Die Koalitionsverhandlungen zur Energiepolitik

Kohle dank Kohle

Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD geht es auch um die Energiepolitik. Es zeichnet sich ab, dass diese unter der künftigen Bundesregierung nicht umweltfreundlicher wird.

Vor etwa einem Jahr drängte der Delegierte der Philippinen, Naderev Sano, auf der UN-Klimakonferenz in Doha die Delegierten zu mehr Klimaschutz. Gerade hatte der Taifun »Bopha« das aus vielen Inseln bestehende Land verwüstet und fast 500 Menschen getötet. »Mit jeder Stunde, während wir hier noch schwanken und vertagen, steigt die Zahl der Toten«, versuchte Sano die Delegierten zum Handeln zu bewegen. Vergebens – auch bei der Bundesregierung stieß er auf taube Ohren. Im vergangenen Jahr stiegen die klimaschädlichen CO2-Emmissionen in Deutschland nach jahrelangem Rückgang das zweite Mal in Folge an, um 20 Millionen Tonnen. Das war unter einer schwarz-gelben Regierung. Der Taifun »Hai­yan« Anfang November hat wahrscheinlich mehr als 10 000 Menschen auf den Philippinen das Leben gekostet und es wird sicher nicht die letzte Katastrophe sein, die Forscher zumindest indirekt auf die Klimaerwärmung zurückführen. Bald wird die SPD in Deutschland wieder an der Regierung beteiligt sein. Aber klimafreundlicher wird die Politik der künftigen Bundesregierung nicht.
»Eines der ersten großen Projekte der neuen Bundesregierung wird eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes sein«, kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an. Es gehe vor allem darum, die Steigerung der Energiekosten zu dämpfen. Die bei den Koalitionsverhandlungen zuständige Arbeitsgruppe wird von dem christ­demokratischen Umweltminister Peter Altmaier und der sozialdemokratischen nordrhein-west­fälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft geführt. Kraft gilt als beinharte Befürworterin von Kohlekraftwerken. An ihrer Seite verhandeln für die SPD weitere Freunde des Klimakillers wie Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und der saarländische Wirtschaftsminister Heiko Maas. Ihnen gegenüber sitzen ebenfalls ausgewiesene Kohleanhänger wie der nordrhein-westfälische CDU-Landesvorsitzende Armin Laschet. Trotz des Strukturwandels schlägt in Nordrhein-Westfalen noch immer das industrielle Herz der Bundesrepublik, außerdem befinden sich dort große Energieerzeuger und es entsteht der europaweit größte Braunkohletageabbau. Die großen Parteien machen sich die Interessen dieser Akteure immer wieder zu eigen, auch bei den Koalitionsverhandlungen.

Erste Eckpunkte der künftigen Energiepolitik stehen fest. So verzichten die Unterhändler auf Zielsetzungen, die sich die schwarz-gelbe Regierung noch gab. Dazu gehören die Vorgaben zur Senkung des Stromverbrauchs, den FDP und Union bis 2020 um zehn Prozent gegenüber 2008 herabsetzen wollten, und des Wärmebedarfs. »Das ist ein Offenbarungseid«, kritisierte Bärbel Höhn, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen und frühere Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen. »Strom einsparen ist der billigste und beste Weg bei der Energiewende. Hier kann man locker 15 große Kohlekraftwerke in den nächsten Jahren einsparen.« Doch statt Einsparungen bei den Klimakillern sind sogar Prämien für Gas- und Kohlekraftwerke im Gespräch.
Bei der Förderung der erneuerbaren Energien wird es starke Einschnitte geben. »Bei windstarken Standorten werden wir die Fördersätze deutlich senken«, heißt es in dem Formulierungsvorschlag der Unterhändler für den Koalitionsvertrag. 40 Prozent der durch Windkraft erzeugten Energie stammen aus dem Norden. SPD und Union wollen die Zahl der geplanten Windparks in Ost- und Nordsee drastisch reduzieren. Die Küstenländer wollen die Windenergie aber ausbauen. Je weniger Energie durch Wind auf dem Meer produziert werde, desto mehr Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen würden benötigt, kritisierte der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD). Windenergie ist für die Küstenländer eine Möglichkeit, das Wegbrechen anderer Branchen wie der Werften zu kompensieren. Die Kappung trifft auch Länder wie Baden-Württemberg, die die Windenergie ausbauen wollen, weil ihnen früher oder später die Atomenergie fehlen wird. Am Ausstieg aus der Atomenergie immerhin wollen Union und SPD festhalten. Energie aus Biomasse soll weniger gefördert werden, um den Maisanbau nicht weiter zu begünstigen. Bei der Solarenergie sehen die Verhandlungspartner keinen Handlungsbedarf. Hier hatte die schwarz-gelbe Regierung 2012 schon kräftig die Förderung gekürzt. Einigkeit besteht darüber, dass der Anteil der erneuerbaren Energien bis 2020 auf 40 Prozent steigen soll. Wie es bis 2030 weitergeht, ist noch strittig. Die SPD will dann einen Anteil von 70 Prozent, die Union von 50 bis 55 Prozent. Über diese und andere offene Fragen wird die Arbeitsgruppe Energie in den kommenden Wochen verhandeln.

Der Slogan, mit dem die Sozialdemokraten ihre Energiepolitik verkaufen, klingt wie Werbung für ein stark tensidbelastetes Waschmittel. Die Energiewende solle »sauber, sicher und bezahlbar« werden. Aber billiger wird der Strom nicht. »Der Strompreis wird durch die geplanten Maßnahmen so gut wie gar nicht gesenkt, da der größte Teil der Preissteigerungen auf Industrie-Ausnahmen und gesunkene Börsenpreise zurückgeht«, so die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert. Dabei sind die Energiekosten für viele tatsächlich zu hoch. Die damalige rot-grüne Regierung hatte den Erzeugern erneuerbarer Energien Festpreise zugesagt, um den Ausbau zu beschleunigen. Liegt der Marktpreis darunter, erhalten sie einen Ausgleich – der soll nach dem Willen der Unterhändler schrittweise abgebaut werden. Der von Rot-Grün gesetzte Anreiz hat sehr gut funktioniert, zu gut. Mit der Folge, dass die Ausgleichsabgabe rapide gestiegen ist, weil die Preise an den Strombörsen gesunken sind. Der Ausgleich zwischen Marktpreis und versprochenem Festpreis wird über eine Umlage finanziert, die hauptsächlich private Verbraucher und Betriebe aus Branchen mit wenig Energiebedarf zahlen. Unternehmen, die viel Energie verbrauchen oder sich einen hohen Verbrauch zurechtrechnen, bekommen großzügige Rabatte.

Der Strompreis hat sich für private Haushalte seit dem Jahr 2000 verdoppelt. Mehr als 300 000 Haushalten wird jährlich der Strom abgestellt, weil sie die Rechnung nicht zahlen können, mehr als 800 000 sind davon bedroht. Anders als die Industrie erhalten sie keinen Nachlass. Für sie sieht die Große Koalition »intelligente Stromzähler« nach dem Prepaid-System vor. Für die Förderung erneuerbarer Energien müssen Verbraucher für jede Kilowattstunde 5,23 Cent zusätzlich zum Preis zahlen. Großabnehmer zahlen dagegen nur 0,05 Cent pro Kilowattstunde. Das entspricht einer indirekten Subventionierung von sieben bis acht Milliarden Euro im Jahr. Mittlerweile fließen 17 Prozent des in Deutschland gehandelten Stroms an Unternehmen, die den Rabatt bekommen. Das Bundesumweltministerium geht nach derzeitigem Stand davon aus, dass die Umlage für Verbraucher im Jahr 2014 bei 6,24 Cent je Kilowattstunde liegen wird. Ohne Rabatte läge sie bei 4,89 Cent.
Die Industrie kämpft um die Beibehaltung des Privilegs. Ohne Unterlass drohen Lobbyisten mit dem Abbau von Arbeitsplätzen und Abwanderung für den Fall, dass die Vergünstigung wegfällt. So beeinflussen sie die Öffentlichkeit, denn die Großkoalitionäre sind ohnehin auf ihrer Seite.
Weil Kraft und Altmaier fürchten, dass die Rabatte über die Europäische Union durch Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia wegen unerlaubter Subventionierung kassiert werden, sind sie gemeinsam in Brüssel vorstellig geworden. Wird die Regelung kassiert, drohen Unternehmen Rückzahlungen bis ins Jahr 2003. »Wenn Wett­bewerbskommissar Joaquín Almunia morgen ein Prüfverfahren eröffnen würde, dann würden die Unternehmen sofort Rückstellungen bilden müssen, es würde sich auf ihr Rating auswirken«, sagte Kraft. »Das kann für einige Unternehmen, wie etwa in der Grundstoffindustrie, zur existen­tiellen Bedrohung werden.« Das wollen SPD und Union verhindern, indem sie Zugeständnisse machen. Man sei sich darüber einig, dass Unternehmen begünstigt würden, denen es nicht zustehe, sagte Kraft. Nur nennen wollen sie und ihre Verhandlungspartner diese Firmen nicht. Und so ist zu befürchten, dass Unternehmen wie Großschlachtereien weiterhin Rabatte bekommen und bei deren Berechnung auch noch davon profitieren, dass sie Arbeitskräfte nicht vernünftig anstellen, sondern über Werkverträge Lohndumping betreiben.