Bezahlbares Wohnen als Thema im Wahlkampf und danach

Wem gehört die Stadt?

Im Bundestagwahlkampf bemühte sich sogar die CDU um ein mieterfreundliches Image. Der Protest für bezahlbare Wohnungen geht trotzdem weiter, denn die Mieten steigen unaufhörlich.

Bezahlbarer Wohnraum in Großstädten hat mittlerweile Seltenheitswert. Kieze werden saniert, Mieten steigen, Geringverdiener werden verdrängt, Eigentümer spekulieren mit Leerständen. Die Spekulation mit Immobilien setzt sich weiter fort. Doch auch der Widerstand wächst. Das wurde etwa vor zwei Wochen deutlich, als verschiedene Gruppen im Rahmen des bundesweiten Aktionstages »Wem gehört die Stadt?« zu Protesten gegen Gentrifizierung aufgerufen hatten.
Auch Neukölln ist in Bewegung. Noch vor wenigen Jahren war der Berliner Stadtteil Sinnbild von Verfall, Straßenkriminalität, Gangster-Attitüde. Die Rütli-Schule der Republik, sozusagen. Heute reiht sich dort Szenekneipe an Szenekneipe, Künstler und Studenten prägen das Leben in den Straßen, die Kreativen drängen ins Viertel. Ein WG-Zimmer kostet schon mal den halben Bafög-Satz.

Was Kreuzberg schon vor längerer Zeit erlebte, hält seit einigen Jahren nun auch hier Einzug. »Die Politik hat die zunehmende Wohnungsnot lange geleugnet und stattdessen öffentliche Wohnungsbestände privatisiert«, schreibt das Bündnis »Keine Profite mit der Miete«, das sich an dem Aktionstag gegen Gentrifizierung beteiligt hat. Die gezielt aufgewerteten Bezirke seien nicht mehr Orte zum Wohnen, sie seien » ›Standorte‹ in der kapitalistischen Konkurrenz um Investoren, kaufkräftige TouristInnen und Co. Wer nicht zahlen kann, muss weg.« Betroffen seien neben dem Wohnraum auch unkommerzielle Projekte wie soziale Zentren, Jugendclubs, besetzte Häuser und Bauwagenplätze.
Die Lokalpolitik möchte dem Eindruck, Stadtviertel würden gentrifiziert, entgegenwirken. So veröffentlichte der Berliner Senat im vergangenen Jahr eine Sozialstudie zu Nord-Neukölln, die der These der Gentrifizierung widerspricht. »Deutlich wird nur, dass arme durch etwas weniger arme Haushalte ersetzt werden«, so das Fazit der Studie. Das durchschnittliche Einkommen der Nord-Neuköllner, die seit 2008 zugezogen sind, ist der Studie zufolge 13 bis 14 Prozent geringer als der Durchschnitt in ganz Berlin. Die Ausnahme bilde der Neuköllner Reuterkiez, in dem das Einkommen ein Prozent über dem Berliner Durchschnitt liege. Dass die Mieten im Bezirk insgesamt immer weiter steigen, musste auch die Studie einräumen.

Das Bündnis »Keine Profite mit der Miete« kritisiert vor allem die Einschränkung von Mieterrechten. Da ein bedeutender Teil der Mietkostensteigerungen auf Gebäudesanierungen zurückzuführen ist, schlägt das Bündnis vor, Sanierungen nur im Einvernehmen zwischen Mietern und Vermietern zu erlauben. Der schwarz-gelben Bundesregierung ist es zu verdanken, dass die Rechte der Mieter bei der energetischen Gebäudesanierung, wie etwa der Wärmedämmung, stark beschränkt wurden. Die von der CDU durchgesetzte Reform schränkt einerseits das Recht eines Mieters auf Mietminderung für die Zeit der Bauarbeiten ein. Andererseits, und das freut den Eigentümer, können die Kosten einer Modernisierung mit jährlich bis zu elf Prozent auf die Miete umgelegt werden. Experten befürchten, dass Mieter auf diese Art mehr zahlen müssen, als sie durch die Sanierung sparen. Außerdem muss die erhöhte Miete auch dann noch gezahlt werden, wenn der Vermieter die Kosten für die Sanierung längst wieder eingenommen hat.
Enrico Schönberg vom Protestbündnis sagt in einer Stellungnahme: »Statt die Städte attraktiv und lebenswert für alle zu machen, wird ihre Entwicklung an den Interessen von kaufkräftigen Konsumenten und Investoren ausgerichtet. Die Kehrseite dieser Politik: Leute mit wenig Geld werden verdrängt, eintönige Konsumtempel ohne Freiräume für Kreativität und Kommunikation entstehen.« Um dies zu verhindern, müsse man sich wehren, denn: »Die Stadt von morgen beginnt heute!«
Allein, die »Kreativen« sind Teil des Problems: Sie sind die Pioniere der Gentrifizierung. Denn wo sie auftauchen, werden Viertel zu Szenevierteln. Das muss nichts Schlechtes sein, aber es wirkt sich eben auf die Mietpreise aus. Daher ist Gentrifizierung kein Prozess, dessen Protagonisten zwangsläufig von außen kommen. Wenn sich etwa Studenten in Geldnot in strukturschwachen Stadtteilen niederlassen, weil dort die Mieten günstig sind, ist das noch keine Gentrifizierung. Sobald sie dann aber nach Abschluss ihres Studiums einen gut bezahlten Job antreten, steigen mit ihrem Einkommen tendenziell auch ihre Wohnbedürfnisse. Und um die nun zahlungskräftige Kundschaft nicht zu verlieren, wird eben saniert. Der »Yuppie«, der von außen kommt und das Ghetto-Idyll stört, ist also vor allem eine Projektionsfigur.

Einen anderen Ansatz bietet der Kampf gegen den »spekulativen Leerstand«, also Häuser, die vom Eigentümer absichtlich ungenutzt gehalten werden. Wenn abzusehen ist, dass der Wert eines Gebäudes signifikant steigen wird, etwa, um dort zu gegebener Zeit Eigentumswohnungen einrichten zu lassen, stören Mieter mit all ihren lästigen Rechten und Ansprüchen nur. Ist eine Wohnung nicht vermietet, kann sie derzeit, je nach Berliner Ortsteil, für 84 bis 285 Euro pro Quadratmeter teurer verkauft werden. Das berichtet jedenfalls der Berliner Mietverein unter Berufung auf eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und bilanziert: »Wer mit Leerstand spekuliert, kann deutlich mehr Profit erwarten.« Auf dem Immobilienmarkt in der Hauptstadt gab es demnach bereits 2011 eine Umsatzsteigerung von 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Sozusagen als Korrektiv zum spekulativen Leerstand haben Hausbesetzer seit den siebziger Jahren die »Instandbesetzung« etabliert. Die Blütezeit der Hausbesetzungen ist zwar vorbei, Fälle wie etwa die Räumung des Hauses »Liebig 14« in Berlin-Friedrichshain 2011 zeigen dies. Das Bündnis »Keine Profite mit der Miete« fordert dennoch, dass die »Besetzungen von länger leerstehenden Immobilien und brachliegenden Flächen legalisiert« werden müssten. Von einigen Ausnahmen abgesehen, haben Besetzungen derzeit allerdings eher eine symbolische Bedeutung. Bei dem Aktionstag gegen Gentrifizierung vor zwei Wochen gelang es Aktivisten in Frankfurt am Main, den Garten der leerstehenden Oberbürgermeistervilla zu besetzen. Das sorgte kurzzeitig für Aufsehen, die Zeiten der erbitterten Straßenkämpfe scheinen allerdings vorerst vorbei zu sein. Die Stadtteile werden sich auch weiterhin verändern, in Berlin, in Frankfurt, in Hamburg, im Ruhrgebiet. Und die Frage, wem denn nun die Stadt gehört, wird wohl eher in den Szenekneipen als auf den Barrikaden entschieden.