Berlin Beatet Bestes. Folge 229.

Biathlon und Balalaika

Berlin Beatet Bestes. Folge 229. Emil Gorovets: »Schönheitskönigin« (1964).

Meine Freundin ist im allgemeinen ein großer Fan von Massenspektakeln wie Fußballweltmeisterschaften und dem Eurovision Song Contest, aber Sotschi lässt sie kalt: »Das öffentlich-rechtliche Fernsehen sollte die Übertragung der Olympischen Winterspiele ausfallen lassen und stattdessen Schwulenfilme zeigen!« Skispringen, Skilanglauf, Nordische Kombination – bei uns zu Hause wird das wohl ausfallen. Normale Olympische Spiele sind irgendwie realer. Rennen und Sachenwerfen, das hat jeder schon mal gemacht, das erinnert an die Bundesjugendspiele in der Schule. Die Zirkuskunststücke, die bei den Winterspielen gezeigt werden, berühren mich irgendwie gar nicht. 1991 war ich mal im Sommer in den französischen Alpen, in Val d’Isère, wo ein Jahr später die Winterspiele ausgetragen wurden. Die riesigen Löcher, die in den Berg gesprengt wurden, um neuen Pisten und Skianlagen Platz zu machen, sahen aus wie gewaltige Karies-Krater. Brutal. Im Vergleich zu Sotschi war das aber nur Kleinkram. Umweltzerstörung, politische Gefangene, Einschränkung der Demonstrationsfreiheit, Diskriminierung von Homosexuellen, dieses Sotschi hat jetzt schon einen dermaßen krassen Beigeschmack, dieser Putin lässt aber auch nichts aus.
Außerdem scheint er sich vorgenommen zu haben, alle bisherigen Inszenierungen an Pomp zu überbieten. Und wenn das jemand schafft, dann die Russen. Obertrashig ist schon die russische Populärmusik, die sogenannte sowjetische Estrada-Musik. Swing und Jazz fanden in Rußland fast nicht statt, wegen Stalin, Rock ’n ’Roll auch nicht, wegen irgendwelchen anderen Diktatoren, in den Siebzigern gab’s dann zaghaft Rock-ähnliches. Deutsche Popmusik hat der Welt nicht viel zu bieten, und auch russische Popmusik kennen nur die wenigsten Menschen außerhalb Russlands. Und dass ausgerechnet Modern Talking in Russland so beliebt waren, spricht ja wohl Bände. Aber ohne den Einfluss afroamerikanischer Musik hätten die USA vielleicht auch nur Guy Lombardo und Laurence Welk hervorgebracht.
Die paar Dutzend Singles des staatlichen russischen Labels Melodija, die ich besitze, sind überwiegend Lizenzpressungen amerikanischer und europäischer Künstler. Zwei Souvenir-Platten aus Sotschi sind dennoch darunter. Auf einer singt Emil Gorovets, einen russischen Twist. »Schönheitskönigin« war nach russischen Maßstäben ein Hit.
Emil Gorovets, 1923 als Sohn jüdischer Eltern in der Ukraine geboren, war ein in den fünfziger und sechziger Jahren berühmter Sänger, auch vieler jiddischer Lieder. Als ein unausgesprochenes Verbot jüdischer Musik in Radio und Fernsehen in den frühen Siebzigern auch Gorovets Repertoire betraf, emigrierte er 1973, zunächst nach Israel, dann in die USA. Dort lebte er bis zu seinem Tod 2001 als Gesangslehrer, arbeitete im Radio und trat in Manhattans bekanntestem russischen Restaurant »Balalaika« auf.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.