Sie nennen es Arbeit

Auch wer sich billig verkauft, verkauft sich. Verständlich wird die Kritik am Prozess gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, in dem es am Ende um etwa 700 Euro ging, nur vor dem Hintergrund des deutschen Standesdünkels. Sein Status und die Höhe seines Einkommens gelten fast schon als Unschuldsbeweis, so hält nicht nur der Richter Frank Rosenow es für unvorstellbar, »dass sich ein Ministerpräsident für Peanuts kaufen lässt«. Wulff bezog etwa fünfmal soviel Gehalt wie ein durchschnittlicher Staatsangestellter, der sich bereits der Vorteilsnahme schuldig macht, wenn er mehr als zehn Euro in bar oder Geschenke im Wert von mehr als 20 Euro annimmt. Menschen, für die knapp zwei Monatsregelsätze ALG II keine Peanuts sind, könnten nun noch schmerzlicher die Berücksichtigung der Unschuldsvermutung vermissen, wenn über eine höhere Zahl von Sanktionen der Jobcenter berichtet wird und Linke, denen Polizisten die Tür eingetreten haben, ohne dass eine Verurteilung vor Gericht folgte, dürften sich wundern, dass Wulff »für die erlittenen Durchsuchungen« eine Entschädigung erhalten soll.
Nun bekunden viele Journalisten Reue darüber, einen Mann hohen Standes wie einen gewöhnlichen Sterblichen behandelt zu haben. Doch nicht nur im Hinblick auf Unterwürfigkeit war der Prozess lehrreich. Er stellte noch einmal klar, dass man deutsche Politiker nicht bestechen muss, damit sie weit über ihre Dienstpflichten hinaus und mit viel Liebe zum Detail dem Kapital dienen. Es ist ihnen ein unstillbares inneres Bedürfnis und als Belohnung erwarten sie nur, von der Bourgeoisie als gleichrangig akzeptiert zu werden. Zwar gehört es im Kapitalismus zu den Pflichten eines Politikers, Unternehmer zu hofieren, damit sie in seinem Verwaltungsbereich investieren. Aber welchen Nutzen das Land Niedersachsen von Wulffs Einsatz für den Film »John Rabe« gehabt haben soll, erschließt sich auch dem wohlwollenden Beobachter nicht. Auch sollte man annehmen, dass ein niedersächsischer Unternehmer in der Lage ist, die Sprachbarriere zu überwinden und eine Geschäftschance in Baden-Württemberg zu erkennen, ohne bei dem von Wulff geförderten »Nord-Süd-Dialog« mit Sekt abgefüllt zu werden. Als Landesvater hatte Wulff aber noch andere Sorgen. Die in Niedersachsen spielenden »Tatort«-Folgen seien »immer so düster« gewesen, sagte seine Ehefrau Bettina aus, deshalb habe es Wulff »am Herzen gelegen«, darüber mit Maria Furtwängler zu reden, die eine »Tatort«-Kommissarin in Hannover spielt. Da Wulffs Arbeitsweise typisch sein dürfte, wissen wir nun auch, was von dem Gejammer zu halten ist, dass Politiker bis zur Erschöpfung arbeiten müssen. Wenn sie sich auf das Kerngeschäft beschränken würden, könnte man auch das Amt eines Ministerpäsidenten als Halbtagsjob ausschreiben.