Die Gewerkschaftspolitik von VW in den USA

Fette Pick-ups statt Passat

In der VW-Fabrik in Chattanooga im Süden der Vereinigten Staaten ist die Etablierung der Gewerkschaft UAW nach einer knapp verlaufenen Abstimmung vorläufig gescheitert. Die verheerende Jahresbilanz von VW USA und eine union busting-Kampagne ultrakonservativer Lobbygruppen spielten dabei eine Rolle.

Selten hatten so wenige Stimmen eine so große Wirkung. Am 14. Februar ergab die Auszählung der Gewerkschaftswahl in der VW-Fabrik in Chatta­nooga, Tennessee, dass die United Automobile Workers (UAW) nach drei Jahren Vorlaufzeit nicht in der Lage sein würden, sich in einer Fabrik des Südens zu etablieren – trotz einer sorgfältig geplanten Kampagne höchster Priorität und tatkräftiger Unterstützung der IG Metall. Die Arbeiter stimmten mit 626 zu 712 gegen eine Vertretung durch die Gewerkschaft. Zuvor hatten mindestens 51 Prozent der Beschäftigten durch Unterzeichnung einer sogenannten authorization card die UAW zur Verhandlung von Kollektiverträgen autorisiert und damit die Wahl ermöglicht. Mit Hilfe massiver Propaganda und Drohungen war es repu­blikanischen Politikern sowie ultrakonservativen Lobbygruppen gelungen, die Stimmung unter den Beschäftigten umzukehren. Das Management von VW verhielt sich gegenüber der UAW neutral bis wohlwollend, was für die USA eine bemerkenswerte Besonderheit ist und die Niederlage der UAW noch demütigender macht.
Inzwischen hat die UAW die Wahl bei VW vor der Nationalen Behörde für Arbeitsbeziehungen wegen unerlaubter Einmischung von außen offiziell angefochten. Ob das zum Erfolg führen wird, ist höchst ungewiss – solche Prozesse können sich über Jahre hinziehen, sie ändern nichts am Kern des Problems: der Stimmung im Werk hinsichtlich der UAW, die unter amerikanischen Arbeitern einen sehr zwiespältigen Ruf genießt.
Das Werk in Chattanooga nahm 2011 die Produktion eines speziell für den US-Markt entwickelten Passat auf. Er ist zehn Zentimeter länger und – je nach Stand der Wechselkurse – etwa 10 000 Euro billiger als ein Import aus Emden, wo der europäische Passat gefertigt wird. Das VW-Werk im mexikanischen Puebla produziert seit 1967 ebenfalls für den nordamerikanischen Markt – derzeit hauptsächlich die US-Variante des Jetta. Chattanooga bleibt nach der demoralisierenden UAW-Schlappe der einzige Produktionsstandort von VW in der Welt, in dem den Beschäftigten keine institutionalisierte Mitbestimmung über die Geschicke ihres Werks ermöglicht wird.

Einen Monat vor der Gewerkschaftswahl geriet VW USA bereits durch eine verheerende Jahresbilanz in die Schlagzeilen. Der Umsatz war im Jahr 2013 um 22,7 Prozent eingebrochen – auf einem boomenden Markt. Mercedes-Benz konnte 17,3 Prozent zulegen, BMW blieb konstant. Die deutsche Wirtschaftspresse konstruierte hieraus einen Widerspruch: Obwohl der US-Automarkt boomt, bricht VW ein. Ein Blick in die Geschichte von VW USA zeigt aber, dass hier eigentlich gar kein Widerspruch besteht. Weil die Wirtschaft derzeit offenbar anzieht und sich neue Kauflaune ausbreitet, verlieren die Konsumenten das Interesse an kleineren, energieeffizienteren Wagen. Eine solche Konstellation hatte bereits den ersten Anlauf von VW zur Eroberung des US-amerikanischen Marktes scheitern lassen. Nach der Weltwirtschaftskrise von 1973, die mit einem erheblichen Anstieg des Ölpreises einherging, sah VW die Zeit für sparsame Kleinwagen in Nordamerika gekommen und kaufte die Fabrik New Stanton, die Chrysler 1968 in Westmoreland County bei Pittsburgh aufgegeben hatte. Zudem erwarb man von American Motors ein Presswerk in South Charleston, West Virginia. In New Stanton entstand ab 1978 eine US-Version des Golf, die Rabbit (Kaninchen) genannt wurde. Zunächst mit einigem Erfolg. Als der Ölpreis ab 1980 stark nachgab, verloren die Amerikaner wieder das Interesse an den deutschen Kleinwagen. New Stanton wurde 1988 geschlossen.
VW war der erste ausländische Konzern, der es wagte, in den USA zu produzieren, seit Rolls-Royce 1931 das Werk in Springfield, Massachusetts, geschlossen hatte. Das VW-Management traf ab 1976 auf eine rebellische und konfliktbereite amerikanische Arbeiterklasse, deren historische Niederlage durch Frontalangriffe der Reagan-Regierung, Automatisierung und systematische Deindustrialiserung der traditionellen Gewerkschaftshochburgen erst noch bevorstand. Das Durchschnittsalter der Belegschaft lag bei 24 bis 26 Jahren – ein Alter, das bei Soziologen damals als problematisch galt, wie die New York Times schrieb, weil diese Arbeiter »unabhängig und militant« seien. Demnach repräsentierten die UAW damals fast alle Fließbandarbeiter der USA und konnten »die gesamte Branche dichtmachen«; neben dieser institutionalisierten Macht gab es offenbar in größerem Maße unkontrollierbare Unruhe in der Industriearbeiterklasse. Am 13. Oktober 1978 – sechs Monate nach Eröffnung des Werkes – traten die Arbeiter in einen wilden Streik, weil ihnen eine versprochene Angleichung an die Löhne bei General Motors vorenthalten wurde. Der Schlachtruf hieß damals: »No Money, no Bunny« (»Kein Geld, kein Häschen« – in Anspielung auf den Rabbit). Die UAW pflegte auch damals ihren zweifelhaften Ruf. Der Autor Ron Chernow schrieb für das linke Magazin Mother Jones, die UAW besteche die Arbeiterschaft, indem man ihren Meinungsführern lukrative Jobs anböte und im Gegenzug helfe, ein »Wir zahlen keine Steuern und arbeiten umsonst«-Klima zu erzeugen. Die lokale Sektion der UAW wurde nach dem wilden Streik von der Detroiter Zentrale entmachtet und unter Zwangsverwaltung gestellt. Sie stand unter dem Verdacht, von »Radikalen« unterwandert zu sein. Die Fabrik von VW in New Stanton sollte die einzige Ansiedlung ausländischer Autokonzerne in den USA bleiben, die die UAW organisieren konnte; Honda blieb in Marysville, Ohio, ebenso gewerkschaftsfrei wie Toyota in Georgetown, Kentucky.
Der neue Versuch von VW, den amerikanischen Markt von Chattanooga, Tennessee, aus zu erobern, unterscheidet sich in verschiedenen Punkten vom ersten Anlauf: Das Werk ist auf der grünen Wiese gebaut und topmodern. Eine rebellische und durch Generationen von Kämpfen geprägte Industriearbeiterschaft gibt es in den Südstaaten nicht, und es ist die Frage, ob sie nach Jahrzehnten des Niedergangs in den USA überhaupt noch existiert. Die republikanische Partei und ultrarechte Lobbyorganisationen organisieren in Tennessee eine Hegemonie, die nicht nur gegen Gewerkschaften, sondern gegen alle Formen von kollektivem gesellschaftlichen Fortschritt gerichtet ist – etwa eine allgemeine Krankenversicherung oder eine Beschränkung der Waffenfreiheit.

In der deutschen Presse ist unisono zu lesen, die gewerkschaftliche Organisation in Chattanooga sei vor allem ein Steckenpferd der mächtigen IG Metall und des Wolfsburger Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh. Vermutlich ist die peinliche Niederlage der UAW in Chattanooga aber verheerend für die gesamte Marke. Damit VW als amerikanische Marke wahrgenommen wird, ist eine Produktion in den USA wichtig, sonst könnte man auch komplett in Mexiko oder Kanada produzieren lassen – seit 1994 existiert über die Nafta ein integrierter Binnenmarkt. Die Installation einer Mitbestimmung hätte dazu beitragen können, VW in den USA ein positives Image, sozusagen als verantwortungsvoller Arbeitgeber, zu verschaffen, der sich dem allgemeinen Trend der Konzerngier widersetze, was gerade in der avisierten Zielgruppe der besser verdienenden Arbeiter und Angestellten gut angekommen wäre. So dürfte das Werk in Chattanooga nun in der Wahrnehmung vieler Arbeitnehmer als schräger Versuch erscheinen, aus Südstaaten-Hillbillys und Red­necks ordentliche Industriearbeiter zu machen. Bereits Henry Ford erkannte, dass es kaum eine bessere Werbung für ein Auto gibt als stolze Produzenten, die darin durch die Stadt fahren. Red­necks und Hillbillys wollen aber keinen demokratisch produzierten Passat, sondern fette Pick-up-Trucks. VW und die Südstaaten passen daher nicht wirklich zusammen.