserung der Welt kämpft. Inzwischen wird Gerwig, als Nachfolgerin der weitaus stilsichereren Chloë Sevigny, als das neue It-Girl des unabhängigen amerikanischen Kinos gehandelt, auch wenn der Begriff kaum Gerwigs seltsam verrutschte, breitschultrige Weiblichkeit zu fassen vermag.
In »Frances Ha«, einem Film, der dramaturgisch und inszenatorisch die Offenheit des Mum­blecore aufnimmt (nicht jedoch seine Selbstbezüglichkeit), stellt Gerwig allerhand »fehlerhafte« Dinge mit ihrem Körper an: Sie zeigt ihre großen Füße, sitzt mit krummen Rücken am Tisch, stapft durch die Gegend oder rennt stundenlang mit Clogs durch die Straßen, um einen Geldautomaten zu finden. Sie nickt mit dem Kopf, ohne dabei wirklich etwas zu bestätigen (außer der eigenen Vagheit), verzieht den Mund, zupft an ihrem Gesicht und den Haaren herum, runzelt die Stirn, zieht die Augenbrauen hoch, mampft unfein oder macht mit ihren Armen verheddert-wedelnde Bewegungen in der Luft. In einer Szene – eine Anspielung auf den Neo-Nouvelle-Vague-Film »Mauvais Sang« von Leos Carax – läuft Frances mit dicker Lederjacke und schwerem Rucksack zu David Bowies »Modern Love« durch Brooklyn, macht Sprünge über Bürgersteige und Zebrastreifen und dreht dabei Pirouetten – eine unvergleichliche Mischung aus Schluffigkeit und Energie, Klobigkeit und Anmut.

Frances Ha (USA 2012). Regie: Noah Baumbach.
Start: 1. August