Man in black

Noch konnte ihn die moderne Welt nicht ganz in die Vergangenheit abschieben, auch wenn er selten geworden ist. Doch sobald es kälter wird, die Tage kürzer und die Nächte länger werden, sieht man ihn wieder durch die Stadt ziehen: den Kohlenträger.
Schon seinetwegen möchte ich meine Kachelöfen nicht eintauschen, auch mein CO2-Fußstapfen interessiert mich nicht, denn weniges ist so beruhigend wie ein oder zwei Tonnen Briketts im Keller. Ende September, Anfang Oktober rufe ich den Kohlenhändler an, der kein Internet, keine Homepage hat, nur ein Telefon und ein Kellergeschäft. Ein paar Tage später kommt der Kohlenträger, ich renne, sobald es an der Tür klingelt, auf die Straße und da steht er, ganz in Schwarz, mit Kohlenstaub im Gesicht, nur die Augenhöhlen stechen weiß hervor, da setzt sich kein Kohlekrümel ab.
Er öffnet die Ladeklappe des dunkelroten Transporters, Jahrgang 1965, auf dem die Holzkiepen mit Briketts stehen, hakt einen Ledergurt in die Rückwand der Kiepe, schlingt das Band um den Arm und hebt die Kohlen auf den Rücken. Mit runden 75 Kilo geht es rückwärts die enge Kellertreppe hinunter. Viele, viele Male muss er diese Prozedur wiederholen und ich stehe daneben und rauche. In den vergangenen Jahren wurden meine Kohlelieferungen von Journalisten aus aller Welt begleitet. Sie schießen Fotos meines Kellers für Magazine in Japan, Schweden und Italien. Der Kohlenmann und ich werden von ihnen bestaunt, als wären wir direkt dem Roman »Berlin Alexanderplatz« entsprungen, beliebtestes Motiv ist eine Aufnahme des Kellerfensters mit Original-Spinnweben, davor die gestapelten Briketts, am Rand der schwitzende Kohlenmann.
Der Journalist aus Italien war der gesprächigste, man könnte ihn fast geschwätzig nennen. Wie viele Briketts ich trage, wie viele ich im Jahr verbrauche, warum ich so heize, was meine Bekannten dazu sagen, das sind so die Standardfragen. Der Italiener war originell und fragte, wie sich das alles anfühle. »Lass es ihn doch selber ausprobieren«, schlug der Kohlenmann vor. »Dann hab ich ein paar Minuten Ruhe vor ihm und du hast die erste Fuhre oben«, fügte er leiser hinzu. Ein kluger Mann. Ich befüllte sogleich meine zwei Eimer. »Das ist doch ein Kerl, pack mal ordentlich rein.« Okay, also 14 Stück pro Eimer, ich schaff schließlich auch 13. Der Journalist war entsetzt, wollte sich aber auch keine Blöße geben. »In welchen Stock?« »Dritter.« Nach wenigen Stufen fing er unter der Last an zu keuchen, seine Bewunderung für mich wurde grenzenlos, ich muss ihm wie die stärkste Frau der Welt erschienen sein. Wieder unten angelangt, war meine Tonne bereits komplett aufgestapelt, der Kohlenmann wischte sich nur einmal lässig über die Stirn. Keine große Sache für ihn. Für mich schon.