Die Reaktionen auf die rassistischen Pogrome in Moskau

Verhasste Kaukasier

Nach dem Mord an einem russischen Staatsbürger kam es in Moskau zu rassistischen Ausschreitungen. Nicht nur der Staat geht hart gegen aus dem Nordkaukasus stammende »Illegale« vor, sondern auch Anwohner, die Bürgerwehren organisieren.

Am vergangenen Dienstag besuchte Russlands Präsident Wladimir Putin die Millionenstadt Ufa in der russischen Teilrepublik Baschkortostan. Anlass dafür waren die Feierlichkeiten zum 225. Jahrestag der Unterzeichnung eines Erlasses der Zarin Katharina II., der Muslime zu gleichberechtigten Bürgern Russlands erklärte. Begleitet wurde Putin auf seinem Weg in ein Zentrum des muslimischen Russland von dem beim russischen Präsidenten angesiedelten Rat für interethnische Beziehungen. Gemeinsam mit Muftis aus ganz Russland und dem Rat für interethnische Beziehungen sollten in Ufa Gespräche über eine Migrationspolitik stattfinden, die diesen Namen auch verdient. So sollten Pläne erarbeitet werden, wie sich im Vielvölkerstaat Russland interethnische Konflikte in Zukunft vermeiden lassen. Angesichts der angespannten Situation und der rassistischen Ausschreitungen der vergangenen Wochen sollen Russlands Migranten bald einen eigenen Ombudsmann bekommen, der ihre Rechte wahren soll. Doch mit Putins Sonntagsreden, Fotos vom Präsidenten im Gespräch mit russischen Muftis und einem eigenen Beauftragten für Migranten lassen sich die Fremdenfeindlichkeit und die Stimmungsmache in den Medien sowie der alltägliche Hass auf die Migranten aus der Ukraine, Zentralasien und dem Kaukasus nicht eindämmen.
Nachdem am 10. Oktober der russische Staatsbürger Iegor Schtscherbakow von einem Kaukasier im Moskauer Stadtteil Birjuljowo getötet worden war, stürmten Nationalisten und Anwohner drei Tage später ein Gemüselager und Geschäfte, deren Besitzer aus dem Kaukasus stammen. Die wütende Menge ließ es nicht nur bei Sachbeschädigungen an Geschäften und Autos bewenden. Nicht russisch aussehende Fahrer wurden aus ihren Wagen gezerrt und von der Menge verprügelt.
Der mutmaßliche Mörder des Russen, der aus Aserbaidschan stammende Orchan Zeynalow, wurde von Spezialeinheiten der Polizei wie ein Topterrorist gejagt. Die Bilder von Zeynalows Festnahme, der, auf dem Boden liegend, von Polizisten getreten wurde, waren die breaking news aller russischen Fernsehkanäle. Zwei Polizisten der gefürchteten Sonderpolizei SOBR führten Orchan Zeynalow im Polizeigriff in gebückter Haltung direkt in das Innenministerium. Unter dem Blitzlichtgewitter der wartenden Journalisten sah der russische Innenminister, Wladimir Kolokolzew, dem Gefangenen kurz in die Augen und ließ ihn dann mit einem kurzen »Abführen!« aus dem Raum bringen. Gerade einmal fünf Tage hatten die Behörden gebraucht, um des Mörders habhaft zu werden.
Nach dem Mord vom 10. Oktober und den anschließenden Ausschreitungen vor kaukasischen Märkten und Geschäften in Birjuljowo, an denen sich Rechtsextreme und Anwohner gemeinsam beteiligten, begannen Moskaus Behörden eine bisher beispiellose Jagd auf »illegale Migranten«. Jeden Freitag, verkündete der Chef der Moskauer Polizei, Anatolij Jakunin, werde man systematisch Wohnungen nach »illegalen Migranten« durchsuchen. Bürgerwehren und private Sicherheitsfirmen sollen in diese Aufgabe einbezogen werden, so Jakunin. Fast 3 500 Wohnungen seien in den vergangenen Tagen nach »illegalen Einwohnern« durchsucht worden, dabei habe man 57 Fälle von Verletzung der Migrationsvorschriften feststellen können. 99 Personen, die bei diesen Durchsuchungen festgenommen wurden, würden in ihre Heimat abgeschoben. »In der Stadt darf es keinen einzigen Ort geben, an dem sich ein illegaler Migrant verstecken könnte«, sagte der Polizeichef.

Die Umstände der Verhaftung von Zeynalow werden im aserbaidschanischen Baku mit großer Besorgnis registriert. In einer Note an das russische Außenministerium forderte man Russlands Regierung auf, dem aserbaidschanischen Konsulat in Moskau eine Kontaktaufnahme mit Zeynalow zu ermöglichen. Die Vorgänge um Zeynalows Verhaftung wertete man in Baku als »Hysterie«. »Russland hat nie eine antiaserbaidschanische Kampagne durchgeführt und wird das auch nicht tun«, versuchte Russlands Botschafter, Wladimir Dorochin, die Stimmung in Aserbaidschan zu beruhigen.
Am Freitag demonstrierten mehrere Aserbaidschaner vor der russischen Botschaft in Baku. Dabei wurde ein Teilnehmer vorübergehend festgenommen, nachdem er seinen Schuh auf das Botschaftsgelände geworfen hatte. Gleichzeitig kündigte die »Organisation zu Befreiung von Karabach« »adäquate Maßnahmen« gegen in Aserbaidschan lebende russische Staatsbürger an. In einem Schreiben an die russische Botschaft fordert die Organisation die »sofortige Einstellung der antiaserbaidschanischen Kampagne« und die Auslieferung von Zeynalow nach Aserbaidschan.
Unterdessen berichtet die Nowaja Gaseta von einem weiteren Mord in Birjulewo. Das Opfer ist ein Usbeke. Dieser Mord, so die Zeitung, werde kaum in wenigen Tagen aufgeklärt werden, habe doch niemand ein Interesse, für Migranten Lobbyarbeit zu machen.
Eine der wenigen, die sich für die Rechte der Migranten einsetzen, ist Swetlana Gannuschkina, Leiterin des russlandweiten Beratungsnetzwerkes »Migration und Recht«. Gleichzeitig betreut Gannuschkina als Leiterin der Organisation »Komitee Bürgerbeteiligung« in einer 300 Quadratmeter großen Beratungsstelle im Zentrum von Moskau all diejenigen, die wegen ihrer Hautfarbe, ihres Glaubens, ihrer Nationalität oder ihrer geographischen Herkunft von den Behörden diskriminiert, von der Polizei schikaniert, den Vermietern ausgenommen, den Arbeitgebern ausgebeutet werden.
Gegenüber der Jungle World geht die russische Menschenrechtlerin und Migrationsexpertin auf die Hintergründe der immer stärkeren Fremdenfeindlichkeit ein. Die Staatsbürgerschaft spiele bei den Ausschreitungen keine Rolle, sagte sie. Am meisten bedroht seien Bewohner Moskaus, die aus dem Nordkaukasus stammten. Im Gegensatz zu den aus den zentralasiatischen Republiken der ehemaligen Sowjetunion stammenden Asiaten haben diese die russische Staatsbürgerschaft. In der wirtschaftlich angespannten Situation würden Schuldige für die Lage gesucht – und man finde sie in den Migranten, so Gannuschkina. Die jahrelange Stimmungsmache sei auch an manchen ihrer Kollegen nicht spurlos vorübergegangen, gibt sie zu. »Gleichzeitig profitierten alle von den Migranten: Arbeitgeber zahlen Hungerlöhne, die Migranten arbeiten zu menschenunwürdigen Bedingungen auf vielen Baustellen Moskaus und für Reparaturarbeiten in Wohnungen, auf Datschas und Geschäften zieht man gerne Migranten hinzu. So profitieren alle in den russischen Metropolen von der billigen Arbeitskraft«, sagt Gannuschkina. Sollten die Ausschreitungen weitergehen, werden sich viele Arbeitskräfte nicht mehr in Russland nach einer Arbeit umsehen, sondern in die Ukraine oder nach Kasachstan gehen.

Die Fremdenfeindlichkeit ist inzwischen bei der bürgerlichen Mittelschicht und der regierungskritischen Oppositionsbewegung angekommen. Die Nationalisten bemühen sich um ein bürgerliches Auftreten und arbeiten eng mit anderen Oppositionsgruppen zusammen. Im 45köpfigen Rat der russischen Oppositionsbewegung haben die Nationalisten fünf feste Sitze und können sich bei Repressalien der Unterstützung ihrer liberalen und linken Kollegen sicher sein. Eine führende Nationalistin St. Petersburgs ist Olga Kurnosowa, die sich als Oppositionspolitikerin einen Namen gemacht hat.
Fans des Fußballvereines Zenit St. Petersburg hatten im vergangenen Jahr in einem großen Aufruf den Verein aufgefordert, keine schwarzen und homosexuellen Spieler zu engagieren. Auch der dänische Fußballprofi Michael Lumb, der bis Ende vorigen Jahres für Zenit spielte und Anfang 2013 vom VfL Bochum engagiert wurde, beklagte sich gegenüber der dänischen Zeitung Sporten.dk über den Rassismus im russischen Fußball.
Man braucht nur einmal mit der Moskauer U-Bahn zu fahren, um zu erkennen, welcher Wind denen entgegenweht, die eine dunkle Hautfarbe haben oder offensichtlich Moslems sind. Auf Schritt und Tritt werden sie von der Polizei angehalten, müssen sich ausweisen und nicht selten helfen nur Bestechungsgelder, um den Hütern des Gesetzes wieder zu entkommen.