Die deutsche »Nichteinmischung«

Raushalten für Deutschland

Deutschland soll sich lieber heraushalten, sagen die Kritiker Steinmeiers. Als ob Heraushalten keine Einmischung wäre!
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»Auf einmal wird klar, was dieses Land an seinem Außenminister Guido Westerwelle hatte, der für eine ›Kultur der militärischen Zurückhaltung‹ stand«, sinniert wehmütig Jakob Augstein in seiner Spiegel-Kolumne. So kommentiert er die Welle von Medienkommentaren, die sich, dem Plädoyer Frank-Walter Steinmeiersfolgend, für eine »aktive« beziehungsweise »tätige« Außenpolitik gegen das »deutsche Ohnemicheltum« (Welt) und die »defensive Bequemlichkeit« (Süddeutsche Zeitung) aussprachen. Da klingt Augsteins Kommentar erstmal prima: Wenn sich Deutschland zurückhält, ist das aus Prinzip gut. Am besten löste es sich vollständig auf.
Es ist allerdings ein Fehlschluss zu meinen, sich rauszuhalten sei keine Einmischung. Der von Augstein so hoch gelobte Westerwelle hat in seiner Amtszeit als Außenminister ein einziges Mal eine aktive, eigene deutsche Außenpolitik betrieben: nämlich als er sich raushielt. Bei der Abstimmung zur Libyen-Intervention im UN-Sicherheitsrat 2011 enthielt sich Deutschland als ein­ziges Land. Westerwelle wollte der Welt demonstrieren, dass Deutschland eine souveräne Außenpolitik betreibe und sich von den westlichen Bündnispartnern emanzipiere. Die Nichteinmischung hatte eine aktive Einmischung zur Folge: Vier deutsche Schiffe wurden von der Nato-Seeblockade abgezogen, die im Mittelmeer das Waffenembargo gegen Muammar al-Gaddafi durchsetzen sollte. Vermutlich hat dies keinen wesentlichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen gehabt, aber wenn, dann zugunsten Gaddafis.
Auch bei einem anderen Krieg hatte sich Deutschland, damals noch rot-grün regiert, ganz im Augsteinschen Sinne zurückgehalten: Bundeskanzler Gerhard Schröder versagte beim Irak-Krieg 2003 den USA die Gefolgschaft und rief Deutschland zur »Friedensmacht« aus. Ein Begriff, den zehn Jahre zuvor der rechtsextreme Nationalpazifist Alfred Mechtersheimer geprägt hatte, dessen friedenspolitisches Engagement ganz um die »Neutralität« Deutschlands, also um die nationale Souverä­nität gegenüber den Alliierten Mächten kreiste. Dass Schröder den Irak-Krieg nicht aus Pazifismus heraus ablehnte, ist klar, immerhin war er es, der 1999 erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsche Soldaten in einen Krieg geschickt hatte.
Vielmehr war das deutsche »Nein« zum Irak-Krieg die Ansage, dass Deutschland nicht mehr länger unter der Fuchtel der USA stehe und sich der Kriegsverlierer nunmehr endgültig von den Siegermächten zu lösen gedenke. Das Raushalten verfolgte also dieselbe Absicht, wie es nun das Steinmeiersche Gedröhne vom Einmischen hat: Deutschland soll wieder als Großmacht in der Weltpolitik wahrgenommen werden.
Hier muss die Kritik ansetzen. Doch Augstein sorgt sich stattdessen um die deutschen Opfer: »Kambodscha, Georgien, Kosovo, Afghanistan, überall sind deutsche Soldaten seit der Wiedervereinigung zu Tode gekommen (… ). Im Afghanistan-Krieg starben 54 deutsche Soldaten und Polizisten, davon 36 im Kampf.« Die Zahlen hat er genau nachgeschlagen, um zu zeigen, dass Krieg böse ist. Die Zahl der Toten im syrischen Bürgerkrieg, bei dem sich sämtliche westliche Mächte so wunderbar raushalten, hat er nicht nachgeschlagen.