Die Unerschrockene

Schon bei einem ihrer ersten Prozesse im Jahr 2001 gegen mordende Militärangehörige bewies Iris Jazmín Barrios Standfestigkeit. Damals wurden zwei Granaten auf ihr Haus abgefeuert, doch davon ließ sich die guatemaltekische Richterin nicht einschüchtern. Neben erbitterten Feinden hat sie daher auch viele Bewunderer. Am Dienstag voriger Woche zeichnete das US-Außenministerium Barrios nun als eine von zehn »Women of Courage 2014« aus, als eine der derzeit mutigsten Frauen. Denn die Richterin mit der lockigen Haarmähne hatte den Schneid, einen der wichtigsten Prozesse der Geschichte Guatemalas zu führen, den gegen den ehemaligen Diktator Efraín Ríos Montt. Brisanter kann ein Prozess in Guatemala nicht sein und die Art und Weise, wie Barrios diesen im Frühjahr 2013 leitete, hat ihr viel Respekt eingebracht – in Guatemala, aber vielleicht noch mehr außerhalb des mittelamerikanischen Landes.
Der Druck, der auf der Richterin lastete, die seit 2001 dem Tribunal Primero de Alta Peligrosidad A de Mayor Riesgo, dem Obersten Hochsicherheitsgericht, angehört, war groß und kam vor allem von Mi­litärangehörigen. Denen ist an der Aufklärung der Verbrechen während des jahrzehntelangen blutigen Bürgerkriegs wenig gelegen, das Urteil der Richterin gefiel ihnen ebenso wenig: 80 Jahre Haft verhängte sie gegen Ríos Montt und machte ihn persönlich für die Ermordung von 1771 Ixil-Maya verantwortlich. Ein historisches Urteil und ein Beweis dafür, dass Rechtsprechung auch gegen die Elite des Landes möglich und der demokratische Zugang zum Rechtssystem keine Utopie sei, urteilte das US-Außenministerium. Ohne allerdings zu erwähnen, dass das bahnbrechende Urteil der 50jährigen Richterin schon vier Wochen nach der Verkündung vom guatemaltekischen Verfassungsgericht rückgängig gemacht wurde, da Verfahrensfehler festgestellt worden waren. Menschenrechtsanwälte betonen jedoch, dass Aufzeichnungen und Aussagen belegen würden, dass die Verfassungsrichter das Recht gebeugt hatten, um eine wei­tere Welle von Klagen gegen Mitverantwortliche von Massakern und Vertreibungen zu verhindern. Gleichwohl verdienen das Urteil und das couragierte Auftreten von Barrios Respekt. Nun wird erst der Umgang mit dem Urteil beziehungsweise die Revision des Prozesses zeigen, ob Guatemala sich tatsächlich in Richtung Rechtstaatlichkeit bewegt oder weiterhin Straflosigkeit herrscht.