In Großbritannien wird der Zusammenhang zwischen Kopfbällen und Demenz untersucht

Gefährlicher Rumms

Vor zwölf Jahren versprach der britische Fußballverband eine Studie über den Zusammenhang von Kopfbällen und späteren Demenzerkrankungen. Das Ergebnis wurde bisher nicht veröffentlicht.

Dass Leistungssport nicht unbedingt gesund ist, ist schon lange bekannt. Viele ehemalige Sportler leiden unter Knieproblemen, Rückenschmerzen oder müssen sogar, wie jetzt Boris Becker, bereits in vergleichsweise jungem Alter künstliche Hüftgelenke bekommen. Unter der eingeschränkten Mobilität leidet jedoch nicht nur die allgemeine Lebensqualität; besonders für diejenigen, die nicht durch ihren Sport reich geworden sind, sind die finanziellen Belastungen, die durch die Folgeschäden entstehen, nur schwer zu bewältigen.
In letzter Zeit wird vermehrt über eine Erkrankung diskutiert, die meistens jahrelang unerkannt bleibt, und oft erst posthum zu diagnostizieren ist: Schäden am Gehirn, die durch Kopfbälle und anderen Erschütterungen hervorgerufen werden können.
Als der ehemalige Fußballprofi Jeff Astle 2002 im Alter von nur 59 Jahren starb, stellte der Leichenbeschauer einen Totenschein aus, auf dem als Todesursache »Berufskrankheit« angegeben war. Diese Berufskrankheit soll sich Astle durch Kopfbälle zugezogen haben, der fünfmalige Nationalkicker und Stürmer des englischen Vereins West Bromwich Albion FC war für seine Kopfballstärke bekannt. Jeff Astle war dement, er erkannte am Ende zwar noch seine Frau, aber bei seinen Töchtern hatte er schon Schwierigkeiten. Dass er einmal Fußballer gewesen war, wusste Astle nicht mehr. Die Football Association FA reagierte damals umgehend und versprach Astles Familie, gemeinsam mit der Professional Footballers Association PFA eine Langzeitstudie über den möglichen Zusammenhang von Kopfbällen und späteren Demenzerkrankungen bei Fußballspielern durchzuführen. Die Studie sollte über zehn Jahre laufen. Bisher lässt das Ergebnis allerdings auf sich warten. Die FA sagt, dass die Studie nicht abgeschlossen worden sei, weil die beobachteten Spieler mit dem professionellen Fußball aufgehört hätten. PFA-Vorstandschef Gordon Taylor erklärte dagegen: »Es gab Schwierigkeiten beim Verfolgen der involvierten Personen, aber die Studie ist fertig, auch wenn sie nicht veröffentlicht wurde.«
In Italien hat man eine Untersuchung auf Gehirnkrankheiten von Fußballern durchgeführt. Dort erkannte eine Studie an 7 000 ehemaligen Profifußballern deutlich erhöhte Indikatoren für Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems.
Jeff Astles Tod und die angekündigte britische Studie waren eigentlich fast vergessen. Öffentliche Reaktionen darauf gab es jetzt nur, weil Astles Witwe Laraine der Tageszeitung Daily Mail in einem Interview schilderte, wie es um ihren Mann vor seinem Tod stand. Und wie schnell die Erkrankung fortgeschritten war. Erste Symptome hatte das Paar nicht einmal fünf Jahre vor Astles Tod bemerkt, im Alter von 55 Jahren, mehr als 20 Jahre nach dem Ende seiner Karriere als Profi. Dass die FA mit dem Thema völlig überfordert ist, zeigte auch die Reaktion des Verbands auf das Interview. Man versuchte, sich bei der Familie dafür zu entschuldigen, über die Jahre nicht mit ihr in Kontakt geblieben zu sein – diese Entschuldigung wurde jedoch nicht direkt an die Familie gerichtet, sondern als Presseerklärung veröffentlicht. Und in dieser Erklärung bot man der Familie als Entschädigung zwei Freikarten für ein Match der englischen Nationalmannschaft an. Kein Wunder, dass Astles Tochter Dawn dies ablehnte: »Sie denken, dass er nur ein paar Tickets wert war«, sagte sie. »Wir wollen eine parlamentarische Untersuchung und dass endlich anerkannt wird, dass mein Vater wegen seines Jobs starb.«
Immerhin stehen die Chancen für eine offizielle Anerkennung von Demenz als Fußballerberufskrankheit jetzt besser. Der führende britische Neuropathologe Professor Willie Stewart erklärte sich bereit, das Gehirn von Astle zu untersuchen, um herauszufinden, ob er an chronischer traumatischer Enzephalopathie litt. Die Erkrankung, abgekürzt CTE, ist eine degenera­tive Gehirnveränderung, die nicht nur einzelne Teile, sondern das Gehirn als Ganzes betrifft, ausgelöst wird sie durch eine Reihe von Gehirnerschütterungen oder eine Vielzahl von harten Stößen gegen den Kopf. Die Krankheit kann nur postmortal sicher diagnostiziert werden. Physisch zeigt sie sich durch einen Gewichtsverlust des Gehirns infolge einer Schrumpfung der Frontal- und Temporallappen. Unter dem Mikroskop kann man Ablagerungen von Tauproteinen und den Verlust von weißer Substanz erkennen. Da es aber noch keine Möglichkeiten gibt, die Krankheit am lebenden Organismus festzustellen, wird durch die Ähnlichkeit der Symptome oft eine ALS diagnostiziert – wie bei den 7 000 ehemaligen Fußballprofis aus Italien, die dafür deutlich erhöhte Indikatoren aufwiesen. Amyotrophe Lateralsklerose ist auch als Motor Neuron Disease bekannt; in den USA trägt sie zudem den Namen Lou Gehrig’s Disease, benannt nach einem bekannten Baseballspieler, bei dem die Krankheit schon 1938 als noch aktiver Sportler diagnostiziert worden war. Neben ALS wurde auch Alzheimer als Ursache für die Demenz vermutet. Während in Europa erst jetzt die Problematik von häufigen Stößen gegen den Kopf beim Sport in die Öffentlichkeit rückt und die Sportverbände das Thema lieber verschweigen, ist man in den USA schon weiter. Dort gibt es anerkannte Fälle von CTE in den Sportarten Boxen, American Football, Eishockey, Wrestling, Rugby, Baseball und eben Fußball. Und man ist mittlerweile so weit, dass nicht nur bei Vollprofis in den höchsten Ligen auf die Krankheit geachtet wird, sondern auch bei Halbprofis wie dem 2012 verstorbenen Fußballspieler Patrick Grange, der im Alter von 29 Jahren an ALS starb und bei dem später dann CTE diagnostiziert worden war. Die National Football League wurde im April 2011 von 4 500 ehemaligen Spielern oder deren Angehörigen verklagt, weil sie nicht ausreichende Maßnahmen gegen Kopfverletzungen ergriffen und die Spieler vor allem nicht rechtzeitig über die Konsequenzen informiert habe. Zu einem Urteil kam es jedoch nicht, da sich die Liga mit den ehemaligen Spielern außergerichtlich einigte. Aber Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, Alzheimer oder ALS zu bekommen, bei NFL-Spielern vier Mal höher ist als bei durchschnittlichen, nicht Football spielenden männlichen Amerikanern.