Streit um den Berliner CSD

Des einen Stonewall, des anderen CSD

Wegen eines lächerlich anmutenden Namensstreits haben die Veranstalter des Christopher Street Day den Zorn der Berliner LGBTI-Szene auf sich gezogen. Die Hauptschuld daran trägt der Vorstand des Berliner CSD-Vereins selbst.

Geschrei, Zwischenrufe, Vorwürfe. Die Gesprächsleitung und der gesamte Vorstand verlassen den Raum. Der eigentliche Sinn des Berliner CSD-Forums ist es, die »Basis« in die Organisation des Christopher Street Day in Berlin einzubeziehen. Beim letzten CSD-Forum in der vergangenen Woche hat das nicht funktioniert. Am Ende der Veranstaltung wurde die Diskussionsleitung vom Forum übernommen und die verantwortlichen Organisatoren des Berliner CSD verließen den Raum.

Der Vorstand des Berliner CSD e. V. möchte die Parade in »Stonewall Berlin« umbenennen. Dies wurde Ende Januar beschlossen und seitdem kracht es in der Szene. Nach Angaben der Berliner CSD-Verantwortlichen soll die Umbenennung Bestandteil einer inhaltlichen Neuorientierung sein. Das ist schwer nachzuvollziehen, denn schon die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins ist katastrophal. Zu einer Pressekonferenz, die unmittelbar vor dem letzten CSD-Forum stattfand, war beispielsweise keinerlei Szenepresse eingeladen worden. Der Vorstand begründete dies mit der lapidaren Äußerung, man habe nur die relevanten Medien einladen wollen. Näherliegend ist jedoch, dass die vermeintlich irrelevante Szenepresse nicht eingeladen wurde, weil sie es zuvor gewagt hatte, den Vorstand zu kritisieren. Der CSD-Verein wollte diese Pressekonferenz dazu nutzen, den »Berliner Sumpf« vorzuführen. Geschäftsführer Robert Kastl beschuldigte die Stadt, den CSD gegenüber anderen Veranstaltungen zu benachteiligen. Es wurde der Vorwurf erhoben, Mitarbeiter von Behörden versuchten wegen ihrer homophoben Ansichten, Hunderttausende CSD-Teilnehmer aus dem Zentrum der Republik zu verbannen und zu marginalisieren. Es wurden auch noch weitere schwere Vorwürfe gegen die Berliner Ämter und Politik laut. Dummerweise wirkte die vermeintliche Aufdeckung des »Berliner Sumpfs« wie ein Manöver nach dem Motto »Angriff ist die beste Verteidigung«. Dass zudem schwule Politiker beschuldigt wurden, den CSD zu torpedieren, wurde von Zuhörern mit Befremden aufgenommen.
Warum streitet man nun darüber, wie die Veranstaltung heißen soll, während in Russland »Homo­propaganda« unter Strafe steht, in Uganda Hetzjagden auf Schwule veranstaltet werden und religiöse Fundamentalisten in Baden-Württemberg versuchen, LGBTI-Themen aus dem Lehrplan zu verbannen? Worum es überhaupt geht, ist nur schwer vermittelbar. Als am Morgen des 28. Juni 1969 die New Yorker Polizei im Greenwich Village eine homophobe Razzia durchführte, wehrten sich die dort anwesenden Personen. Der Tag gilt vielen als Beginn eines selbstbewussten Widerstands der LGBTI-Szene. Die Kneipe, in der die Razzia stattfand, hieß Stonewall Inn und befand sich in der Christopher Street. In Deutschland hat sich die Bezeichnung Christopher Street Day durchgesetzt, in den meisten Ländern spricht man schlicht von »Pride«, manchmal auch von »Stonewall«.
Der Vereinsvorstand rechtfertigt sein Vorhaben damit, dass sich bei einer Mitgliederversammlung 97 Prozent für eine Namensänderung ausgesprochen hätten. Das stimmt so aber nicht. Von den 97 Mitgliedern des Vereins haben lediglich 40 abgestimmt, Enthaltungen wurden den Ja-Stimmen zugerechnet. Dabei bekundeten einige Mitglieder deutlich, dass sie sich enthalten hätten, weil das Thema ihrer Ansicht nach nicht ausreichend diskutiert worden sei. Dies wiederum war Kalkül des Vereinsvorstands. Die Namensänderung sollte durchgesetzt werden, ohne dies zuvor mit der »Basis« zu besprechen. Während des CSD-Forums lehnte der Vorstand wiederholt eine inoffizielle Meinungsbildung ab, woraufhin ihm die Gesprächsleitung entzogen wurde, er den Raum verließ und sich bei einer Abstimmung der größte Teil der Anwesenden gegen eine Namensänderung aussprach.
Das Ziel des Vereins ist, eine »ganzjährige Bewegung« zu etablieren und ein Bewusstsein für die Geschichte des Kampfes gegen Homophobie zu schaffen. Das Problem ist mittlerweile aber, dass ein Großteil der Szene sich weder ganzjährig noch auch nur einen einzigen Tag länger vom Berliner CSD e. V. vertreten lassen möchte. Während des Forums begründetet der Vorstand die Umbenennung mit den Worten: »CSD wird nur noch mit Party, nackten Ärschen und Ficken in Verbindung gebracht!« Eine solch unreflektierte Aussage muss verwundern, vor allem wenn sie von den Organisatoren der gesamten Veranstaltung kommt. Zudem führte der Vorstand aus: »Es soll nicht mehr so schrill sein.« Wollen die Veranstalter gerade so auf Alexander Dobrindts (CSU) Äußerung reagieren, es handele sich bei Homosexuellen doch nur um eine »schrille Minderheit«, der zu viel Aufmerksamkeit geschenkt werde?

Dass die Mitglieder des CSD-Vereins keine große Lust mehr auf eine Zusammenarbeit mit den beiden Regierungsparteien verspüren, ist hingegen verständlich. Diese haben wiederholt versucht, Einfluss auf Motto, Leitthema und Forderungen des CSD auszuüben. Die Union stellt sich weiterhin gegen eine tatsächliche Gleichstellung, die SPD gibt dem Koalitionspartner nach. »Die Parole ›100 Prozent Gleichstellung nur mit uns‹ wurde von der SPD zu 100 Prozent über Bord geworfen«, konstatierte das Vorstandmitglied Sissy Kraus. Das Bestreben, sich nicht für einen billigen Wahlkampf herzugeben und auch nicht vor den Behörden zu beugen, war lange Zeit sinnvoll. Leider hat der Vereinsvorstand dabei jede Bodenhaftung verloren und es sich nun auch mit der »Basis« verscherzt.