Platte Buch

Zufällig Verbrecher

Man kann ihn von Anbeginn an nicht ausstehen. Auch kommt man dem namenlosen Ich-Erzähler bis zum Schluss nicht wirklich näher. Selbstverliebt und heuchlerisch und, als es hart auf hart kommt, in Faselei und Selbstmitleid ersaufend, erinnert einen dieser Beinahe-Jedermann möglicherweise an uns selbst, an unsere Abgründe. Die kann man ja nicht lieb haben.
Unbeherrscht geht es los. Als kleiner Manager eines Callcenters ohrfeigt unser Antiheld eine junge Angestellte aus nichtigem Anlass, woraufhin sie sich umbringt. Er verliert seinen Job, verlässt São Paulo, zieht in die Pampa und lässt sich von seiner sympathischen Freundin aushalten. Bald betrügt er sie nach Strich und Faden. Nun ist der 2010 im Original erschienene Roman der 1962 geborenen brasilianischen Autorin weniger Charakterstudie als spannender Psychothriller. Einer, der einen glatt dazu bringt, die Figuren laut anzubrüllen: »Ahh, tu’s nicht, verdammt, das kann niemals gutgehen – Idiot!« Andererseits: Wenn man klamm ist, einem unverhofft ein pralles Kilo Kokain in die Hände fällt, könnte man ja vielleicht schon … oder nicht? Genau das tut der Ich-Erzähler. Er verkauft den Stoff mit Hilfe eines Bekannten. Der erweist sich als liebenswerter Trottel, was prompt zu handfesten Problemen mit echten Drogenhändlern führt und im Verlauf der Geschichte zu immer haarsträubenderen Aktionen. Nicht ohne Grund heißt dieses extrem nervös machende Buch über ein Allerweltsarschloch, das zufällig zu­ ­einem Verbrecher wird, »Leichendieb«.

Patricia Melo: Leichendieb. Tropen bei Klett-Cotta, 204 Seiten, 18,95 Euro