Blumen für Khamenei
Hätten die Mullahs im Iran den Genuss geistiger Getränke nicht schon lange unter Strafe gestellt, wären am Sonntag in Teheran zur Abwechslung wohl ein paar Sektflaschen geköpft worden. Der oberste geistliche Führer im Iran, Ali Khamenei, zeigte sich vollauf zufrieden mit dem Genfer Atomabkommen. Und das völlig zu Recht: Das Abkommen akzeptiert den Schwerwasserreaktor in Arak, der neben der Urananreicherung einen zweiten Weg zur Bombe mittels Plutoniumproduktion bietet, und gestattet die Fortsetzung der Urananreicherung. Die Infrastruktur des Nuklearprogramms bleibt vollständig intakt. Keine einzige der rund 20 000 Zentrifugen im Iran wird verschrottet. Lediglich die Installation neuer Zentrifugen wurde untersagt, nicht aber der Bau, die Forschung und Entwicklung von und an neuen Zentrifugen. Die Infrastruktur zur Entwicklung von Nuklearwaffen wird in sechs Monaten wohl noch weiter ausgebaut sein als heute.
Das Abkommen ist ein klarer Verstoß gegen die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats von 2006, die in den Folgejahren immer wieder bekräftigt wurden und unmissverständlich die vollständige Einstellung der Urananreicherung im Iran fordern. Das iranische Regime hat diese Beschlüsse seither tagtäglich ignoriert. Dafür wird es nun auch noch damit belohnt, dass sich die ständigen UN-Sicherheitsratsmitglieder und Deutschland der Missachtung dieser Beschlüsse anschließen und die Urananreicherung im Iran erstmals de facto akzeptieren. Der Triumph für die Ayatollahs hätte kaum größer ausfallen können.
Dass es nun überhaupt Interesse seitens des iranischen Regimes an einem Abkommen gab, ist insbesondere jenen Sanktionen geschuldet, gegen die sich die Mehrheit der europäischen Regierungen jahrelang gesträubt hat. Umso absurder ist es, jetzt Sanktionen zurückzunehmen und das Regime für seine jahrelange Taktik des Lügens, Täuschens und Zeitschindens auch noch mit Milliardenzahlungen zu belohnen. Es ist nach diesem Abkommen unwahrscheinlich, dass der Sanktionsdruck noch einmal erhöht wird, was aber ebenso zwingend erforderlich wäre wie die Aufrechterhaltung einer glaubwürdigen militärischen Drohung. Die Freude über die bereits für Dezember angekündigte Teilrücknahme der Sanktionen ist jetzt schon zu vernehmen.
Anfang Dezember soll eine österreichische Wirtschaftsdelegation in den Iran reisen, womit die österreichische Regierung wieder einmal die Rolle der Avantgarde bei der Hofierung der iranischen Machthaber spielt. Unternehmen wie der österreichische Erdöl- und Erdgas-Konzern OMV, der schon während der Amtszeit von Präsident Mahmoud Ahmadinejad einen Geschäftsabschluss über 22 Milliarden Euro mit dem iranischen Regime unter Dach und Fach bringen wollte, welcher nach internationaler Kritik aber auf Eis gelegt werden musste, warten bereits. Nun sieht das größte österreichische Industrieunternehmen die Chance, seine gewaltige Investition bei der Erschließung des größten Gasfeldes der Welt, South Pars, doch noch tätigen zu können. Am Freitag vergangener Woche erklärte der Vorstandsvorsitzende von OMV, Gerhard Roiss: »Wir konzentrieren uns darauf, wie die politischen Gespräche laufen, und warten, dass die Sanktionen aufgehoben werden.« Unterstützung erhält er dafür von den europäischen Grünen. Die Finnin Tarja Cronberg, langjährige Vorsitzende der EU-Parlamentsdelegation für Beziehungen zum Iran und Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, forderte gleich nach der Bekanntgabe des Abkommens von Genf, nun endlich »Irans Isolation zu beenden«.
Auffallend ist, mit welcher Kaltschnäuzigkeit die UN-Vetomächte und Deutschland über die Bedenken Israels angesichts eines faulen Kompromisses mit dem iranischen Regime hinweggegangen sind. Für das Land stellt die nukleare Aufrüstung des iranischen Regimes eine existentielle Bedrohung dar. Aber auch von der Tatsache, dass neben dem jüdischen Staat wichtige arabische Länder, allen voran Saudi-Arabien, fast gleichlautende Einwände formuliert haben, ließ man sich weder in den USA noch in Europa aus dem Konzept bringen. Das gefährliche Abkommen von Genf bedeutet für Israel, dass es noch stärker als bisher genötigt wird, sich Gedanken über ein eigenständiges Vorgehen gegen die Nuklear- und Raketenrüstung des antisemitischen Regimes im Iran zu machen.
Ali Khamenei lässt mittlerweile kaum eine Woche vergehen, ohne Israel zu attackieren. Wenige Tage vor dem Abschluss des Genfer Abkommens nannte er den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu einen »tollwütigen Hund«. Während sich der österreichische Außenstaatssekretär, Reinhold Lopatka, Anfang November zu Gesprächen in Teheran aufhielt, nahm Khamenei Israel als »illegitimes Bastardregime« ins Visier.
Die Außenpolitik des iranischen Regimes war von Beginn an durch eine Gleichzeitigkeit von Pragmatismus und Vernichtungswahn gekennzeichnet. Diese ermöglicht es westlichen Kommentatoren bis heute, die Vernichtungsdrohungen gegen Israel regelmäßig durch den Hinweis auf ersteren zu verharmlosen und zu ignorieren, dass bei den Drohungen gegen den jüdischen Staat »Pragmatismus« lediglich darin bestehen kann, den aus der Sicht Teherans richtigen Zeitpunkt für die Offensive abzuwarten.
Einerseits ist die Verpflichtung zu einer »revolutionären Außenpolitik« in der Verfassung der »Islamischen Republik« festgeschrieben. Bei einer wortgetreuen Auslegung der eigenen Verfassung bliebe dem Regime nichts anderes übrig, als durchgängig eine aktivistische, ausschließlich dem revolutionären politischen Islam verpflichtete Außenpolitik zu betreiben. Andererseits wird gerade in Diskussionen über außenpolitische Themen die Verpflichtung zum Gehorsam selbst gegenüber dem obersten geistlichen Führer explizit aufgehoben, um die Vermittlung von Ideologie und Pragmatismus bestmöglich zu gewährleisten. Die Ergebnisse können in den Publikationen iranischer Think Tanks nachgelesen werden, in denen im Rahmen der Ideologie der »Islamischen Republik« stark divergierende Positionen zu Fragen der internationalen Politik vertreten werden.
In der gegenwärtigen Situation stellen sich Beobachter die Frage, inwiefern der politische Pragmatismus das revolutionäre Ziel tangiert, ob also das in der Ideologie der iranischen Islamisten stets als Prinzip anerkannte maslahat (eine Zweckdienlichkeit jenseits aller ideologischen Bedenken) jemals eine Absage an den inhaltlichen Kern der Ideologie bedeuten kann. Selbst jene Iran-Experten, die trotz ihrer vergleichsweise nüchternen Sicht auf das Regime gegen ein konsequentes Vorgehen gegen die iranischen Machthaber sind, räumen ein, dass davon keine Rede sein kann. Maslahat bedeute »nicht die Überwindung der Ideologie, sondern allenfalls ihre Einhegung«, betont der deutsch-österreichische Politikwissenschaftler Walter Posch in einer Studie der staatsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik. Auch was der Kern dieser Ideologie ist, wird von derartigen Iran-Kennern deutlich ausgesprochen: Der »strategischen Vision« des Regimes liege das »Paradigma der Illegitimität des Staates Israel« zugrunde. Doch diese vergleichsweise klare Sicht hält jemanden wie Posch nicht davon ab, konstruktive Vorschläge zur Einbindung eben jener Protagonisten zu unterbreiten, für die das Ende Israels eine »strategische Vision« darstellt: Er fordert den Ausbau der Beziehungen zu eben jener »iranischen Think-Tank-Szene«, in der derartige »strategische« Vernichtungsvisionen in der nüchternen Sprache einer Analyse der internationalen Beziehungen formuliert werden. Nach dem Abkommen von Genf dürfte auch dem nichts mehr entgegenstehen.