Die Hilflosigkeit des Westens im Syrien-Krieg

Drei Jahre ohne Plan

Die westlichen Staaten und die UN haben im Syrien-Konflikt völlig versagt. Nichts­sagende Stellungnahmen und moralische Friedensappelle sind alles, was sie dem ­syrischen Regime entgegensetzen.

Nach monatelangen heftigen Kämpfen eroberten am Sonntag Truppen der syrischen Armee, unterstützt von Kämpfern der Hizbollah, die bislang von Rebellen gehaltene Stadt Yabroud an der libanesischen Grenze. Ein Grund zum Feiern für das syrische Regime und dessen enge Verbündete, den Iran und die Hizbollah, denn nun können weitere von der Opposition kontrollierte Stadtviertel in Damaskus und Umgebung von jeder Versorgung abgeschnitten und gezielt ausgehungert werden. Die Eroberung Yabrouds fiel ausgerechnet auf den dritten Jahrestag des Ausbruches des Aufstands in Syrien, der im März 2011 als friedlicher Protest begann, vom ersten Tag an allerdings vom Regime mit brutaler Gewalt niedergeschlagen wurde. Während Russland und der Iran weiter fest an der Seite des Regimes stehen und Assad alle notwendige logistische und militärische Unterstützung zukommen lassen, begehen die sogenannten »Freunde Syriens«, also die USA und andere westliche Länder, den Jahrestag mit nichtssagenden Stellungnahmen und folgenlosen Friedensappellen.
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier appellierte an den syrischen Präsidenten; Menschenrechtsorganisationen und syrische Oppositionelle appellierten an die UN, die ihrerseits Appelle an die Weltöffentlichkeit und Regierungen der »internationalen Staatengemeinschaft« rich­tete. Keine großen Reden über die »duty to protect« (Obama) oder die Verantwortung der westlichen Wertegemeinschaft wurden mehr gehalten, lieber schwieg man über das völlige Versagen im Syrien-Konflikt.

Dabei bedürfte es nicht einmal einer militärischen Intervention, damit das Blatt in Syrien sich wendet. Was 2011 schon richtig gewesen wäre – als man in Washington den syrischen Diktator noch als »Reformer« bezeichnete, während dieser seine Truppen friedliche Demonstranten niederschießen ließ – ist es auch heute noch: Einige wenige Luftschläge würden genügen, um die ­syrische Luftwaffe auszuschalten, auf die das Regime sich maßgeblich stützt. In Stunden hätte es ein Ende mit den verheerenden barrel bomb-Angriffen auf schutzlose Zivilisten, die ganze Stadtviertel in Schutt und Asche legen, in Wochen wohl auch mit der Überlegenheit der syrischen Truppen und ihrer Verbündeten auf dem Schlachtfeld.

Aber die Zeiten humanitärer oder sonstiger Interventionen sind offenbar vorbei, Forderungen der syrischen Opposition, eine Schutz- beziehungsweise Flugverbotszone einzurichten, stoßen auf taube Ohren.
Weitgehend erledigt hat sich auch die Hoffnung auf eine diplomatische Lösung, nachdem die ­sogenannten Friedensgespräche in Genf erwartungsgemäß so scheiterten, wie das Regime sie scheitern lassen wollte. Das Schicksal Syriens wird sich, da stimmen Regime und Opposition ausnahmsweise überein, auf dem Schlachtfeld entscheiden.
Denn Assad weiß spätestens seit August vorigen Jahres, als er nicht etwa bestraft wurde für den Einsatz von Giftgas, sondern die USA ihn mit diplomatischer Aufwertung gratifizierten, dass ihm nichts geschehen wird, solange er die Macht in Damaskus inne hat. Gezieltes Aushungern von Zivilisten und der Einsatz massenmörderischer Streubomben auf Wohnviertel? Das ist ebenso unschön wie Tausende systematisch zu Tode gefolterte Regimegegner, deren qualvolles Ende auch noch akribisch dokumentiert wurde. Aber Gründe für ein Einschreiten sind das längst nicht mehr.
Über 40 Prozent aller Syrer seien inzwischen auf der Flucht, meldete das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR vergangene Woche, der Syrien-Konflikt sei damit zur größte Flüchtlingskrise der vergangenen 50 Jahre geworden. Geschätzte 2,6 Millionen Syrer haben in den Nachbarländern Zuflucht gesucht, weitere 6,5 Millionen seien ­innerhalb des Landes auf der Flucht. Von den 250 000 irakischen Flüchtlingen, die aus dem Westirak geflohen sind, seit es dort, als direkte Folge des Syrien-Konfliktes, wieder zu Kämpfen mit dem jihadistischen »Islamischen Staat« ­gekommen ist, redet schon niemand mehr.
Unerträglich sei es, erklärte UN-Hochkommissar Antonio Guterres, dass eine solche Tragödie sich vor »unseren Augen abspiele«, ohne dass irgendwelche Schritte unternommen würden, »das Blutvergießen zu beenden«. Doch wenn der Uno nichts anderes bleibt, als moralische Appelle zu lancieren, ist das bestenfalls Ausdruck ihrer völligen Hilflosigkeit.

Derweil hat das Regime ganze Städte oder Stadtviertel in Trümmer gelegt, die medizinische Versorgung im Land ist weitgehend zusammengebrochen, die Hälfte aller Syrer sind, Daten der UN zufolge, von humanitärer Hilfe abhängig. Täglich sterben inzwischen über 100 Menschen in bewaffneten Konflikten, unzählige andere werden verletzt. Und die Aussichten könnten trüber nicht sein: auch im vierten Jahr wird der Krieg weitergehen, keine Seite ist stark genug, ihn in absehbarer Zeit zu gewinnen. Mehr Syrer werden flüchten, ohne dass es eine hinreichende Versorgung für sie in den angrenzen Ländern gäbe und der Konflikt wird sich mehr und mehr auf die ganze Region ausdehnen.
Eine Lehre, die Autokraten und Diktatoren aller Couleur, auch die in spe, längst aus diesem Konflikt gezogen haben, ist so naheliegend wie einleuchtend: Es ist fatal, sich mit diesem Westen zu verbünden, der einen im Zweifelsfall nur im Stich lässt, während auch in der Stunde der Not auf Russland und den Iran als Alliierte Verlass ist. Die beglücken einen nämlich nicht mit Appellen und ein bisschen humanitärer Hilfe, sondern senden dringend benötigtes Geld, Waffen und Kämpfer.