Die griechische Regierung kündigt einen Haushaltsüberschuss an

Die große Überraschung

Der griechische Finanzminister rechnet den Haushalt schön. Ein Haushaltsüberschuss käme aber auch der Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission gelegen, die damit ihre Austeritätsmaßnahmen rechtfertigen könnte.

»Stournaras: Der Überschuss wird eine große Überraschung«, titelte vorige Woche die FAZ, und man kann dem griechischen Finanzminister ­Giannis Stournaras nur zustimmen. Allerdings besteht die Überraschung darin, dass es derzeit keinen Haushaltsüberschuss gibt. Natürlich würde die griechische Koalitionsregierung aus der konservativen Partei Nea Dimokratia und der sozialdemokratischen Pasok liebend gerne einen solchen Überschuss präsentieren, und sei es auch nur, um zu behaupten, dass die sozialen Opfer der Bevölkerung nicht vergebens gewesen seien, oder um vorzugeben, dass eine allmähliche Abschwächung der rigiden Sparmaßnahmen möglich sei. Andere mögen vermuten, die Regierungsparteien wollten, etwas von ihrer bereits seit langer Zeit verlorenen Popularität zurückzugewinnen, was für die Europa- und die Kommunalwahlen Ende Mai wichtig wäre. Tatsache ist, dass die Regierung einen Haushaltsüberschuss so gerne vorweisen möchte, dass sie bereits zu versprechen begonnen hat, wofür diese Mittel ausgegeben werden sollen: 70 Prozent als Unterstützung für Hilfsbedürftige, sagten Regierungs­beamte. Doch als diese Zahl sogar von dem folgsamen Gewerkschaftsverband für den Privatsektor in Frage gestellt wurde, hieß es, es seien 70 Prozent jenes Betrags, der das ursprüngliche Ziel eines Haushaltsüberschusses von 489 Millionen Euro übersteige, und Unterstützung für Hilfsbedürftige bedeute, das Geld werde möglicherweise zur Förderung des Wirtschaftswachstum innerhalb der Grenzen der vereinbarten Fiskalpolitik verwendet werden.

Aber Stournaras ist nicht der Einzige, der sich Tagträumen hingibt. Einen Haushaltsüberschuss zu erzielen, ist auch ein Ziel der sogenannten Troika aus Europäischer Zentralbank, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds, in dem verzweifelten Versuch, die Austeritätspolitik zu rechtfertigen, die Griechenland angeblich wieder auf die Beine (das heißt an die internationalen Märkte) helfen sollte, de facto jedoch die Gesellschaft wirtschaftlich zerrüttet hat. Worauf sollten die internationalen Geldgeber Griechenlands ansonsten verweisen, um etwas Nachsicht für ihre Maßnahmen zu verdienen? Auf das drastische Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts, das explosionsartige Anwachsen der Arbeitslosenrate (offiziell bei 28 Prozent, bei ­Jugendlichen unter 25 Jahren um die 58 Prozent), das Anwachsen der griechischen Staatsschulden trotz der Vereinbarung über den Schuldenschnitt mit Griechenlands privaten Gläubigern vom Februar 2012 im sogenannten PSI-Abkommen und der sogenannten Rettungsaktionen? Ein Haushaltsüberschuss wäre auch für sie ein Ausweg. Wenn es ihn denn gäbe.
Ursprünglich wurde der Haushaltsüberschuss für die ersten sieben Monate von 2013 mit 2,6 Milliarden Euro angekündigt. Doch bei genauerer Betrachtung wird klar, dass der Staat 1,5 Milliarden Euro des Betrags – wegen der »erfolgreichen« Restrukturierung des Gesundheitssystems – an private Krankenhäuser zurückzuzahlen hat und weitere 107 Millionen als »zwischenstaatliche Zinsen«, wie es vage heißt. So verbleibt tatsächlich nur eine Milliarde Euro als Überschuss, doch auch das ist verhandelbar: Es scheint, dass 1,3 Milliarden an EU-Entwicklungsgeldern, die bereits von der Europäischen Union überwiesen wurden, nicht ausgezahlt wurden. Zusätzlich wurden 700 Millionen an Steuerrückzahlungen nicht bezahlt, weitere 420 Millionen Euro an staatlichen Leistungen haben die Empfänger bislang nicht erreicht. Es ist offensichtlich, dass der sogenannte Haushaltsüberschuss sich in ein Haushaltsdefizit verwandelt – vorausgesetzt natürlich, dass der Staat seinen Verbindlichkeiten nachkommt. Walter Radermacher, Direktor des Europäischen Statistikamts Eurostat, sah sich gezwungen, einen Warnruf zu formulieren, als er nach diesen fik­tiven Zahlen gefragt wurde. »Wir rechnen die Zahlen nicht so, wie sie der griechische Ministerpräsident Samaras gerne hätte, sondern wie es die Gesetze und Standards vorschreiben. Wir nehmen die politischen Wünsche zur Kenntnis. Das ist alles«, zitierte ihn die Süddeutsche Zeitung in ihrer Wochenendausgabe und fügte hinzu: »Radermacher sagte, eine Jahresbilanz könne man erst ziehen, wenn die Daten für alle vier Quartale vorlägen. Das vierte Quartal sei besonders wichtig, weil am Jahresende Steuern und andere saisonale Zahlungen fällig würden.«

Der fiktive »Primärüberschuss«, wie ihn die griechische Regierung nennt, ist nicht das einzige wirtschaftliche Problem, dem sie gegenübersteht. Ihre Versprechungen, sowohl gegenüber den Geldgebern als auch gegenüber der griechischen Bevölkerung, blamieren sich nach und nach an der Realität. Kürzlich etwa verkündete die griechische Regierung die Schaffung von 400 000 neuen Arbeitsplätzen. Eine genauere Überprüfung jedoch ergab, dass lediglich 100 000 von ihnen unmittelbar geschaffen werden. Und 90 Prozent dieser 100 000 Jobs sind im öffentlichen Sektor, jenem angeblich aufgeblähten Bereich, in dem die Regierung die Reduzierung von Stellen versprochen hatte, und sie sind auf fünf Monate befristet.
Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, urteilte jüngst eine Studie des Wirtschaftsinstituts KEPE, das sich unter Federführung des Ministeriums für Wachstum und Entwicklung befindet, die beste Option für junge Arbeitskräfte zwischen 15 und 29 Jahren in Griechenland sei es, entweder im ersten Jahr der Beschäftigung unbezahlt zu arbeiten oder sich die zwischenstaatlichen Abkommen mit den USA, Kanada, Australien oder Norwegen zunutze zu machen, als Teil einer vorsichtig konzipierten Migrationspolitik.
Währenddessen beschloss die griechische Justiz, die den Konflikt um vorgeschlagene Kürzungen in ihrem Bereich erst einmal ruhen ließ, der Regierung den Krieg zu erklären, um diverse Offizielle wegen des jüngsten Postbankskandals gerichtlich zu verfolgen. Der Skandal selbst scheint vergleichweise geringfügig: Der Plan zur Privatisierung der Postbank durch ihre Aufspaltung in eine good bank und eine bad bank wurde frühzeitig Investoren mitgeteilt, die ihre Schulden sodann in die bad bank verlagerten, um sie nicht zurückzahlen zu müssen. Was das Verfahren allerdings interessant macht, ist die Tatsache, dass eines der Hauptziele der Untersuchung Anastasia Sakellarious ist, die Leiterin des Helennic Financial Stability Fund (HFSF), der für die Privatisierungen in Griechenland zuständigen Institution. Die Entscheidung der Regierung, sie trotzdem zu unterstützen, zeigt unter anderem einen schwerwiegenden Mangel an personellen Alternativen.
Vielleicht war es der einzige eher realistische Vorschlag der Regierung, die griechischen Banken – die der Staat erfolgreich nationalisiert hatte, indem er sie rekapitalisierte – für ein Drittel ­ihres Werts an ausländische Investoren zu verkaufen. In einem Interview sagte Finanzminister Stournaras, sein Vorschlag für die Banken werde durch ein Dekret des Präsidenten durchgesetzt. Auf diese Weise würde zumindest der ärgerliche und bürokratische Prozess einer Parlamentsabstimmung vermieden.
An diesem Punkt wurde es interessant. Der einzigen Maßnahme, die nicht direkt zulasten der griechischen Bevölkerung geht und die negative Auswirkungen einzig für gegenwärtige Bank­manager hat, stellte sich ausgerechnet Syriza entgegen. Fast unmittelbar nach Verkündung des Plans zur Bankenprivatisierung proklamierte Syriza »Widerstand« und versprach mit nationalis­tischen Untertönen, die Partei werde niemals den Ausverkauf der griechischen Banken und den Versuch der Regierung akzeptieren, Banken ihres nationalen Charakters zu berauben. Der Syriza-Abgeordnete Dimitris Papadimoulis sagte: »Es besteht eine große Gefahr, dass diese Banken durch die Maßnahmen der HFSF für einen lächerlichen Geldbetrag von Ausländern übernommen werden.«

Die Regierungskoalition von Nea Dimokratia und Pasok befindet sich in Auflösung, Panik macht sich breit. In Griechenland beginnt so langsam der Wahlkampf, und möglicherweise werden für Juni auch Parlamentswahlen angesetzt – was die Regierungskoalition gerne vermeiden würde. Vorläufige Umfragen sehen die Neonazis der Goldenen Morgenröte trotz ihrer Kriminalisierung durch den Staat weiterhin bei etwa zehn Prozentpunkte der Wählerstimmen, während Syriza acht bis neun Prozent vor Nea Dimokratia liegt. In dieser Situation, in der es mit der Wirtschaft weiter bergab geht, bleibt Nea Dimokratia nur eine Wahl: an die reaktionärsten Elemente der griechischen Rechten zu appellieren. Nur so lässt sich das Verhalten von Ministerpräsident Antonis Samaras erklären. Nachdem er öffentlich verkündet hatte, er führe Gespräche mit Gott, forderte er Alexis Tsipras, den Vorsitzenden von Syriza, auf, er solle erklären, ob er an Gott glaube oder nicht. Offenbar muss man, geht es nach Samaras und seiner Regierung, an den Himmel glauben, um die gegenwärtige Hölle zu überleben.