Linke für Assad in Duisburg

Nach Maßstäben des Nahen Ostens

In Duisburg luden Mitglieder der Links­jugend und Antiimperialisten zu einer Werbeveranstaltung für den syrischen Diktator Bashar al-Assad. Die Weltrevolution brach nicht aus.

Die Frau war empört und um knackige historische Vergleiche nicht verlegen: »Wir sind illegal hier – wie in der NS-Zeit. Die Uni hat sich den Antideutschen angeschlossen, die gegen die Veranstaltung gehetzt haben. Bitte verhaltet Euch ­leise.« Etwa 120 Personen hatten sich am Donnerstag vergangener Woche gegen 19 Uhr in dem Seminarraum auf dem Duisburger Campus der Universität Duisburg-Essen eingefunden. In kleinen Gruppen waren sie über das herbstliche Hochschulgelände gezogen, weil der eigentlich für die Podiumsdiskussion vorgesehene Hörsaal LB 104 verschlossen war.
Der Asta hatte seine Unterstützung für die Veranstaltung zurückgezogen, die Bundessprecher der Linksjugend Solid hatten sich von der Veranstaltung distanziert, zu der die Linksjugend Duisburg und die Antiimperialistische Aktion eingeladen hatten. Neben Salim Tas, dem Generalsekretär des Europäischen Zentralrats der Alawiten und Vorsitzenden des Bundes der Alawitischen Jugend, und Joachim Guilliard vom Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg, sollte dort mit Abdullah Abdullah, einem Mitglied der Arabisch Sozialistischen Einheitspartei Syriens und Abgeordneten im syrischen Parlament, ein Gefolgsmann von Bashar al-Assad reden, das ging Solid zu weit. Die klandestine Atmosphäre wurde noch verstärkt, als eine Warnung vor angeblich »Antideutschen« die Runde machte, die planten, die Veranstaltung zu sprengen. Das Zentrum des globalen antiimperialistischen Kampfes lag an diesem Donnerstag in Duisburg.

Mit einer umfangreichen historischen Einführung durch den Generalsekretär des Europäischen Zentralrats der Alawiten begann die Veranstaltung schließlich nach einer gut einstündigen Wartezeit, die sich das Publikum zum Teil mit dem Lesen der Tageszeitung Junge Welt und alter MLPD-Flugblätter zu verkürzen wusste. Salim Tas zeichnete in seinem Vortrag die Geschichte des Nahen Ostens seit Mitte des 19. Jahrhunderts nach, informierte seine Zuhörer über den Beginn der jungtürkischen Bewegung ebenso wie über den Untergang des Osmanischen Reiches, das vergebens versucht habe, durch eine Reihe von Reformen wie die Zulassung von Christen als Zeugen vor Gericht Anschluss an die Moderne zu finden – immer behindert von reaktionären Kräften, die der Idee des modernen Nationalstaats mit verbrieften Bürgerrechten das Konzept der sunni­tische Umma, der Gemeinschaft aller Rechtgläubigen, entgegensetzten. Ein Konflikt, der immer noch anhalte und die religiösen Gruppen zu Feinden der mehr oder weniger säkularen Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches mache, zu denen auch Syrien gehöre. Für Tas ist das heu­tige Syrien ein »nach den Maßstäben des Nahen Ostens« demokratischer Staat. Sicher, es könne immer noch besser laufen, aber die Regierung werde bei den Wahlen immerhin von 80 Prozent der Bevölkerung bestätigt, bis auf zwei würden auch alle Parteien des Landes Assad unterstützen.
Der Aufstand in Syrien sei so auch ein Aufstand einiger weniger religiöser Fundamentalisten, die von Terroristen aus dem Ausland massiv unterstützt würden: Aus über 100 Ländern kämen die Feinde des demokratischen und säkularen Syrien. Dass die syrische Staatsmacht sich nur durch die Unterstützung des ebenso wenig säkularen wie demokratischen Iran und der libanesischen Terrororganisation Hizbollah gegen die Aufständischen zu behaupten weiß, ignorierte Tas ebenso wie die seit Jahrzehnten gut dokumentierten Menschenrechtsverletzungen und die Cliquenherrschaft des Assad-Clans, der sich traditionell eher um die Mehrung seines Milliardenvermögens als um die Entwicklung des Landes kümmert.
Das störte etliche Besucher. In der kurzen Diskussion nach Tas’ Vortrag warfen sie ein, es gebe sehr wohl eine alawitische Vorherrschaft und Syrien sei alles andere als eine Demokratie. Nach Tas’ Rede verließen 30 Zuhörer den Raum, der sich dann während des Auftritts des zweiten Redners noch schneller leerte.
Joachim Guilliard vom Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg trug seine Thesen lustlos und langatmig vor. Für ihn war klar: Der Konflikt wurde von außen geschürt. »Der Syrien-Konflikt reiht sich ein in die Aggressionen gegen den Irak und Libyen.« Der Irak, Sudan, Afghanistan und Libyen hätten es hinter sich, nun sei Syrien dran, das letzte Ziel sei der Iran. Die Methode der imperialistischen Hauptmacht USA sei immer die gleiche: Wirtschaftskrieg, Sabotage und Förderung von Separatisten. »Alle diese Länder sind reich an Rohstoffen oder geostrategisch wichtig und haben sich nicht den westlichen Staaten untergeordnet.«
Angesichts der vielen Fotos des mittlerweile gestürzten und getöteten ehemaligen libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi, auf denen er bei Staatsbesuchen lächelnd die Hände westlicher Regierungschefs schüttelt, ist das eine kühn anmutende These. Aber Guilliards Weltbild ist offenbar von betonter Schlichtheit: Die Staaten des Westens bildeten eine Achse des Bösen, ihre Feinde gelte es zu unterstützen – offenbar gleichgültig, ob sie Menschen verhungern lassen wie in Nordkorea, wie in Syrien die Armee auf Kinder hetzen oder wie im Iran Homosexuelle an Kränen aufhängen.

Aber zum Glück sind die Imperialisten nicht nur heimtückisch, sondern auch dumm: Die USA verlören an Einfluss, der große Aufsteiger sei China, sagt Guilliard. In Afghanistan und im Irak sei die US-Strategie nicht aufgegangen, die neue irakische Regierung stehe zum Iran. Diesen fürchteten die USA: »Der Iran hat einen hohen Bildungsstand, ist technisch hoch entwickelt und wenn sich das Land ungestört entwickeln könnte, hätte es gute Chancen – deswegen lassen die USA das auch nicht zu.« Dass der Iran zumindest unter dem Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad Israel offen mit der Vernichtung drohte, dass das wohl größte Hindernis auf dem Weg des Landes zu einem wunderbaren Absatzmarkt für iPhones und Porsches ein klerikales Regime ist, das die eigene Bevölkerung unterdrückt, ist dem lustlos und routiniert wirkenden Welterklärer kein einziges Wort wert.
Seine ganze Heimtücke offenbarte der Imperialismus bei dem dritten Teilnehmer der Podiumsdiskussion: Abdullah Abdullah, Mitglied der Arabisch-Sozialistischen Einheitspartei Syriens, Abgeordneter im syrischen Parlament und Vorsitzender des Nordkoreanisch-Syrischen Freundschaftsvereins, sollte von Damaskus aus via Skype zugeschaltet werden. Doch Skype, in der Hand des US-Konzerns Microsoft, zeigte sich ebenso tückisch wie das Internet, das schließlich im Auftrag der US-Militärs erfunden worden war. Als Assads Gefolgsmann nach einer halben Stunde beherzten Herumklickens endlich gut sichtbar und laut hörbar auf einem Monitor in Duisburg erschien, waren nur noch ungefähr 30 der ursprünglich 120 Teilnehmer anwesend. Mehrere von ihnen hatten beim Verlassen des Raumes ihren Unmut darüber bekundet, dass der Abend kaum mehr als eine platte Assad-PR-Show gewesen sei.
Genosse Abdullah erwies sich als getreuer Diktatorenknecht. Seine Partei arbeite mit Assad in Fragen von Recht und Ordnung zusammen, Syrien sei ein Opfer, sagte er. »Die Terroristen werden von den Golf-Staaten und vom Westen mit Geld und Logistik unterstützt. Die Türkei hilft den Terroristen, die Waffen über die Grenze zu schmuggeln. Wir hatten gute Verhältnisse zu ­allen arabischen Staaten und besonders zur Türkei, deswegen waren die Grenzen nie besonders gesichert, aber die anderen Staaten haben uns verraten.« Glaubt man den Worten des Mannes, muss die innenpolitische Lage in Syrien hervorragend sein. In den vergangenen Jahren habe es etliche Reformen gegeben, die Behauptungen in der Presse, manche Gruppen besäßen in Sy­rien nicht die gleichen Rechte wie andere, seien eine Lüge. »Es gibt keine Unterschiede zwischen Rassen, Religionen und Geschlecht«, sagte Abdullah.

Als die Leitung zu ihm abgestellt wurde, war kaum noch jemand im Raum. Es war fast zehn Uhr abends, die Veranstaltung war weder von Antideutschen gestürmt noch vom Sicherheitsdienst der Hochschule beendet worden. Die verbliebenen Teilnehmer gingen hinaus in die ungewöhnlich milde Herbstnacht. Eine in die Jahre gekommene Anhängerin der MLPD sammelte am Ausgang Geld für die Weltrevolution.