Die »China-Leaks« und die Offshore-Konten der chinesischen Führung

Die rote Kleptokratie

Die Veröffentlichung der »China-Leaks«-Dokumente über die Offshore-Konten der chinesischen Führung offenbart deren kleptokratische Machtausübung. Doch auch der Abfluss von Kapital aus der Volksrepublik könnte Chinas Außenpolitik noch vor große Probleme stellen.

Der Schuldige war schnell gefunden. Xu Zhiyong, mit Berufsverbot belegter Juradozent und Bürgerrechtler, wurde in der vergangenen Woche wegen »Organisation einer Menschenmenge mit dem Ziel der Störung der öffentlichen Ordnung« zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Mit einigen Mitstreitern der von ihm und anderen gegründeten »Neuen Bürgerrechtsbewegung« hatte Xu in den vergangenen Jahren wiederholt neben dem Recht auf Bildung für Kinder von Wanderarbeitern, die in China beim Zugang zu höherer Bildung diskriminiert werden, vor allem die Offenlegung der Vermögensverhältnisse insbesondere der chinesischen Staats- und Wirtschaftsführung gefordert. Das ging den chinesischen Behörden nun zu weit. Prozesse gegen weitere Aktivisten stehen noch aus.
Nur wenige Tage zuvor waren die Daten der zweiten Auswertung der sogenannten Offshore-Leaks-Unterlagen veröffentlicht worden, die sich dieses Mal nur auf die aus chinesischen Quellen stammenden Gelder konzentrieren, die in sogenannten Steueroasen lagern sollen. Die Unterlagen, die die Daten von insgesamt etwa 130 000 Personen bei etwa 122 000 Briefkastenfirmen umfassen, waren vor knapp zwei Jahren dem Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) von einem anonymen Informanten zugespielt worden. Als im April des vergangenen Jahres die ersten Datensätze ausgewertet und veröffentlicht wurden, waren die China betreffenden Verträge, Mails und Akten wegen der schieren Menge und der Übersetzungsprobleme zunächst ausgenommen worden. Seitdem hat ein internationales Rechercheteam, an dem unter anderem Journalisten der Zeitung Ming Pao aus Hongkong, des taiwanesischen Nachrichtenmagazins Commonwealth, des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und der Süddeutschen Zeitung beteiligt waren, offenbar fieberhaft daran gearbeitet, die Datensätze von mehr als 21 000 in chinesischem Besitz befindlichen Offshore-Unternehmen und von über 30 000 chinesischen Kunden auszuwerten. Ein zunächst auch beteiligtes, aus Schutzgründen nicht genanntes chinesisches Medium soll aufgrund von Verwarnungen der chinesischen Sicherheitsbehörden frühzeitig aus den Recherchen ausgestiegen sein.

Das Ergebnis der Datenauswertung wirft ein Licht auf die Staats- und Wirtschaftsführung Chinas. Insgesamt sollen bis zu vier Billionen US-Dollar aus der Volksrepublik auf Konten vor allem auf den britischen Virgin Islands transferiert worden sein. Neben privaten Geschäftsleuten betrifft dies auch Tausende mittlere und höhere Beamte, Militärangehörige, Funktionäre der Staatskonzerne und – besonders brisant – Familienangehörige der obersten Staatsführer. Fast alle Familien von Inhabern der höchsten Staats- und Parteiämter der vergangenen Jahrzehnte finden sich in den Unterlagen. Weitgehend bekannt waren bereits die Milliardenvermögen der Kinder und des Schwiegersohns des ehemaligen Mierministerpräsidenten Wen Jiabao. Nun existieren auch gesicherte Informationen über die gigantischen Vermögen etwa der Familien seines Vorgängers Li Peng, des im vergangenen Jahr abgelösten Staats- und Parteichefs Hu Jintao und des ehemaligen KP-Führers Deng Xiaoping, der China durch seine Politik der Marktreformen nicht nur für den Weltmarkt geöffnet hat, sondern seine Parole »Bereichert Euch!« offensichtlich auf sich und seine Familie angewendet hat.
Spektakulärer noch ist, dass auch der derzeit alle drei Spitzenämter (Staatspräsident, Parteivorsitzender und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission) in seiner Hand vereinigende Xi Jinping von den Veröffentlichungen betroffen ist. Bereits im vergangenen Jahr hatte die US-Nachrichtenagentur Bloomberg recherchiert, dass Xis Schwester Qi Qiaoqiao in Peking, Shenzen und Hongkong Wohnungen für dreistellige Millionenbeträge in Dollar gekauft haben soll. Nun taucht in den Unterlagen auch der Name ihres Mannes als Geschäftsführer und gemeinsam mit seinen Brüdern als Eigentümer einer Briefkastenfirma auf, die im großen Stil Geld gewaschen haben soll. Zudem hatten die Brüder im vergangenen Jahr Grundstücke in Shenzen vom Staat für umgerechnet zwei Milliarden US-Dollar gekauft, deren realer Wert in der chinesischen Industriemetropole um einiges höher liegen soll.
Für Xi Jinping ist die Affäre besonders unangenehm, weil eine seiner zentralen politischen Kampagnen der Bekämpfung der im Land grassierenden Korruption galt. »Wie Würmer in einem Kadaver« habe sich die Korruption in China verbreitet, hatte Xi bei seinem Amtsantritt gesagt und verkündet, man werde nicht nur die »kleinen Fliegen«, sondern auch die großen »Tiger« zur Verantwortung ziehen. Im vergangenen halben Jahr hat die »Kommission für die Kontrolle und Verwaltung von Staatsvermögen« Ermittlungen gegen 37 000 Beamte eingeleitet, weil ihnen Bereicherung im Amt vorgeworfen wurde. Und gerade erst wurden der oberste Aufseher über die 100 größten chinesischen Staatsunternehmen, Jiang Jemin, und der Ölmanager und ehemalige Chef der Staatssicherheit, Zhou Yongkang, verhaftet. Bereits im Dezember waren der stellvertretende Parteivorsitzende von Sichuan und der Präsident der Telefongesellschaft China Mobile aus dem Verkehr gezogen worden. International bekannt geworden war der Fall des ehemaligen Handelsministers und Parteivorsitzenden der Metropole Chongqing, Bo Xilai, der zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Noch härter traf es den ehemaligen Eisenbahnminister Liu Zhijun, der zum Tod mit Vollstreckungsaufschub verurteilt wurde.

Die überall vorherrschende Praxis des Guanxi (in etwa »Verbindung«), ein Netzwerk persönlicher Beziehungen als wirtschaftspolitische Grundlage, in dem sich vor allem die Kinder der KP-Spitze hervortun, weitet sich dennoch immer weiter aus. So hat die Süddeutsche Zeitung aufgedeckt, dass alle in China operierenden Großbanken zumindest zeitweise die Kinder höchster Funktionäre angestellt hatten. Das Finanzinstitut Credit Suisse soll gar ein internes Programm mit dem Titel »Söhne und Töchter« entwickelt haben, um Zugang zum chinesischen Geldmarkt zu erhalten. Ähnliche Praktiken gibt es bei vielen in China operierenden Konzernen.
Die Antikorruptionskampagnen dienen so meist dazu, Kämpfe innerhalb des Apparats der herrschenden KP zu entscheiden. Derzeit richtet sich die Führung in Peking offenbar vor allem gegen die Kader der Staatskonzerne. So können ­eigene Unterstützer mit den lukrativen Posten bedacht werden. Ein weiteres Motiv könnte sein, dass die gigantische Ausfuhr von Kapital nicht im Interesse der chinesischen Strategen sein kann – was nicht heißt, dass sie es sich selbst nicht gestatten wollen. Nach Angaben der US-amerikanischen NGO Global Financial Integrity soll fast die Hälfte des Schwarzgelds aus Entwicklungsländern chinesischen Ursprungs sein. Dabei ist es allen chinesischen Bürgern verboten, mehr als 50 000 Dollar jährlich ins Ausland zu transferieren. Hintergrund dieser Regelung ist, dass China international bisher kaum in der Lage war, mit den OECD-Ländern bei Direktinvestitionen Schritt zu halten. Kaum zwei Prozent der globalen Investitionstätigkeit entfiel auf China. Doch über die Staatskonzerne und -fonds versuchte die chine­sische Regierung, diese möglichst effizient durch Übernahmen im Bereich der Rohstoffförderung, des Agrobusiness und der Infrastruktur einzusetzen. Dieses Konzept wird durch das Verhalten der Führung selbst nun in Frage gestellt. Unter den Folgen dieses Widerspruchs leiden werden vermutlich aber auch in Zukunft Kritiker wie Xu.