Das neue Album von Mazzy Star

Unwohlsein vor Publikum

Mazzy Star gehören zu den wenigen Bands im Popgeschäft, die das Schweigen dem pausenlosen Plappern über sich selbst vorziehen. Nun ist das Duo aus Südkalifornien mit einem neuen Album zurück – nach 17 Jahren Pause.

Miley Cyrus trägt ein gestreiftes Schwänzelhöschen und flippert gerade in der Zentrale von Twitter. Toll. Lady Gaga hat eine Sinnkrise, nein, ach was, richtige Depressionen? Kunst soll ja helfen, manchmal. Apropos Krise: Wie geht’s wohl Justin Biebers Weißschulterkapuzineräffchen? Mally, genau. So süß. Ob es sich gut eingelebt hat im Serengeti-Park Hodenhagen?
Gerede und kein Ende. Man könnte sich darüber aufregen, doch würde das bedeuten, einen der Hauptreize populärer Kultur zu verleugnen: das permanente Gequatsche über jeden noch so trivialen Unsinn. Also, verleugnen wir höflich und freuen uns über die beinahe schon brutal anmutende Konsequenz, mit der sich Gitarrist David Roback und Sängerin Hope Sandoval – besser bekannt als Mazzy Star – medialer Wissbegier stets zu verschließen wussten. Nach dem Motto: Was dich etwas angeht, lieber Journalist, Fan oder neugieriger Hörer, das erzählt dir unsere Musik. Alles andere ist unsere Sache, auf Wiedersehen.
Der freundlichste Begriff, den das Popbusiness für derlei rigorose Abschottungsmanöver kennt, lautet »Unnahbarkeit«. »Schroff« und »unfreundlich« wurde das südkalifornische Duo selbstverständlich auch genannt. Und wenn Roback und Sandoval das im Pop ungemein selten anzutreffende Gefühl hatten, nichts wahnsinnig Wichtiges mitteilen zu müssen? Oder einfach bloß schüchtern waren, ein wenig ängstlich womöglich? Von Hope Sandoval weiß man jedenfalls, dass sie das Rampenlicht scheute. Den Blick von der Bühne in den Zuschauerraum vermied sie, lieber schaute sie an sich runter, nach innen oder gleich ins große Nichts. Unwohlsein vor Publikum – wie weit mag diese Krankheit, die keine ist, im Pop verbreitet sein?
Mazzy Star also. Mazzy Star? Doch, da war wirklich mal was, etwas sehr Schönes sogar. Die letzten 17 Jahre allerdings nicht, da machte die 1989 gegründete Band eine sehr, sehr große Pause. Natürlich wurden Mazzy Star nach ihrem dritten Album »Among My Swan« (1996) von ihrer gar nicht mal kleinen Fangemeinde vermisst. Die 1966 in Los Angeles geborene Hope Sandoval lieferte denn auch prompt ein paar unnachahmlich typische Sandoval-Gesangsbeiträge für Air, The Jesus and Mary Chain und Massive Attack, und gründete eine eigene Band namens Hope Sandoval & The Warm Inventions, die sich ungefähr so anhört wie Mazzy Star, aber eben nicht ganz.
Narkotisch, traumverloren, ätherisch – die Reihe allzu häufig bemühter Metaphern und Bilder, um Hope Sandovals Stimme, ihren melancholischen, an den Silbenenden der Worte losschwebenden Flüstergesang zu fassen, ließe sich leicht fortschreiben. Beliebig würde sie nicht, sehr wahrscheinlich bliebe sie redundant. Worin sich eine generelle Einfalls- oder Hilflosigkeit ausdrückt, sofern es mal wieder darum geht, eine gesangliche Inszenierung schreibend zum »Singen« zu bringen. Ist es tatsächlich so, dass man über Musik so wenig gut schreiben kann, wie es sich zu Architektur sinnvoll tanzen lässt? Bestimmt. Aber interessanter ist ja gerade, dass Mazzy Star wieder da sind – mit einem neuen Album. Doch weshalb eigentlich und warum jetzt? Weil mal wieder Herbst in Europa ist? Schweigen im Walde. Vermutlich hatten sie einfach Lust dazu.
Träumen, driften, mehr oder weniger schwer unglücklich sein, mindestens mysteriös melancholisch. Davon singen, oder vom Ozean, von der Liebe und von Freunden – und trotzdem beharrlich schweigen. Auch über technische Schaffenshintergründe und etwaige Sinnhorizonte von »Seasons of Your Day« erfährt man nahezu nichts. Aufgenommen wurden die Stücke in den letzten 15 Jahren in Kalifornien, Großbritannien und Norwegen. »Musik für Liebende«, »Musik für gebrochene Herzen« sei es. Andererseits: Muss man mehr wissen?
Es liegt ja alles vor einem, das Wesentliche zumindest. Der Hauch rätselhafter Untröstlichkeit in Hope Sandovals ewiger Mädchenstimme. Der geheimnisvolle Hall auf allem. Die bedächtige Langsamkeit, die einen sanft schunkelnd im Nirgendwo versinken lässt. Das reduzierte Gitarrenspiel aus Blues-, ­Psychedelic-, Folk- und Country-Akkorden. Die Pedal-Steel-Guitar, gleitend geleitend, nie zu kraftvoll. Dazu homöopathisch verschleierte Ahnungen von durchscheinenden Synth-Sounds. Ein Schlagzeug, eine Orgel ab und an. Und ein paar Streicher für den Himmel. Es ist wie immer. Und Hope Sandoval singt: »Does someone have your baby now/Does someone flame your fire and day/Count your skies in the dark/And turns your head around/I’m always on the run and I hate copy paste for god’s sake«.
Dream-Pop heißt so etwas inzwischen – eine der am häufigsten verwendeten Genrebezeichnungen der vergangenen zehn Jahre. Was nicht bedeutet, dass die kalifornischen Paisley-Underground-Bands Rain Parade und Opal (mit denen David Roback eine frühe Spielart von Neo-Psychedelic entwarf), dass die Cocteau Twins, Spacemen 3, TV Personalities, Galaxie 500 oder Slowdive weniger große Träumer gewesen wären. Ihre Musik nannte sich nur anders als jene, die gegenwärtig von Beach House, The XX oder Lower Dens gespielt wird. Und weil die Alben der neuen oder neueren Bands aus verblüffend ähnlich gewobener Gefühlsteppichware bestehen, muss man sich beim Anhören von Mazzy Stars »Seasons of Your Day« auch gar nicht an die guten alten Neunziger erinnert fühlen. Aber man kann das natürlich ganz nostalgisch tun. Wenn man sich dann besser fühlt.
Dream-Pop also? Ach Gott, warum nicht. Philosophen, Soziologen und Musikjournalisten brauchen Begriffe, sonst können sie die Welt nicht begreifen. Mazzy Star interessiert das alles sowieso nicht, sie leben in ihrer ­eigenen kleinen Welt. Eine Welt muss das sein, in der es wenig Gerede gibt. Das Wort »modern« kennt dort längst niemand mehr. Und wer weiß? Vielleicht ruht die Zeit sich dort ab und an aus, von ihren digitalisierten Strapazen draußen. Mehr, liebe Leser, müssen Sie nicht wissen.

Mazzy Star: Seasons of Your Day (Rhyms of an Hour/Rough Trade)