Abschiebungen in Balkanstaaten sollen einfacher werden

Sicher nicht sicher

Die Bundesregierung will die Zuwanderung von Asylbewerbern aus dem Balkan begrenzen. Nun hat das Innenministerium einen Gesetzentwurf vorgelegt, fünf Balkanstaaten sollen als »sichere Herkunftsländer« eingestuft werden. Von den geplanten Änderungen sind vor allem Roma betroffen.

Deutschland will fünf Balkanstaaten als sogenannte »sichere Herkunftsländer« einstufen. Asylanträge von Serben, Mazedoniern, Bosniern, Montenegrinern und Albanern könnten dann deutlich schneller abgelehnt werden. Auch Abschiebungen dorthin sollen vereinfacht werden. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat nun Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vorgelegt.
Seit die EU vor einigen Jahren die Visumpflicht für Serben und Mazedonier abgeschafft hat, ist die Zahl von Asylanträgen aus diesen Ländern gestiegen. Im Januar und Februar dieses Jahres stammte knapp jeder Dritte der rund 26 000 Asylbewerber aus der Region: Etwa 3 880 Serben, 1 700 Mazedonier, 1 250 Albaner und 1 230 Bosnier wollten Asyl. Nach Zahlen des Bundestags sind über 90 Prozent der Antragsteller Roma. Schon jetzt sind die Aussichten für sie schlecht: 2013 wurde bei rund 27 000 Asylanträgen aus Serbien und Mazedonien ganze sieben Mal der Flüchtlingsstatus zuerkannt; weitere 35 Antragsteller erhielten Abschiebeschutz.

Das Bundesinnenministerium wertet dies als Beleg dafür, dass die Anträge aus »asylfremden Motiven« gestellt werden – also um in Deutschland für die Dauer des Asylverfahrens Sozialleistungen zu bekommen. Deutschland müsse deshalb »als Zielland für aus asylfremden Motiven gestellte Asylanträge weniger attraktiv« werden, so die Begründung für die Gesetzesänderung. Durch den zu erwartenden Rückgang der Zahl der Anträge würden »Bund, Länder und Kommunen« Kosten für die Verfahren selbst und Sozialleistungen sparen. Dazu soll gesetzlich festgeschrieben werden, dass »in Serbien keine politische Verfolgung stattfindet«, die politische Opposition könne sich »frei betätigen«.
Das Innenministerium rechnet mit einem »scharfen kurzfristigen Anstieg bei der Zahl ausreisepflichtiger Personen«. De Maizières Referenten empfehlen den Ausländerbehörden deshalb, sich »auf eine zu erwartende Belastungsspitze« bei den »aufenthaltsbeendenden Maßnahmen« einzustellen. Die ohnehin rege Abschiebeaktivität in den Balkan soll also intensiviert werden. Die Regelung möge »schnellstmöglich in Kraft treten, um die gewünschten Beschleunigungseffekte zu erzielen«, schließt der Entwurf. »Sichere Herkunftsländer« kennt das deutsche Asylrecht schon länger, bislang ist die Liste aber kurz – außer den EU-Staaten, der Schweiz und Norwegen stehen nur Ghana und Senegal darauf. Bei diesen Ländern wird von Gesetz wegen angenommen, dass »dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet«.
Wer dennoch einen Asylantrag stellt, muss »glaubhaft machen«, dass er oder sie verfolgt wird. Ein Sprecher des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) spricht von einer »Beweislastumkehr«: »Wir gehen in diesen Fällen von vornherein davon aus, dass es keine Verfolgung gibt.« Dadurch können die Anträge schnell als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt werden. Gegen diese Form der Ablehnung sind kaum noch Rechtsmittel möglich, eine Abschiebung kann unmittelbar angeordnet werden.
Im vorigen Jahr brauchten die Mitarbeiter des BAMF im Durchschnitt 2,1 Monate, um Asylanträge von Serben zu bearbeiten, bei Mazedoniern dauerte es 2,4 Monate. Danach ist eine Klage beim Verwaltungsgericht möglich. Wer sich den Anwalt dafür leisten kann, kann durchaus noch eine Weile in Deutschland bleiben. In Zukunft soll genau das unmöglich gemacht werden.

Wege zu finden, die ungeliebten Roma vom Balkan aus Deutschland fernzuhalten, war schon in der letzten Legislaturperiode eines der Lieblingsprojekte des damaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CSU). Sein Staatssekretär Ole Schröder sprach 2012 von »massivem Asylmissbrauch« durch Serben und Mazedonier. Als Beleg führte er an, dass die Anerkennungsquote von Bewerbern aus Serbien und Mazedonien »gegen null« gehe. Von »Schnellverfahren« war die Rede, Friedrich kommandierte sogar Bundespolizisten in das BAMF ab, um die Asylanträge der Roma schneller bearbeiten zu lassen. Mit den meisten seiner Vorschläge konnte er sich aber nicht durchsetzen: »Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt, soll künftig eine abgesenkte Barleistung erhalten«, hatte Friedrich verlangt, kam aber damit ebenso wenig durch wie mit der Forderung, Serbien und Mazedonien die Visumfreiheit wieder zu entziehen, wenn sie ihre Bürger nicht daran hindern, nach Deutschland zu kommen. Allerdings machte Friedrich so viel Druck, dass beide Länder seit etwa zwei Jahren Roma an der Ausreise hindern, wenn sie glauben, dass sie in Westeuropa Asyl beantragen wollen.
Während der Koalitionsverhandlungen bestand die Union schließlich darauf, die Balkanstaaten als »sichere Herkunftsländer« einzustufen. Die SPD ließ sich darauf ein – allerdings nur für Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien. Nun schrieb de Maizière noch Albanien und Montenegro in den Gesetzentwurf und provozierte damit einen Koalitionsstreit. »Es ist mir völlig unverständlich, warum die Union von der Vereinbarung abweicht und den Koalitionsvertrag in Frage stellt«, sagte Schleswig-Holsteins Innenminister Andreas Breitner (SPD). »Man kann nicht nachträglich etwas vorschlagen, weil man es in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen konnte«, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann. »Aus drei darf nicht fünf werden.«
Stephan Mayer (CSU), innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, verteidigte hingegen die Pläne des Innenministeriums: »Die Ausweitung auf die fünf Länder ist richtig, da zum Zeitpunkt der Koalitionsverhandlungen die aktuellen Entwicklungen nicht absehbar waren.« Ulla Jelpke, Abgeordnete der Linkspartei, kritisierte de Maizières Entwurf: »Roma sind in diesen Staaten vielfachen Formen der Diskriminierung ausgeliefert, die zusammengenommen durchaus Flüchtlingsschutz begründen können.« Auch NGOs wie Pro Asyl reagierten entsetzt auf die Reformpläne: »Schon der auf Mazedonien, Serbien und Bosnien beschränkte Referentenentwurf war ein unseriöses Machwerk, mit dem jeder gesetzgeberische Mindeststandard an Begründungen unterschritten wurde«, heißt es in einer Stellungnahme. »Eine konkrete Auseinandersetzung mit der Menschenrechtslage in den drei Staaten findet sich ebenso wenig wie die Auswertung einer Vielzahl von Berichten der Nichtregierungsorganisationen.« Diese belegten ein Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen in den drei Staaten, »die deren Einordnung als ›sichere Herkunftsstaaten‹ als völlig unmöglich erscheinen lässt«.

Auch das Göttinger Roma-Center kritisierte die Pläne scharf. »Für Roma ist kein Staat sicher«, heißt es in einer Stellungnahme. Bei einer Recherchereise nach Serbien habe eine Delegation des Roma-Centers kürzlich mit dem Leiter der Behörde gesprochen, die für die Wiedereingliederung der Abgeschobenen zuständig ist. »Vor laufender Kamera versicherte er, in Serbien müsse kein Rückkehrer in Wäldern oder unter Brücken schlafen.« Nur wenige Stunden später hätten die Rechercheure beim Besuch der Slumsiedlung Vidikovac am Stadtrand von Belgrad gesehen, wie die Abgeschobenen »in ›Häusern‹ aus Sperrmüll und Pappe« wohnen müssten. Die Organisation verweist, ebenso wie Jelpke, auf die Möglichkeit, auch bei »kumulativ vorliegenden Verfolgungsgründen« Asyl zu gewähren, wenn in der Summe Grundrechte erheblich verletzt werden. »Es drängt sich geradezu auf, dass Roma in Serbien genau dieser Verschränkung unterschiedlicher Diskriminierungen ausgesetzt sind«, stellt das Roma-Center fest.