Angela Merkels Handy beschäftigt die Uno

Der Spion in Merkels Telefon

Es gehört zum internationalen Geschäft, dass sich Staaten gegenseitig bespitzeln. Doch wehe, ein Geheimdienst zapft das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin an. Dann bemüht Deutschland die Uno.

Der Mittwoch vergangener Woche war politisch ein grauer Tag. In Berlin hatten sich die künftigen Regierungskoalitionäre gegenseitigen Wohlwollens versichert, in Brüssel hatten die Euro-Parlamentarier mit 26 Stimmen Mehrheit beschlossen, das sogenannte Swift-Abkommen auszusetzen. Dem Beschluss wurde zunächst nicht viel Bedeutung beigemessen. Die wackeren Abgeordneten hatten es für unangemessen erachtet, der Schnüffelei US-amerikanischer Dienste durch die legale Bereitstellung von Daten europäischer Finanztransaktionen, die über das Telekommunikationsnetz Swift getätigt werden, rechtsstaatliche Weihen zu erteilen. Anlass für den Beschluss waren Berichte des brasilianischen Fernsehsenders Globo, denen zufolge Mitarbeiter des US-Geheimdienstes sich trotz des Abkommens in den Swift-Server eingehackt hatten. Doch beendet würde die Bereitstellung von Daten erst, wenn die EU-Kommission und mindestens zwei Drittel der Mitgliedsstaaten zustimmten. Das war für das tags darauf beginnende EU-Gipfeltreffen nicht zu erwarten.

Vor allem Deutschland hatte sich für das Swift-Abkommen eingesetzt, sichert es doch auch den Europäern einen Zugriff auf die Finanzkommunikation, die über US-Server läuft. Und davon verspricht sich die europäische Führungsmacht Deutschland einiges für ihren Kleinkrieg gegen »Steuersünder«. Deshalb soll Spiegel Online zufolge der amtierende Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) »massiven Druck auf die deutschen Unions-Europa-Abgeordneten ausgeübt« haben. Der Europa-Abgeordnete Manfred Weber (CSU) habe dem Magazin nach der Abstimmung mitgeteilt, man solle gefälligst die USA »nicht vorverurteilen«.
Doch am Mittwochabend sah dann alles schon ganz anders aus. Knapp eine Stunde vor Beginn der »Tagesschau« war es Gewissheit: Die Amis hatten sich an Mutti vergangen – sogar an Mutti! Eine auf Unterlagen des »Whistleblowers« Edward Snowden basierende Recherche des Spiegel hatte ergeben, dass die deutsche Kanzlerin offenbar – wie Millionen andere auch – jahrelang von der NSA per Mobilfunküberwachung belauscht worden war. Ein US-Regierungssprecher hatte dies indirekt eingestanden, als er die Überwachung für Gegenwart und Zukunft ausschloss, aber nicht für die Vergangenheit.
Das Handy der Kanzlerin angezapft zu haben, könnte sich als verhängnisvoller Schritt der NSA erweisen, der die antiamerikanische Stimmung schürt. Denn ihren Aufstieg zum kollektiven Ich-Ideal einer Mehrheit deutscher Wähler verdankt Merkel wesentlich der Fähigkeit, regressive Tendenzen ihres Publikums in Sprache und Habitus zu verkörpern. Die Verklärung zur Mutti der Nation, die nicht nur von hartgesottenen Christdemokraten gepflegt wird, beruht unter anderem auch auf dem ungehemmten öffentlichen Herumspielen mit dem Handy. Der vor allem durch stoisches Glotzen aufs Display und verbissenes Tastendrücken erzeugte Eindruck einer nur partiellen Anwesenheit stellt die nationale Gesamthaltung des sinn- und perspektivlosen Durchwurstelns treffend dar und legt nahe, Merkel sei eine »von uns«, eine, die zwar auch nicht viel schlauer ist als »wir«, aber Führungsqualitäten hat – eine ideale Mutti eben.

An jenem Mittwochabend hieß es zuerst, das »private Handy« der deutschen Kanzlerin sei belauscht worden, dann war die Rede vom »Diensthandy«. Am nächsten Morgen schien der Tagesspiegel Besonnenheit anzumahnen: Es handele sich »nicht um das Diensthandy der Kanzlerin, sondern um ein Handy, das für die Parteiarbeit genutzt« werde. Trotzdem sehr schlimm: »Damit würde es sich aber immer noch um einen sehr ernsten Vorgang handeln.« So ernst, dass am gleichen Tag in Berlin das wohl am schwersten wiegende diplomatische Vorgehen gegen die USA seit der Kriegserklärung vom 8. Dezember 1941 zu verfolgen war. Der US-Botschafter wurde vom deutschen Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zwecks Entgegennahme scharfen Protests einbestellt. Merkel und die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff arbeiten zudem an einer UN-Resolution, in der die USA zwar nicht explizit genannt werden sollen, die aber eindeutig als symbolischer Protest gegen die Spähmaßnahmen der NSA zu verstehen ist. Brasilien und Deutschland werben bereits um Unterstützung in der UN-Vollversammlung.
Um deutsche Belange kümmerte sich traditionsgemäß ein SPD-Patriot. Der auf den Posten des Innenministers hoffende Thomas Oppermann verkündete: »Wer die Kanzlerin abhört, der hört auch die Bürger ab.« Er vermied aber mit Rücksicht auf das mögliche künftige Amt harsche nationalistische Angriffe auf die Kanzlerin, mit denen im Wahlkampf der gescheiterte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück aufgefallen war. Christian Ströbele (Grüne) entwickelte den Oppermannschen Gedanken etwas weiter und forderte die übliche »lückenlose Aufklärung«. Katja Kipping, die Vorsitzende der Linkspartei, griff eine Formulierung Merkels auf und lamentierte: »Das wäre der schwerste anzunehmende Vertrauensbruch unter Freunden.« Dann erwies sie sich als Musterdemokratin: »Das muss eine Angelegenheit des Bundestags werden. Alle Fakten und Hinweise müssen auf den Tisch des Parlaments.«
»Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht«, hatte Merkel vor dem EU-Gipfel in Brüssel gesagt und hinzugefügt: »Das gilt für jeden Bürger und jede Bürgerin in Deutschland. Dafür bin ich als Bundeskanzlerin auch verantwortlich, das durchzusetzen.« Sinngemäß heißt das, Muttis Kinder haben einander nicht auszuspähen – von anderen Staaten ist nicht die Rede. Ungeschickt formuliert oder nicht, verweist Merkel auf die Möglichkeit durchaus legitimen Ausspähens. Wahrscheinlich hatte der US-Außenminister John Kerry während seiner Pressekonferenz in der Pariser Botschaft am 22. Oktober genau dies gemeint: Geheimdienstlich unternähmen die USA nur, »was alle Staaten tun«. Auch der US-Regierungssprecher Jay Carney hatte am Mittwoch vergangener Woche gesagt: »Wir sammeln geheimdienstliche Informationen genau wie ähnliche Dienste anderer Länder.«

Dies scheint sich sogar in Merkels Reihen herumgesprochen zu haben. Die Süddeutsche Zeitung berichtet über ein Treffen von Vertretern der EU und USA: »Die Amerikaner gaben sich nonchalant: Man habe kein Problem damit, über solche unappetitlichen Dinge wie Spionage zu sprechen. Aber dann sollte man auch darüber reden, was die Europäer treiben. Danach war es, wie Teilnehmer berichten, im Raum doch eher ruhig. (…) Merke: Die EU hat ein Cosi-fan-tutte-Problem.« Ja, so machen es alle. Aber gewisse Unterschiede müssen einfach bestehen bleiben: »Jenseits der Doppelzüngigkeit, die in der Debatte herrscht, täten die Europäer gut daran, den Amerikanern zu signalisieren, dass sie sich unge­hörig viel herausnehmen.«
Gut gebrüllt, Löwe. Auf dem EU-Gipfeltreffen wurde das Swift-Abkommen dennoch nicht ausgesetzt. Aber eine »Arbeitsgruppe« soll unter Leitung von Mutti Merkel und Onkel Hollande mit den USA »gemeinsame Regeln für die Geheimdienstarbeit« entwickeln.