Die Rekommunalisierung des Berliner Stromnetzes

Ein Netz für Mitbestimmer

Am 3. November sollen die Berliner über den Rückkauf des Stromnetzes abstimmen. Über den Nutzen der Rekommunalisierung sind sich auch Linke nicht einig.

Noch 14 Tage blieben dem »Berliner Energietisch«, um für sein Volksbegehren zu werben, da kam aus der Wirtschaftsbehörde neue Kritik: »Nutzlos und teuer« sei der geforderte Rückkauf des Berliner Stromnetzes durch die Stadt, sagte die Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU). Am 3. November sollen die Berliner über die Rekommunalisierung des Stromnetzes abstimmen. 625 000 der 2,4 Millionen Wahlberechtigten müssten mit Ja stimmen, dann wäre das Land verpflichtet, sich um die Konzession für das Netz zu bemühen. Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass am 3. November das Quorum erreicht wird, ruft der »Energietisch« dazu auf, per Briefwahl abzustimmen – auf dass die Teilnahme am Abstimmungstag nicht noch vergessen wird.
Zum 1. Januar 2015 läuft der Netzvertrag mit Vattenfall nach 20 Jahren Vertragszeit aus. Das schwedische Unternehmen soll allein im vergangenen Jahr fast 128 Millionen Euro damit verdient haben, den Strom verschiedener Anbieter an Ber­liner Haushalte und Unternehmen weiterzuleiten. Der Rückkauf des Netzes würde Schätzungen zufolge mehrere hundert Millionen Euro kosten, Berlin soll nach dem Willen der Befürworter dafür Kredite aufnehmen. Neben dem Landesunternehmen Berlin Energie haben sich auch das Vattenfall-Tochterunternehmen Stromnetz Berlin und das niederländische Energieunternehmen Alliander in dem schon laufenden Konzessionsverfahren beworben. Zwei weitere Interessenten, die Genossenschaft Bürgerenergie Berlin und das Netzwerk Thüga, würden das Netz gerne zusammen mit dem Land betreiben.

Zusätzlich sieht das Volksbegehren die Gründung eines neuen Stadtwerks vor, das ausschließlich Ökostrom anbieten, demokratisch kontrolliert sein und sozial wirtschaften soll, Stromsperren für arme Kunden soll es nicht geben. 2012 war in Berlin 19 000 zahlungsunfähigen Haushalten der Strom abgestellt worden.
Yzer und der Senat können dem Vorhaben jedoch nichts abgewinnen. Die Strompreise würden nicht sinken, weil sich auch ein neues kommunales Stadtwerk »am Markt orientieren« müsse. Zudem sei auch ein kommunaler Netzbetreiber verpflichtet, den schmutzigen Atom- und Kohlestrom aller Anbieter weiterzuleiten. Vor allem aber befremde Yzer der konzernfeindliche Ton der Kampagne. Diese verwendet den Slogan: »Vattenfall den Stecker ziehen«. Stattdessen brauche es eine »Willkommenskultur« für investitionsfreudige Unternehmen in der Stadt. Bürgerbeteiligung hingegen »kostet Zeit«, sagt Yzer.
Tatsächlich geht es am 3. November nicht nur um den Betreiber eines Kabelnetzes. Viele betrachten die Abstimmung auch als ein Plebiszit über den seit den Neunzigern betriebenen Ausverkauf der Infrastruktur und einen möglichen Beginn für Rekommunalisierungen öffentlicher Güter. Stimmen die Berliner für den Rückkauf, wie kürzlich schon die Hamburger in einem ähnlichen Votum, dann könnte dies als Aufkündigung des Vertrauens in die Effizienz der Privatwirtschaft interpretiert werden, die dem trägen Staat möglichst viel aus der Hand nehmen müsse. Und dann, hoffen manche Ini­tiatoren, könnte es weitergehen: öffentlicher Personennahverkehr, Banken, Schwimmbäder – die Liste der Bereiche, in denen die Privatwirtschaft zurückgedrängt und durch demokratisch kontrollierte Institutionen ersetzt werden könnte, ist lang.

»Wir wollen, dass zentrale gesellschaftliche Infrastrukturen von allen kontrolliert werden und allen Zugang zur Daseinsversorgung geben«, sagt Hendrik Sander von der Gruppe Für eine linke Strömung (Fels), die am »Energietisch« beteiligt ist. »Und das kann man in verschiedenen anderen Bereichen auch durchdeklinieren.« Es gehe nicht nur um »saubere Energie«, sondern um eine starke Demokratisierung der Stromversorgung. Damit unterscheide sich das Ziel des Volksbegehrens auch von den Modellen der vielen bundesweit existierenden öffentlichen Betriebe. »Natürlich machen Staatskonzerne auch große Scheiße«, sagt Sander. »Wir fordern deswegen einen demokratischen Mechanismus, ein Instrument, damit die Leute direkt mitreden können.« Ganz durchsetzen konnte sich seine Gruppe mit diesen Vorstellungen allerdings nicht: »Wir wollten, dass die Bürger bei dem neuen Stadtwerk in Bezirksverordnetenversammlungen handfeste Vetorechte bekommen. Das ist leider jetzt nicht vorgesehen.« Immerhin soll der Verwaltungsrat von allen Einwohnern, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, direkt gewählt werden. »Das ermöglicht neue Formen der Mitbestimmung, wie es sie bislang auch bei kommunalen Unternehmen nicht gab.«
Sander sieht eine »Legitimationskrise« der Privatisierung: »Das in den Neunzigern gegebene Versprechen, alles werde billiger und ­effizienter, wenn der Staat entlastet wird, wurde nicht erfüllt. Die Leute sehen: Die Preise gehen hoch, die Leistungen werden schlechter. Das ist im Alltagsbewusstsein angekommen.« Auch in anderen Kämpfen sei Rekommunalisierung ein Thema, deshalb gebe es etwa die Kreuzberger Mieterbewegung »Kotti & Co.«: »Diese Leute wollen nicht nur, dass die Häuser verstaatlicht werden, sondern auch, dass die Mieter sie dann direkt kontrollieren können.« Wer mit den Mitteln der staatlichen Herrschaft mehr Dinge in die Hände des Staates legen wolle, nutze selbstverständlich »bürgerliche Instrumente«. Doch in diesem »realpolitischen und gewinnbaren Kampf«, sagt Sander, »öffnen sich Perspektiven für eine Vergesellschaftung zentraler Lebensbereiche«.
Das Berliner Anti-Atom-Plenum (AAP) könne die »Euphorie nicht ganz teilen«, wie der Sprecher Lukas Koppwisch sagt. Zwar sei das AAP durchaus für die Ziele des Volksentscheids, es sei »ein insgesamt gutes Projekt«, sagt Köppen. »Aber durch die Gründung der Berliner Stadtwerke und die Übernahme der Netze wird sich an der marktbeherrschenden Stellung der Energiekonzerne nichts ändern.« Mit fast den gleichen Worten wie Senatorin Yzer warnt das AAP deshalb vor allzu großen Hoffnungen. An der »profitorientierten Art der Energieproduktion« werde sich kaum etwas ändern, »denn bis auf weiteres existiert der Markt, auf dem sich die Stadtwerke bewähren müssen. Und das soziale Ziel, allen Menschen einen sicheren Zugang zum Stromnetz zu ermöglichen, steht dem Zwang zum Gewinn entgegen.«

Die angestrebten »partizipativen Elemente« könnten da nicht helfen: »Auch in einem kommunalen Stadtwerk wird erstmal unternehmerische Rationalität vorherrschen, es geht in erster Linie um die Zahlen.« Das Ganze erinnert Köppen deshalb an den Fahrgastbeirat der Bahn oder die Mieterbeiräte von Wohnungsbaugesellschaften: »Die kriegen auch jedes Jahr den Jahresbericht vorgelegt, dürfen Fragen stellen und Bedenken äußern. Aber dann macht das Management trotzdem, was es für richtig hält.«
Dennoch sei es »sympathisch, das Feld wieder neu zu öffnen und nach 20 Jahren Hegemonie des Privaten etwas anderes wieder denkbar werden zu lassen«. Doch die Frage nach den Besitzverhältnissen und der Form des Unternehmens, sagt Köppen, sei im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge sekundär. »Entscheidend ist, nach welcher Logik es funktioniert.«