Schlechte Nachrichten aus China für die deutsche Wirtschaft

Angst um den Absatz

Chinas Regierung möchte das Land mit Wirtschaftsreformen zum führenden Technologiestandort machen. In Deutschland rufen solche Pläne Besorgnis hervor.

Von Deutschlands Problemen können die meisten anderen Industrieländer derzeit nur träumen. Sorgen macht man sich um das deutsche Wirtschaftsmodell hierzulande trotzdem. Vor einem »Export-Einbruch« hatte die Investmentbankerin Christiane Krajewski, die im Kompetenzteam des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück für Wirtschaftspolitik zuständig war, im Juli gewarnt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die Betriebe zu »noch mehr Anstrengungen« angefeuert, um die Erfolge nicht preiszugeben. Dem vorausgegangen war die Mitteilung des Statistischen Bundesamts, dass sich die deutschen Exporte erstmals seit längerer Zeit rückläufig entwickeln. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres sind die Ausfuhren um 0,5 Prozent auf allerdings immer noch beachtliche 640,8 Milliarden Euro gesunken. Allein im Juli seien die Industrieaufträge um 2,7 Prozent gegenüber dem Vormonat zurückgegangen, in Relation zum Vorjahresmonat habe der Rückgang gar 4,8 Prozent betragen, so die Behörde. Ein größeres Minus hatte es zuletzt im November 2011 gegeben.

Die Ursache war schnell ausgemacht: »In den Schwellenländern ist es schlechter gelaufen«, sagte der Außenwirtschaftsbeauftragte des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. Zu Beginn des Jahres hatte er noch einen Zuwachs von sechs Prozent erwartet. »Und die Euro-Länder sind noch nicht so weit, um für unsere Exporte stärkere Impulse zu setzen.« Tatsächlich sind die Exporte in die Eurozone innerhalb des vorigen Jahres um sieben Prozent gesunken. Dieser Trend hält schon länger an, erstmalig kann er nicht durch Zugewinne im Handel mit den Schwellenländern ausgeglichen werden. Vor allem der Handel mit China – mit einem Gesamtvolumen von annähernd 140 Milliarden Euro ist er der größte jenseits des Austauschs mit den USA und der EU –, der in den vergangenen Jahren stets zweistellige Zuwachsraten zu verzeichnen hatte, entwickelt sich derzeit rückläufig. Im ersten Halbjahr 2013 betrug die Abnahme des deutsch-chinesischen Handelsvolumens spektakuläre 5,6 Prozent.
Ein Grund dafür liegt in der neuen Zielsetzung einer »nachhaltigen und gesunden Entwicklung«, die einen Monat nach der Wahl des neuen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Chinas, Xi Jinping, auf einer Wirtschaftskonferenz der Partei im Dezember 2012 bekanntgegeben wurde. Damit möchte man die Strategie des »stetigen und relativ schnellen Wachstums« ersetzen. Chinas Chance solle nicht mehr darin liegen, »in traditioneller Weise an der simplen globalen Arbeitsteilung teilzunehmen, Exporte zu steigern oder Investitionen zu beschleunigen«. Vielmehr müsse »die Ankurbelung von Binnenkonsum und eigenen Kräften zur Innovation« in den Vordergrund gestellt werden.

Nach den Vorgaben des Fünfjahresplans für den Zeitraum von 2011 bis 2015 soll Chinas Wirtschaftswachstum auf rund 7,5 Prozent im Jahr gesenkt werden. Die Zeiten der enormen Wachstumssteigerungen mit zweistelligen Zuwachsraten und hohen Staatsinvestitionen sollen damit weitgehend vorbei sein. Erste Maßnahmen in diesem Sinne sind die geringere Kreditexpansion seitens der chinesischen Zentralbank, die Verringerung von Subventionen für Auslandsinvestitionen und die leichte Aufwertung des Renminbi sowie die Anhebung der Mindestlöhne in vielen Provinzen. Weitere Reformen werden von der im November stattfinden Wirtschaftskonferenz der KP erwartet, bei der traditionell über die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik entschieden wird.
Zunächst hatte man vermutet, die Verteuerung der Exporte des Exportweltmeisters könnte den deutschen Konkurrenten nutzen. »China spielt deutschen Unternehmen in die Karten«, hatte die Wirtschaftswoche noch im Juli getitelt (und vor lauter Vorfreude »Karten« und »Hände« verwechselt). Langfristig könnten die Auswirkungen jedoch andere sein. Denn begleitet wird die neue Ausrichtung der chinesischen Wirtschaftspolitik von einer Modernisierung der Produktionsstätten. Beobachten kann man diese bereits in der Automobilbranche. Rund 20 Prozent der in China verkauften Autos tragen deutsche Markenbezeichnungen, beinahe 300 000 von ihnen, fast ausschließlich aus dem sogenannten Premium-Segment, wurden in Deutschland produziert. Nun hat die chinesische Regierung angekündigt, der heimischen Automobilindustrie in China größere Marktanteile verschaffen und sie zudem auch international konkurrenzfähig zu machen. Die Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC) will ihre Exporte um jährlich mindestens 130 Prozent steigern und bis 2015 mindestens 800 000 Fahrzeuge ins Ausland verkaufen. Ähnlich ehrgeizige Ziele verfolgt die Dongfeng Motor Corporation. Beide Staatskonzerne setzen dabei auf konkurrenzfähige Modelle bis in die gehobene Mittelklasse hinein.
Der deutschen Exportindustrie könnte also nicht nur ein Teil des Absatzmarkts in Fernost abhanden kommen, sondern selbst in Europa und den Schwellenländern könnten neue Konkurrenten entstehen. Was für die Automobilindustrie, den industriellen Kernsektor, gilt, sieht auch in anderen Wirtschaftsbereichen nicht anders aus. Die Studie »China investiert«, die die Munich Information Group in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München im April vorstellte, kommt zu dem Ergebnis, dass die chinesischen Investitionen immer mehr in die »Sicherung von strategischen Brückenköpfen« bei Patenten und in High-Tech-Bereiche geleitet würden. Über Staatsfonds sollen den privaten und vor allem staatlichen Unternehmen dafür angeblich 450 Milliarden Euro bereitgestellt worden sein. Ein Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der sich den deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen widmet, gelangt zu dem Ergebnis, dass die »massiven Anstrengungen« der Volksrepublik in fast allen »technologieintensiven Branchen« zu einer erheblichen Konkurrenz für die hier teilweise führenden deutschen Unternehmen führen könnte: »Damit wird China jedoch zunehmend in einen Standortwettbewerb um entsprechende Produktionen treten – auch mit Deutschland.«

Für die vom Export abhängige deutsche Wirtschaft ist das eine schlecht Nachricht. Im vorigen Jahr betrug der Außenhandelsüberschuss 188 Milliarden Euro. Der wichtigste Indikator für die Exportabhängigkeit ist die Exportquote, die das Verhältnis von Ausfuhren zum Bruttoinlandsprodukt darstellt. 2012 lag sie für Deutschland bei 41,5 Prozent, das europäische Statistik­amt Eurostat prognostizierte für 2013 sogar eine Exportquote von 44,1 Prozent. Die USA wiesen eine Quote von etwa 13 Prozent auf, Frankreich lag bei 21 Prozent und Großbritanniens Exportquote betrug 18,3 Prozent. Selbst Chinas Quote – das Land ist für elf Prozent aller weltweiten Ausfuhren verantwortlich – betrug lediglich etwas mehr als 25 Prozent. Angesichts dessen rief das DIW im bereits zitierten Bericht die EU und die künftige Bundesregierung dazu auf, »zügige Antworten« für die Verteidigung von deutschen Wettbewerbsvorteilen zu finden. Darauf, dass dieser Ruf ungehört verhallen wird, deutet nichts hin.