Spielerstreik in der brasilianischen Liga

Weniger spielen, mehr pausieren

Die neue Spielervertretung Bom Senso unterstützt die Forderungen der brasilianischen Fußballspieler nach einem strafferen Spielplan mit weniger Einsätzen.

Der Fußballclub Náutico aus Recife, so etwas wie der VfL Bochum des brasilianischen Fußballs, was das Pendeln zwischen erster und zweiter Liga angeht, wurde während der jetzt zu Ende gehenden brasilianischen Meisterschaft von der Öffentlichkeit kaum beachtet. Sportlich erregte einzig seine rekordverdächtige Niederlagenserie ein wenig Aufmerksamkeit. Ende November, als der Verein längst als Absteiger feststand, wurde Náutico plötzlich landesweit beachtet. Die Spieler beklagten ausstehende Gehaltszahlungen. Die kürzlich gegründete Spielervertretung Bom Senso F.C. erklärte sich mit der Mannschaft solidarisch und drohte, einen ganzen Spieltag bestreiken zu lassen. Der Streik konnte durch eine Einigung in letzter Minute zwar abgewendet werden, die Streikandrohung gilt jedoch weiter.
Erstaunlich aber war vor allem die Solidarität innerhalb der Liga. Fußballer gelten auch in Brasilien nicht gerade als besonders protestfreudig. Als dort im Juni viele Menschen gegen Korruption und für eine bessere soziale Infrastruktur auf die Straße gingen, gab es von Fußballern kaum öffentliche Unterstützung. Auch aus der Nationalmannschaft, die zur selben Zeit in Brasilien den Konföderationen-Pokal bestritt, war nichts zu hören. Während Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff und Fifa-Präsident Sepp Blatter im Maracanã-Stadion ausgepfiffen wurden und um die Arena Straßenschlachten tobten, drängte der Pressesprecher des Verbandes darauf, dass die Spieler auf den Pressekonferenzen nur über Fußball reden sollten. Auch die Journalisten hielten sich an diese Vorgabe. Ein paar Wochen später äußerte der Spieler Alex vom Verein Curitiba in einem Interview mit LanceTV, dass er mit dem Spielkalender der nationalen Liga nicht einverstanden sei. Er kritisierte den späten Spielbeginn und die kurze Vorbereitung auf die Saison.
In Brasilien wird vor der nationalen Meisterschaft in jedem Bundesstaat eine mehrmonatige Staatsmeisterschaft ausgetragen. Die Stars der Liga wie Clarence Seedorf (Botafogo), Rogério Ceni (São Paulo), Juan (Internacional), Juninho Pernambucano (Vasco) und Dida (Grêmio) unterstützten die Forderungen. Die Spieler von São Paulo könnten in dieser Spielzeit wett­bewerbsübergreifend bis zu 87 Partien spielen. Zum Vergleich: Im europäischen Fußball absolvieren die Spitzenspieler rund 60 Partien pro Saison. Als der Verband am 20. September den wegen der anstehenden Fußball-WM besonders dichten Spielplan für das kommende Jahr vorstellte – einige Teams hatten danach gerade einmal vier Tage Vorbereitung –, unterschrieben 75 Spieler spontan einen Protestbrief an den Verband. Kurz darauf gründete sich die Spielervertretung Bom Senso F.C., in der mittlerweile mehr als 1 000 Profis zusammengeschlossen sind. Die Spielergewerkschaft Fenapaf, die in der Vergangenheit nicht gerade als unbeugsame Kämpferin für Spielerinteressen in Erscheinung getreten ist, reagierte beleidigt und sprach von Einmischung.
Mittlerweile sind die Unstimmigkeiten zwischen den Vereinigungen beigelegt. Bom Senso F.C. machte an mehreren Spieltagen mit Protestaktionen auf sich aufmerksam: Brasiliens Erstliga-Profis harrten beim Anpfiff eine Minute lang mit gekreuzten Armen regungslos auf dem Spielfeld aus oder setzten sich auf den Rasen. Alle Teams beteiligten sich und protestierten für bessere Arbeitsbedingungen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Erholungsphasen sollten eingehalten werden, maximal sieben Spiele in 30 Tagen ausgetragen und eine längere Saisonvorbereitung ermöglicht werden, so die Forderungen. Zudem verlangen die Spieler ein financial fair play, das jene Clubs sanktioniert, die mit den Gehaltszahlungen in Verzug geraten, sowie mehr Mitspracherecht in den Gremien. »Die Proteste sind eine Form, unsere Unzufriedenheit mit der Position der CBF (Confederação Brasileira de Futebol) zu zeigen«, erklärte Corinthians-Verteidiger Paulo André in seiner Funk­tion als Sprecher von Bom Senso.
Der Druck auf den Verband soll auch während der letzten Spieltage der Saison aufrechterhalten werden. In Brasilien endet die Meisterschaft jeweils im Dezember. Die Auseinandersetzung um die ausstehende Zahlungen bei Náutico hatten den Konflikt zusätzlich verschärft. Es gab zwar Gespräche zwischen Verband und Spielervertretern; die Spieler beklagen aber eine gewisse Gleichgültigkeit der Funktionäre.
Für den Verband kommt der Protest der Spieler zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Nur wenige Monate vor der WM im eigenen Land wurde die Kritik an den Arbeitsbedingungen und den Verzögerungen beim Stadionbau immer lauter. Im April 2014 wird zudem ein neuer CBF-Präsident gewählt. Vor einigen Tagen veröffentlichte die CBF die Mitteilung, dass man die Forderungen prüfe. Ein Spielplan von maximal 65 Spielen wurde diskutiert. Diese Vorschläge galten jedoch zunächst nur für die dritte und vierte Liga. »Sie (die CBF-Funktionäre) spielen mit dem Feuer«, sagte Paulo André dazu. »Die Spieler sind mit ihrer Geduld am Ende. Ich weiß nicht, ob es jetzt einen Streik gibt, aber wenn es in der Art und Weise weitergeht, wird es dazu kommen.«
Brasiliens Fußball-Ikone Pelé glaubt dagegen nicht, dass die Initiative der Spieler erfolgreich sein wird, wie er Anfang November am Rande einer Veranstaltung sagte. Aber in gewisser Weise spricht er auch als Funktionär – immerhin war er Ende der Neunziger Sportminister in Brasilien. Der Ex-Spieler und heutige Uefa-Präsident Michel Platini verteidigte dagegen die Forderungen von Bom Senso F.C. Vor einem Streik müssten aber alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. »Ein Streik ist nie ein guter Weg. Das Beste ist, vorher zu verhandeln. Ich meine aber, dass man über die Probleme sprechen muss, wenn 1 000 Spieler denken, dass sie zu häufig spielen. Über den Spielplan muss man nachdenken. Man muss Spieler, Ligen und die nationalen Verbände einbeziehen, um einen guten Weg für den Fußball zu finden«, sagte er in einem Interview mit der Tageszeitung O Estado de S. Paulo. Derweil haben die Fußballer auch andere Sportler in Brasilien inspiriert. Nach den Basketballern der nationalen Liga NBB, die im November aus Protest gegen den Spielplan zu Beginn einiger Partien keinerlei Anstalten machten, Körbe zu erzielen, denken nun auch die Volleyballer über Protestaktionen nach.