Britische Tories hetzen gegen »illegale Einwanderer«

Die Tories bleiben nasty

In Großbritannien geht die konservative Regierung verstärkt gegen »illegale« Einwanderer vor. Kritisiert werden diese Maßnahmen nicht nur von Antirassisten.

Drei Tage lang führte die britische Polizei Anfang August gegen Einwanderer gerichtete Razzien und Kontrollen durch. Die Großaktion folgte unmittelbar auf eine Propaganda-Bustour gegen »Illegale« im Juli. Beide Maßnahmen verunsichern Einwanderer und Angehörige von Minderheiten in Großbritannien, Kritiker sehen darin polizeistaatliche Methoden. Ein namentlich nicht bekannter Zeuge der Razzien, der sich gar an »Nazi Germany« erinnert fühlte, wusste offenbar nicht, dass sogenannte verdachtsunabhängige Personen­kon­trollen in Zügen und an Bahnhöfen auch im heutigen Deutschland zum Alltag gehören.
In Großbritannien hingegen sind Ausweiskon­trollen verboten, solange kein Hinweis auf eine Straftat vorliegt. Aus diesem Grund betont die Grenzpolizei UKBA, dass alle an Bahnhöfen in Manchester, Durham, Somerset und in mehreren Londoner Stadtteilen durchgeführten Kontrollen (spot checks) auf dem konkreten Verdacht beruhten, dass gegen Einwanderungsbestimmungen verstoßen wurde. Nach eigenen Angaben verhaftete sie 130 Personen, konzentriert hatte sie sich auf Menschen, die sich angesichts der Polizeipräsenz »auffällig« verhielten.

Zunächst hatte die Tageszeitung The Independent vom racial profiling der Polizei berichtet, seitdem werden immer mehr Stimmen laut, die diesen Vorwurf bekräftigen. Mit Stella Creasy berichtet auch eine Parlamentsabgeordnete von der oppositionellen Labour Party, die Kontrollen hätten ausschließlich vermeintlich asiatisch oder afrikanisch aussehende Reisende betroffen. Die Razzien erwecken den Eindruck, der jüngste Schritt einer größeren Kampagne zu sein. Im Juli ließ das Innenministerium bereits Busse mit dem Slogan »Go home or face arrest« (»Gehe nach Hause oder du wirst verhaftet«) durch sechs Londoner Bezirke fahren, um »illegale« Einwanderer zur »freiwil­ligen« Ausreise zu bewegen. Die Parole erinnert ältere Britinnen und Briten an die siebziger Jahre, als Rassisten Häuserwände mit »Go home« beschmierten, um die nach dem Zweiten Weltkrieg aus ehemaligen Kolonien angeworbenen Arbeitskräfte zu vertreiben.
Das Innenministerium bestreitet einen Zusammenhang zwischen den Kontrollen und den­ ­r­acist vans, wie Antirassisten die Busaktion getauft ­haben. Beide Maßnahmen zeugen dennoch von einer klassischen Strategie rechter Politik, Einwanderer zu Sündenböcken für die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage großer Teile der Bevölkerung zu machen. In London ist Wohnraum selbst für die Mittelschicht kaum noch bezahlbar, anderswo Arbeit zu finden, ist schwierig. Zudem sind viele Löhne niedrig und pre­käre Beschäftigungsverhältnisse weit verbreitet, während Sozialleistungen drastisch gekürzt werden.

Sowohl die racist vans als auch die spot checks stoßen auf Widerspruch in allen politischen Lagern. Keith Prince, Vorsitzender der konservativen ­Tories im Londoner Bezirk Redbridge, kritisiert die Werbebusse für ihre »negative Botschaft an die große Mehrheit der Menschen«. Sogar Martin Ruhs, Berater der Regierung in Immigrationfragen, verglich die drakonischen Maßnahmen mit denen von Staaten wie Singapur. Und Nigel Farage, Vorsitzender der rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party (UKIP), sieht die Kampagne gegen Einwanderer als Versuch der Konservativen, Wähler seiner in Umfragen derzeit sehr erfolgreichen Partei abzuwerben.
Auch der Koalitionspartner der Tories gibt sich wenig erfreut. Nick Clegg, stellvertretender Premierminister und Vorsitzender der Liberaldemokraten, stellt fest, die Bustour sei »keine kluge Art, mit dem Thema umzugehen«. Sein Vertreter Vincent Cable nennt sie »dumm und beleidigend«. Die Scottish National Party verurteilt die Aktion ebenfalls und fordert die Schaffung regulärer Immigrationswege statt Einschüchterung.
Der Gleichberechtigungsbeauftragte hat unterdessen eine Untersuchung der spot checks ein­geleitet. Die Advertising Standards Authority prüft derweil, ob die racist vans absichtlich irreführende Botschaften verbreiten, denn ein »illegaler Aufenthalt« zieht nicht zwingend eine Verhaftung nach sich. Überdies ermittelt die staatliche Menschenrechtskommission EHRC wegen eines weiteren Vorwurfs gegen die Polizei: Organisationen gegen häusliche Gewalt beklagen, Opfer gewalttätiger Ehemänner seien nach ihrer Anzeige selbst Gegenstand von Ermittlungen wegen »illegalen Aufenthalts« geworden.
Die Aktivistin Doreen Lawrence nennt die »rassistischen und einschüchternden« Kontrollen als einen Grund für ihr künftiges parteipolitisches Engagement. Sie wurde nun von der Labour Party ins britische Oberhaus (House of Lords) berufen. Die Mutter des 1993 von Rassisten er­mordeten Stephen Lawrence wirft der Regierung vor, Einwanderer aus Afrika und Asien zu diskriminieren, während weiße Australier ohne Visum nicht betroffen seien. Nach Meinung des Independent ist die Regierung dabei, das Innenministerium in einen Apparat zur Förderung rassistischer Tendenzen zu verwandeln. Der frühere Stabsmitarbeiter und Reden­schreiber von Margaret Thatcher, Derek Laud, befindet, seine Partei werde auch unter Premier­minister David Cameron ihrem Ruf als »Nasty Party« gerecht. Der bekannteste schwarze Konservative nennt sie rassistisch und wertet die neuen Maßnahmen gegen Einwanderer ebenfalls als Signal für eine beginnende Kampagne mit dem Schwerpunkt auf Hautfarbe und Immi­gration, nachdem die von der Regierung eingeleiteten Modernisierungen gescheitert und die Umfragewerte schlecht seien. Doch die Konservativen nehmen die breite Kritik in Kauf. Die Liberaldemokratische Partei schwächelt seit ihrem Wahlerfolg 2010 ohnehin so sehr, dass sie als künftiger Koalitionspartner wohl ausscheidet. Bei Einwanderern und deren Nachkommen haben die Tories wie auch in Schottland und dem Norden Englands traditionell ­wenig zu verlieren. Bei den zur UKIP tendierenden konservativen Stammwählern dagegen kommt der Aktionismus vermutlich gut an.