Frauenhass und die »Krise der Männlichkeit«

It’s not the culture, stupid

Der Erfolg von Frauen treibt Männer weltweit in die Krise. Wo Diskurse um Kultur dominieren, wird daraus Frauenhass.

Nicht nur in Indien, sondern in allen Ecken der Welt redet man heute von einer »Krise der Männlichkeit«. Damit ist keineswegs gemeint, dass Bodybuilding, Bärte, Holzhacken oder was man sonst noch mit Männlichkeit verbinden könnte, out wären. In Indien feiert das Bollywood-Kino seine eigene Version von Männlichkeit und auch die ist weltweit angesagt.
Gemeint ist, dass es die Herren nicht verknusen können, wenn Frauen in Schule und Beruf auf der Überholspur sind. Hierzulande sind nur noch 43 Prozent der Abiturienten männlich. Frauen machen in allen westlichen Ländern die besseren Studienabschlüsse, verdienen allerdings immer noch deutlich weniger als Männer. Obwohl also die Frauen noch lange nicht überholt haben, sondern man erst im Rückspiegel erkennt, dass sie einen Gang heraufschalten, beschäftigt sich ein ganzes Heer von Soziologen, Pädagogen, Psychologen und Abenteuer-Animateuren mit den sich in der Krise wähnenden Männern.
In den Entwicklungsländern vollzog sich der Wandel in rasendem Tempo. Konnte die letzte Frauengeneration kaum lesen und schreiben, steigen heute Frauen in Führungspositionen auf. Männer sind häufiger arbeitslos und werden schlechter bezahlt. Von Ägypten bis Indien verdienen immer öfter Frauen den Familienunterhalt. Die ihrer Führungsrolle beraubten Männer schlagen wütend zurück. Wo es verlässliche Statistiken gibt, wie in der Türkei, zeigt sich ein dramatischer Anstieg der Gewalt gegen Frauen. In Indien und Ägypten kann man aus Medienberichten schließen, dass Gruppenvergewaltigungen ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht haben. Islamisten und andere Konservative sind auf Erfolgskurs, ohne je zu erklären, wie sie den Menschen Brot beschaffen wollen. Ihr Hauptprogrammpunkt ist die Verdammung der Frau hinter den Schleier, von der Straße und ins Haus.
Aber nicht allein die Rasanz der Entwicklung erklärt die Gewalt. Der Erfolg der Frauen löst bei erfolglosen Männern nicht einfach nur Gefühle der Impotenz aus – wie womöglich hierzulande. Die Rollenverschiebung stellt ideologische Begründungszusammenhänge und Weltbilder fundamental in Frage. Im nationalistischen antikolonialen Diskurs spielte der Erhalt der eigenen Kultur oft eine größere Rolle als die Benennung realer Unterdrückung – denn in der Regel profitierten lokale Eliten, die den Diskurs mitführten, von eben dieser Unterdrückung. Der Erhalt der Kultur konzentrierte sich in sich modernisierenden Gesellschaften auf die Familie und die Rolle der Frau.
Gibt die Frau diese Rolle auf, stellt sie sich quasi auf die Seite der Imperialisten. »Uns geht es so schlecht, weil der Westen unsere Kultur zerstört«, diese Begründung funktioniert nicht mehr. So ist das eigene Versagen nicht einfach nur schmerzhaft angesichts der weiblichen Erfolge, es kann nicht einmal mehr als gesellschaftliches Phänomen einer äußeren Macht zugeschrieben werden. Um den daraus resultierenden Frauenhass zu überwinden, müssten erst der Diskurs von der Kultur in Frage gestellt und globale kapitalistische Unterdrückungsmechanismen als solche erkannt werden.