Strafanzeige gegen die Bundesregierung wegen der NSA-Affäre

Nationale Privatsphäre

Die Bundesregierung hat bislang kaum zur Aufklärung der NSA-Affäre beigetragen. Drei Bürgerrechtsgruppen haben nun eine Strafanzeige gestellt.

Muss die Bundesregierung ins Gefängnis? Seit voriger Woche liegt eine Strafanzeige vor und die Vorwürfe sind nicht ohne: verbotene Geheimdienst- und Agententätigkeit, Verletzungen des persönlichen und beruflichen Lebens- und Geheimbereichs, Ausspähen von Daten und Strafvereitelung im Amt. Der Chaos Computer Club (CCC), die Internationale Liga für Menschenrechte, der Bürgerrechtsvereins Digitalcourage und andere haben anlässlich des Abhörskandals um den amerikanischen Geheimdienst NSA Straf­anzeige gegen Mitglieder der Bundesregierung sowie gegen Agenten US-amerikanischer, britischer und deutscher Geheimdienste und deren Vorgesetzte gestellt. Im Mittelpunkt der Anklage stehen Bundesinnenminister Thomas de Maizi­ère (CDU) und seine Amtsvorgänger sowie der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler. Als Zeugen wollen die Kläger unter anderem Edward Snowden hören und fordern freies Geleit für ihn.

Die Gefahr, dass ein deutsches Gericht hochrangige Mitglieder einer deutschen Regierung oder ­eines Geheimdienstes einsperrt, ist gering und auch in diesem Fall dürften alle Verdächtigen einem weiteren Leben in Freiheit entgegenblicken. Das Ziel der Anzeige, die die Internationale Liga für Menschenrechte gleichzeitig in ähnlicher Form auch in Belgien und Frankreich initiiert hat, besteht vor allem darin, etwas Licht in das Dunkel zu bringen, das die Verwicklung deutscher Behörden in den weltweiten Abhör­skandal umgibt.
Auch wenn die Anzeige wohl ergebnislos bleibt, dient sie als Vorbereitung für eine mögliche Folgeklage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Dort erzielten britische Gruppen und der CCC im Januar bereits einen Erfolg bei einem ähnlichen Prozess gegen die britische Regierung. Das Gericht forderte diese zur zügigen Beantwortung einer Reihe von Fragen über die Mittel und Maßnahmen des britischen Geheimdienstes GCHQ auf, die die Regierung der britischen Opposition und anderen EU-Regierungen nur vage beantwortetet hat. Erst vorige Woche veröffentlichte der US-Nachrichtensender NBC News ein weiteres Geheimdokument aus dem Fundus von Snowden, demzufolge eine geheime Gruppe des GCHQ namens Joint Threat Research Intelligence Group (JTRIG) unter Verletzung britischen und internationalen Rechts bei der Suche nach vermeintlichen Mitgliedern der Hacker-Gruppe Anonymous ganze Netzwerke ­attackiert und lahmgelegt haben soll.
Ähnlichen Druck hoffen der CCC und seine Mitstreiter auf die deutsche Regierung auszuüben. Obwohl regelmäßig neue Details darüber ans Tageslicht kommen, wer wen mit welchen technischen Mitteln ausgespäht hat, hat die deutsche Regierung das Thema schon im vorigen Sommer für beendet erklärt und auch in der neuen Koa­lition nicht ernsthaft aufgenommen. Es ist ihr zwar nicht gänzlich gelungen, die Empörung über Prism, Tempora und andere Abhörprogramme zu zerstreuen, sie konnte sie aber größtenteils auf US-amerikanische und britische Behörden ableiten. Deutsche Geheimdienste und die Regierung müssen sich vor allem ihre Kooperation mit diesen vorwerfen lassen, stehen aber eher als naive Handlanger denn als Mittäter da.
Der Strafanzeige liegt weniger der Versuch zugrunde, Mitglieder der Bundesregierung und der Geheimdienste zu verurteilen, als die »Ohnmacht angesichts der Überwachungsdimension zu durchbrechen«, wie es Rolf Gössner, der Vizepräsident der Liga für Menschenrechte, formuliert. Der CCC findet es »nicht akzeptabel, dass die öffentlichen Stellen bislang kaum zur Aufklärung der geheimdienstlichen Machenschaften beigetragen haben«. Für Digitalcourage steht im Mittelpunkt, den bislang aufgrund diplomatischer Bedenken untätigen Generalbundesanwalt Harald Range zu Ermittlungen zu zwingen. Er hat bereits reagiert: Nach Angaben der Frankfurter Rundschau will Range nun doch ein Ermittlungsverfahren einleiten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Justizminister Heiko Maas (beide SPD) haben dies bereits abgesegnet. Kein Wunder, denn die Ermittlungen richten sich nur gegen die NSA.

Die parlamentarische Opposition zeigt sich politisch orientierungslos bei der Aufklärung der Überwachung von Internet- und Telefonkommunikation in Deutschland. Die SPD ist seit Snowdens ersten Enthüllungen selbst zur Regierungspartei geworden. Zudem hat sie in ihrer gemeinsamen Regierung mit den Grünen schon 2003 die Grundlagen für umfassende Kommunikationsüberwachung in Deutschland und für die Weitergabe privater Daten an andere Geheimdienste gelegt. Beide Parteien stehen vor einem argumentativen Drahtseilakt: Sie müssen ihrer parlamentarischen Rolle gemäß der alten beziehungsweise der neuen Regierung Versagen vorwerfen, ohne ihre eigenen Abhörgesetze zu thematisieren. Die Grünen praktizieren daher Unverbindlichkeit und unterstützen einen im Dezember von über 1 000 Schriftstellern aus aller Welt unterschriebenen Aufruf. Darin protestieren Nobelpreisträger und andere Prominente gegen die staatliche Überwachung und mahnen den Schutz von Privatsphäre und Demokratie an. Auf Antrag der Grünen diskutiert der Bundestag am Freitag diesen Appell.
Zur politischen Unentschlossenheit kommt hinzu, dass die Opposition im Parlament seit der Bundestagswahl zahlenmäßig marginalisiert ist. Linkspartei und Grüne haben sich nun auf einen Ausschuss verständigt, der die Überwachung »elektronischer Kommunikationsvorgänge durch ausländische Nachrichtendienste« und das Mitwissen der Bundesregierung untersuchen soll. Beiden Fraktionen fehlen allerdings die für die Einrichtung notwendigen Stimmen. Vertreter von CDU und SPD kündigten zwar an, dass man sich auf den Ausschuss verständigen könne, aber bei der Ausgestaltung der Details haben die Regierungsparteien mit ihrer Stimmenmehrheit das letzte Wort.
Die Große Koalition nimmt die Rolle des machtlosen Opfers genauso bereitwillig wie ihre Vorgängerregierung an. Innen- und Außenminister nehmen bei der einen oder anderen Gelegenheit hohe Repräsentanten der US-Regierung demonstrativ in die Verantwortung. Beim Scheitern des sogenannten No-Spy-Abkommens verfolgt die Bundesregierung die gleiche Taktik. Darin sollten sich die USA und Deutschland verpflichten, die gegenseitige Spionage auf ein Maß zu reduzieren, das die Öffentlichkeit nicht wahrnimmt. Nachdem dieses absurde Abkommen nicht zustande gekommen ist, scheint die deutsche Regierung im Rahmen der Vernunft alles getan zu haben, um ihre Bürger vor den dunklen ausländischen Geheimdiensten zu schützen.

Als Reaktion steht als nächstes die Aufrüstung eigener Überwachungsinstrumentarien auf dem Programm. Der Verfassungsschutz forderte schon im November mehr Mittel, um die Spionageabwehr auch gegenüber befreundeten Staaten auszubauen. Dass es der Großen Koalition nicht eigentlich um den Schutz der Privatsphäre geht, zeigt auch die geplante Einführung der Vorratsdatenspeicherung, die deutsche Internet- und Telefonanbieter zur Speicherung sämtlicher Kommunikationsverbindungen für einen gewissen Zeitraum zwingen soll. Die schwarz-gelbe Koalition konnte die entsprechende EU-Richtlinie aufgrund interner Meinungsverschiedenheiten und knapper Mehrheiten nicht umsetzen, die neue Regierung hat solche Probleme nicht. Der juristische Weg scheint derzeit die einzige Möglichkeit, einer Großen Koalition politisch etwas entgegenzusetzen, die die globale Kommunikationsüberwachung zum Anlass für den Ausbau der Geheimdienste und von Überwachungsinfrastruktur nimmt.