Die Abschaffung der Dreiprozenthürde bei der Europawahl

Opa nach Europa

Für die Europawahl im Mai gilt in Deutschland die Dreiprozenthürde nicht mehr. Noch mehr Parteien haben nun Aussicht auf einen Platz in der Ver- und Entsorgungseinrichtung EU-Parlament.

Die Institutionen der EU muss man sich als einen Gnadenhof für abgehalfterte Politiker vorstellen. Für manche werden sogar besondere Pöstchen geschaffen, auf denen sie ihre Kernkompetenzen einbringen können. Edmund Stoiber darf sich als Leiter einer EU-Arbeitsgruppe um den Bürokratieabbau kümmern, Vorratsdatenspeicherungsfan Karl-Theodor von und zu Guttenberg durfte als Berater der EU-Kommission die Freiheit des Internet verteidigen. In den meisten Fällen tut es aber ein Sitz im Europäischen Parlament.
Künftig werden noch mehr deutsche Politiker um den Genuss dieser Ver- und Entsorgungseinrichtung konkurrieren, denn das Bundesverfassungsgericht hat Ende Februar die bisher geltende Dreiprozenthürde für die Europawahlen gekippt. Das Urteil gilt bereits für die kommende Wahl im Mai. Die Entscheidung begründete das Gericht damit, das Parlament sei »zwar auf dem Weg, sich als institutioneller Gegenspieler der EU-Kommission zu profilieren«, allerdings könne dies noch nicht mit der Situation im Bundestag verglichen werden, »wo die Bildung einer stabilen Mehrheit für die Wahl einer handlungsfähigen Regierung und deren fortlaufende Unterstützung nötig ist«. Übersetzung aus dem Juristischen: Das EU-Parlament hat eh nichts zu sagen und kann somit keinen größeren Schaden anrichten.
Leider eröffnet das Urteil auch eine Chance für Parteien, die sich bereits in der Rückbauphase befinden. Zu nennen wären da die Piratenpartei, die FDP und die »Alternative für Deutschland«, die nur ein Jahr nach ihrer Gründung dank zahlreicher Skandale und interner Querelen zwar kaum noch als Partei zu bezeichnen ist, sich dessen ungeachtet aber weiterhin beunruhigend hoher Umfragewerte erfreut.
Für den durchschnittlichen Politikkonsumenten ist das Urteil dennoch begrüßenswert, lassen sich nun doch allerhand Politiker nach Straßburg exportieren, die hierzulande ohnehin kein Mensch braucht. Vertreter der ÖDP zum Beispiel, die mit ihrem heldenhaften Kreuzzug wider den Tabak und seine Konsumenten sowieso auf EU-Linie liegt. Und ein, zwei NPD-Abgeordnete dürften neben den weitaus zahlreicheren der ungarischen Jobbik kaum auffallen. Interessant könnte es allerdings werden, wenn sie feststellen, dass die osteuropäischen Kameraden ein unverständliches ausländisches Kauderwelsch sprechen.
Doch vor den Erfolg hat die Arithmetik auch ohne Hürde noch immer die Wählermobilisierung gesetzt. Ungefähr ein Prozent Stimmenanteil sind weiterhin vonnöten, um ins Parlament einzuziehen. Martin Sonneborn, Großer Vorsitzender der Partei »Die Partei«, zeigt sich diesbezüglich im Interview mit der Süddeutschen Zeitung optimistisch: »Da sich mehr als zwei Drittel der Deutschen nicht für die EU-Wahl interessieren, befördert das natürlich unsere Chancen als kleine, obskure Splitterpartei.« Allerdings dürfte sich auch die Klientel konkurrierender Kleinparteien davon ermutigt fühlen, dass für sie abgegebene Stimmen nun keine verschenkten mehr sind. Aber Konkurrenz belebt das Geschäft. Daher sei hiermit der Rentnerpartei honorarfrei der Wahlkampf­slogan angeboten: »Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa.«