Schwierige Zeiten für Ägyptens Wirtschaft

Zwischen Streiks und Pleite

Die neue ägyptische Regierung ist finanziell abhängig von Zahlungen der Golfstaaten und steht vor gigantischen sozioökonomischen Herausforderungen.

Ägyptens neuer Ministerpräsident Ibrahim Mahleb wird von seinen Vertrauten innerhalb der neuen Regierung als Macher-Typ dargestellt. Der gelernte Ingenieur war im letzten Jahrzehnt der Amtszeit des ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak Vorsitzender der größten Baufirma des Landes, Arab Contractors, die vor allem große Infrastrukturprojekte im Auftrag des Staats realisierte. Zur gleichen Zeit, als Mahlab den Vorsitz von Arab Contractors übernahm, wurde er auch in das Politische Komitee der damaligen Staatspartei NDP berufen – in jenen engen Zirkel einflussreicher Politiker und Geschäftsleute um Mubaraks Sohn Gamal, der in der Staatspartei für die Formulierung der wesentlichen politischen Strategien verantwortlich war.
In seiner Antrittsrede im Staatsfernsehen konzentrierte sich Mahlab vor allem auf zwei Themen: die Bekämpfung des Terrorismus und die Wiederbelebung der ägyptischen Wirtschaft. Er sprach von »schwierigen Zeiten«, die bevorstünden, und forderte seine Landsleute zu harter Arbeit auf.
Die schwierigen Zeiten, vor denen seine Regierung steht, sind offenkundig: Seit Februar hat eine Streikwelle weite Teile des öffentlichen Dienstes in Ägypten erfasst. Ganze Berufszweige traten in den Ausstand: die Busfahrer in Kairo, die Straßenkehrer in Giza, aber auch die Textilarbeiter in Mahalla al-Kubra, die für Mindestlöhne demonstrieren. Der Forderung nach einem Mindestlohn schlossen sich auch niedrigrangige Polizeibeamte an, die ebenfalls mit Streik drohten. Um einen Ausstand der Polizei zu verhindern, versprach die Regierung den Polizisten eine Lohn­erhöhung von über 30 Prozent. Gegen die Ärzte des staatlichen Ärzteverbandes hingegen leitete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren ein, nachdem sie aus Protest gegen die schlechten Bedingungen im staatlichen Gesundheitssystem ebenfalls in Streik getreten waren.
Die Streikwelle ist politisch brisant, dessen dürften sich die Kabinettsmitglieder der neuen Regierung, von denen die meisten dem alten ­Regime nahestanden, sehr bewusst sein. Es waren das gewaltsame Niederschlagen von Massenstreiks in den Industriestädten im Nildelta im April 2008 und die darauffolgende Solidarisierung der städtischen Mittelschicht mit den Streikenden, die den Anfang vom Ende von Mubaraks Herrschaft bedeuteten. Die neue Regierung steht somit vor demselben Dilemma, vor dem auch ihre Vorgängerregierungen standen: Der soziale Druck der nunmehr knapp 90 Millionen Ägypter, von denen fast die Hälfte in Armut lebt, lässt nicht nach.

Doch die Haushaltslage des Staats lässt großzügige Sozialprogramme kaum zu. Das Haushaltsdefizit beträgt 14 Prozent. Zugleich ist die Inflationsrate auf elf Prozent gestiegen, was weitere Teile der Bevölkerung näher an die Armutsgrenze rücken lässt. Und nach den gewaltsamen Monaten seit dem Sturz Mursis und der Machtübernahme des Militärs fielen auch ausländische Inves­titionen unter das ohnehin niedrige Niveau von Mursis Amtszeit. Die Einnahmen aus dem Tourismus sind seit dem vergangenen Sommer um weitere 30 Prozent gesunken – ein neuer Tiefststand, der sich allzu schnell wohl nicht ändern wird. Zuletzt erließen die deutsche und die bel­gische Regierung eine Reisewarnung für die Touristenorte auf der Sinai-Halbinsel, nachdem bei einem Anschlag auf einen Reisebus an der ägyptisch-israelischen Grenze vier Menschen ums Leben gekommen waren. Deutsche Touristen zählen in Ägypten nach Russen zur zweitgrößten Besuchergruppe.
In dieser schlechten ökonomischen Lage retten vor allem die Milliardenzuschüsse der Golfstaaten Saudi-Arabien, Kuwait und der Vereinten Arabischen Emirate den ägyptischen Staatshaushalt. Unmittelbar nach der Machtübernahme des Militärs signalisierten die Golfmonarchien ihre Bereitschaft, die neuen Machthaber zu unterstützen; 15 Milliarden Dollar sind mittlerweile geflossen und haben den ägyptischen Staat wohl vorerst vor der Pleite und das Land vor noch größeren Turbulenzen bewahrt.
Die Golfstaaten folgen dabei auch einem innenpolitischen Kalkül. Ebenso wie das ägyptische Militär und Teile der alten Führungsgruppen in Ägypten sahen sie im Aufstieg der Muslimbruderschaft eine Gefahr für den eigenen Machterhalt. Die Bewegung der Muslimbrüder verfügt auch über Ableger in den Golfstaaten, und manche ihrer Ideologen sehen in den Monarchien am Golf »korrumpierte, unislamische« Regierungen, die willfährig die Interessen des Westens in der Region verträten und deswegen zu Fall zu bringen seien. Da die Muslimbruderschaft als Strategie der Machtergreifung auch auf Wahlen setzte, bedeuteten sie für die Herrscher am Golf gleich in zweierlei Hinsicht eine Bedrohung. Mit ihrem Drängen auf gesellschaftliche Partizipation und Wahlen stellt sie das Herrschaftssystem der Könige und Emire in Frage.
Die Herrscher am Golf scheinen sich bewusst zu sein, wie sehr die soziale Frage in Ägypten über das Wohl ihrer neuen, altvertrauten Partner im Militär und den alten Machtcliquen entscheidet. So hat die ägyptische Regierung jüngst ein Konzept zur Bekämpfung der Wohnungsnot unter der jungen Generation vorgestellt – mit dem Ziel, innerhalb von fünf Jahren eine Million preiswerte Wohneinheiten zu errichten. Das Projekt ist ein Joint Venture des ägyptischen Militärs und der emiratischen Baufirma Arabtec Contractors, die vom »größten Bauprojekt in der arabischen Welt« spricht. Ökonomische Gründe wie das Fehlen ­einer eigenen Wohnung sind für viele junge Ägypter ein wesentlicher Grund, die Heirat hinauszuschieben.
Doch trotz des genuinen Interesses der Golfstaaten am Erfolg der neuen ägyptischen Regierung spricht manches dafür, dass sich diese nicht völlig vom Wohlwollen der Könige und Emire abhängig machen will. Das Einschwören seiner Landsleute auf die »schwierigen Zeiten, die bevorstehen«, deutet darauf hin, dass sich die Regierung Mahlabs auch eine graduelle Reform des ausufernden Beamtenapparats und der staatlichen Subventionspolitik vornehmen wird.
Nach Angaben der ägyptischen NGO Bahro (Budget and Human Rights Observatory) aus dem Jahr 2012 betragen die Ausgaben für den Staatsapparat und staatliche Subventionszahlungen zusammen 77 Prozent des ägyptischen Haushalts. Der Staat subventioniert von Weizen über Bratöl bis hin zu Elektrizität und Gas so ziemlich alles. Es wird kaum in Frage gestellt, dass eine Kürzung der Subventionen für Grundnahrungsmittel die Unterschicht hart treffen würde.

Doch Studien haben auch herausgefunden, dass die Unterschicht nicht der Hauptprofiteur der staatlichen Subventionspolitik ist. So schätzt die Weltbank, dass den reichsten 20 Prozent der ägyptischen Bevölkerung über 50 Prozent der staatlichen Subventionen zugute kommen. Von Subventionen auf Elektrizität und Treibstoff profitierten vor allem große Industriebetriebe – wie beispielsweise die quasi-staatliche Baufirma Arab Contractors, für die Mahlab vier Jahrzehnte arbeitete und deren Vorsitz er für zehn Jahre inne hatte. Es ist also fraglich, ob eben jene alten Profiteure des Systems der staatlichen Zuwendungen, der Günstlingswirtschaft und der kurzfristigen Ausbesserungen imstande sein werden, dieses System zu reformieren.
Für den Journalisten und sozialen Aktivisten Mohammed Fouad sind diese Reformen unumgänglich: »Die gegenwärtige Regierung steht vor der gigantischen Herausforderung, entweder jetzt zu handeln oder Ägypten weiter von einer Beatmungsmaschine abhängig zu machen – bis jemand den Stecker zieht.«