Drohnen sollen sich lohnen

Nationale Mission

Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière musste sich vorige Woche vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Debakel um das Drohnenprojekt »Euro Hawk« äußern. Von der an ihm geäußerten Kritik weitgehend unbeeindruckt, stellte der Minister weitere Drohnenprojekte in Aussicht.

Folgt man Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), sind an dem Debakel des Drohnenprojekts »Euro Hawk« nicht zuletzt die USA und die dort beheimateten Rüstungskonzerne schuld. So verwies der Minister vergangene Woche vor dem vom Bundestag eingerichteten Untersuchungsausschuss zum Thema auf eine »Vorlage« des damaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr, Harald Kujat, aus dem Jahr 2001. Danach war bei der Entwicklung und Beschaffung eines »unbemannte(n) Fluggerät(s) zur weitreichenden Aufklärung« die »US-Position zur Technologiefreigabe im Rahmen einer möglichen Kooperation« von zentraler Bedeutung. Heute, so de Maizière, könne man diese Äußerung »gut einordnen«: »Die Einschränkungen durch die restriktiven US-amerikanischen Rüstungsexportregeln haben im Zusammenhang mit dem Projekt Euro Hawk viel Zeit und Geld gekostet.«

Dass von der hiesigen politisch-militärischen Führung dennoch bis zuletzt an einer deutsch-europäischen Adaption des US-amerikanischen »Global Hawk« aus dem Hause Northrop Grumman festgehalten wurde, erklärte der Minister mit dem dringenden Wunsch der Truppe nach einem unbemannten Flugobjekt der HALE-Klasse (High Altitude Long Endurance): »Das System Global Hawk war das einzige marktverfügbare unbemannte Luftfahrzeug, das in der von den Streitkräften geforderten großen Flughöhe – rund 20 000 Meter über der Erde – fliegen konnte.« Bis heute seien die Gründe für diese Entscheidung »nachvollziehbar«; die im Vergleich zu Kampfjets »höhere Stehzeit«, die »größere Reichweite«, die »erweiterten Einsatzmöglichkeiten«, die »höhere Sicherheit für die Besatzung« und die »niedrigeren Materialerhaltungskosten« hätten dabei den Ausschlag gegeben. Schließlich sollte eine gravierende »Lücke im Fähigkeitsspektrum der Bundeswehr« geschlossen werden, so de Maizière: »Es ging und geht darum, über ein zutreffendes Lagebild im Interessengebiet und die Aufklärung der Führungs-, Informations- und Kommunikationssysteme eines Gegners zu verfügen.«

Dem Minister zufolge sollte der von EADS und Northrop Grumman gemeinsam entwickelte »Euro Hawk« der »ganz große Wurf« werden – er wurde aber eine Riesenpleite, die bisher mehr als 660 Millionen Euro gekostet hat. Gescheitert ist das Projekt an gravierenden technischen Mängeln wie dem Fehlen eines Antikollisionssystems, die eine Zertifizierung der Drohne für die Teilnahme am allgemeinen Luftverkehr nicht zuließen. Entsprechende Nachrüstungen hätten mit einem weiteren dreistelligen Millionenbetrag zu Buche geschlagen, weshalb de Maizière die anstehende Serienfertigung des »Euro Hawk« am 13. Mai dieses Jahres stoppte. Für die im Einvernehmen mit seinen Staatssekretären Stéphane Beemelmans und Rüdiger Wolf getroffene Entscheidung war indes nicht allein die absehbare Kostensteigerung ausschlaggebend. Wie de Maizière dem Untersuchungsausschuss erklärte, wäre »eine eigenständige nationale Missionsplanung bis mindestens 2017 nicht gegeben« gewesen: »Jede Missionsplanung, auch zu Test- und Erprobungsflügen, hätte von den USA aus durchgeführt werden müssen.«
Die im Untersuchungsausschuss vertretenen Abgeordneten der Oppositionsparteien interessierten solche Aussagen allerdings nicht sonderlich. Sie wollten in Erfahrung bringen, ob die Probleme bei der Zulassung des »Euro Hawk« für den deutschen Luftraum nicht schon lange vor dem 13. Mai bekannt waren, das Projekt also weit früher hätte gestoppt werden müssen. Zur entscheidenden Frage wurde mithin, was de Maizière wann wusste und wie es um die Professionalität seiner Amtsführung bestellt ist. Der Minister hatte stets behauptet, am 1. März 2012 erstmals von Problemen beim »Euro Hawk« erfahren zu haben. Da ihm diese jedoch als »lösbar« geschildert worden seien, habe er sich mit dem Projekt nicht weiter befasst – eben bis zum 13. Mai 2013.
In der Folgezeit war de Maizières Version von diversen Medien stark in Zweifel gezogen worden. So berichtete etwa die Süddeutsche Zeitung schon im Juni dieses Jahres, der Minister habe bereits am 10. Dezember 2012 von Staatssekretär Beemelmans eine »Informationsmappe« erhalten, deren Inhalt das Ende für den »Euro Hawk« hätte bedeuten müssen. In der Akte, die de Maizière zur Vorbereitung eines Besuchs beim EADS-Tochterkonzern Cassidian dienen sollte, fand sich laut Süddeutscher Zeitung eine »Sprechempfehlung«, der zufolge »aufgrund der Zulassungsproblematik und weiterer Unsicherheiten … derzeit keine Grundlage gegeben (sei), um eine Entscheidung für eine Serienbeauftragung zu befürworten oder gar zu treffen«.
Weitere Enthüllungen folgten. Erst unlängst publizierte die Bild-Zeitung den Inhalt einer E-Mail, die der für Rüstung zuständige Abteilungsleiter im Bundesverteidigungsministerium, Detlef Selhausen, im Januar 2012 an die Büroleiterin von Staatssekretär Beemelmans geschrieben hat. Darin warnte Selhausen vor einer »dramatischen Kostenexplosion« im Falle der Beschaffung von »Serienluftfahrzeugen« des Typs »Euro Hawk« und erklärte, er werde »eine solche Maßnahme nicht empfehlen«. All diesen Fakten zum Trotz modifizierte de Maizière vor dem Untersuchungsausschuss seine ursprünglichen Aussagen nur unwesentlich. Zwar räumte er ein, bereits vor dem 13. Mai dieses Jahres über Probleme beim »Euro Hawk« informiert gewesen zu sein, betonte jedoch zugleich, diese seien ihm »stets als lösbar dar­gestellt« worden, weshalb er keinen Handlungsbedarf gesehen habe: »Natürlich kann der Minister jederzeit einen Vorgang oder ein Projekt an sich ziehen. (…) Ich verfahre selbst so, jedoch dann, wenn dafür die notwendige substantielle Grundlage gegeben ist oder wenn ich den Eindruck habe, dass Probleme gar nicht behandelt oder nicht einer ordentlichen Lösung zugeführt werden. Dies war hier gerade nicht der Fall.«

Die Opposition konnte de Maizière mit solchen Aussagen nicht beschwichtigen. Für den verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, ist der Minister lediglich jemand, der versucht, »eine Lüge durch eine andere Lüge zu decken«; der Obmann der Grünen im Verteidigungsausschuss, Omid Nouripour, hält ihn für »leseschwach, ahnungslos und unzuständig«. Da half es auch nichts, dass Staatssekretär Beemelmans reumütig bekannte, de Maizière zu spät und nicht ausführlich genug über das drohende Scheitern des Projekts »Euro Hawk« informiert zu haben. Die Linkspartei buchte Beemelmans Aussage als Akt »vorauseilenden Gehorsams« ab; der Bild-Zeitung gilt der Minis­terialbeamte seither als »Drohnen-Depp«.
Die an ihm geübte Kritik schien de Maizière indes nicht übermäßig zu tangieren – im Gegenteil: Bei seiner Rede vor dem Untersuchungsausschuss konnte er eine gewisse klammheimliche Freude über das Ende des von EADS/Cassidian einst als »ausgezeichnetes Beispiel für die trans­atlantische Kooperation im Verteidigungsbereich« gepriesenen Projekts »Euro Hawk« nicht verhehlen. Bei »Zulassungsfragen« wolle man sich zukünftig nicht mehr von den USA abhängig machen, sagte der Minister und kündigte sowohl die Schaffung eines »klare(n) Regelwerk(s) für die Teilnahme ziviler und militärisch genutzter unbemannter Luftfahrzeuge am Luftverkehr« an als auch die Implementierung einer deutschen »militärische(n) Luftfahrtbehörde«. Doch damit nicht genug: »Mittel- und langfristig müssen wir die deutschen und europäischen Kompetenzen und Kapazitäten im Bereich unbemannter Systeme ausbauen«, ließ de Maizière wissen.

Bei EADS/Cassidian dürfte man diese Ankündigung – allen Bekenntnissen zur transatlantischen Rüstungskooperation zum Trotz – nicht ungern gehört haben. So wurde durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses bekannt, dass der Konzern bereits seit längerem an der eigenständigen Entwicklung einer Kampfdrohne der MALE-Klasse (Medium Altitude Long Endurance) arbeitet. Das geplante unbemannte Flugobjekt trägt den Namen »Future European MALE« (FEMALE) und stellt eine Fortführung des bis dato auf Eis liegenden EADS-Projekts »Talarion« dar. Schon Ende November vorigen Jahres wurde FEMALE von der für die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium tätigen Beratungsgesellschaft IABG als Alternative zum »Euro Hawk« empfohlen. Entsprechend hieß es am 11. Dezember 2012 in einem Aktenvermerk aus de Maizières Rüstungsabteilung, die dem Generalinspekteur der Bundeswehr unterstehende Planungsabteilung sehe FEMALE als dem »Euro Hawk« »zumindest gleichwertig« an. Wie Jan van Aken, ein Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, dem Stern sagte, liegt somit in der Tat der Verdacht nahe, dass »zumindest einige der Beteiligten« das Scheitern des Projekts »Euro Hawk« als »Chance« genutzt haben, um »eine deutsche Drohne von EADS auf den Weg zu bringen«.