Immer mehr US-Bundesstaaten lockern ihre Marihuana-Gesetze

Don’t criticize it!

Die Legalisierung von Cannabis in den USA ist gut für die Wirtschaft. Die Bundesstaaten Washington und Colorado sind die ersten, in denen man Marihuana legal kaufen kann. Andere Bundesstaaten lockern derzeit ihre Gesetzgebung.

Sowas kann passieren: Vor dem Flug will man noch schnell einen Joint rauchen, aber was dann? Wohin mit dem Gras, wenn noch welches übrig ist? Wer im US-Bundesstaat Colorado in einen Flieger steigt, muss sich keine Sorgen machen, hier ist Marihuana seit November 2012 völlig legal. Aber das ist nicht überall so. Problematisch wird es, wenn man in einem anderen Land oder auch nur in einem anderen Bundesstaat wieder aus dem Flugzeug steigt. Zum Glück werden jetzt an allen Flughäfen Colorados sogenannte »Amnesty-Boxen« angebracht, eine Art Mülleimer, in denen man sein Gras ohne rechtliche Konsequenzen ganz legal loswerden kann. Die Bundesstaaten Colorado und Washington sind die ersten, die Cannabis legalisiert haben, hier wird ein Joint rechtlich nicht mehr anders bewertet als eine Dose Bier. Keine Frage: Die Amerikaner erstreiten sich langsam, aber sicher ihr Recht aufs Kiffen. Umfragen zufolge rauchen 13,7 Prozent aller Amerikaner hin und wieder mal Marihuana. Die Legalisierung ist aber nicht nur gut für Kiffer, sondern in erster Linie für die Wirtschaft. Allein im Januar dieses Jahres wurde in Colorado Marihuana im Wert von 14 Millionen Dollar verkauft, der Staat verdiente an Steuern und Lizenzgebühren im selben Zeitraum über 3,5 Millionen Dollar. So kommt es, dass im Zuge der Legalisierung auch die letzten Reste des prohibitionitischen Widerstands zu bröckeln scheinen. Denn der Staat braucht Geld, und die Legalisierung von Marihuana geht mit Änderungen im Steuerrecht einher. Ziel ist es, dass Anbauer und Verkäufer von Marihuana – früher noch unter dem weniger schmeichelhaften Begriff »Drogendealer« bekannt – aus der Illegalität geholt und vor den Fiskus gezerrt werden. Bislang waren es in den USA vor allem die Konservativen, die sich entschieden gegen die Legali­sierung von Drogen gestellt haben. Das ändert sich jetzt, immer häufiger kommt es zu Überschneidungen zwischen Linken und Konservativen, die vor wenigen Jahren noch nicht denkbar gewesen wären.
Die National Cannabis Industry Association ist ein Interessensverband von Marihuana-Anbauern, der jetzt auf einen professionellen Lobbyisten in Washington hofft, den erzkonservativen Michael Correia, der im Gespräch mit der Los Angeles Times erklärte: »Wenn die Leute das Wort ›Marihuana‹ hören, dann denken sie an Woodstock und Dreadlocks. Aber es geht um legitime Geschäftsleute, die einfach nur Umsätze machen und Jobs schaffen wollen.« So haben in den USA bereits 21 Bundesstaaten Gesetze zur Legalisierung auf den Weg gebracht.

All das ist Leuten wie Bruce Margolin zu verdanken, einem Strafverteidiger, der sich auf Marihuana- und Drogenrecht spezialisiert hat und seit Jahrzehnten für die Legalisierung eintritt. Er ist einer der Direktoren des Interessenverbands NORML (National Organisation for the Reform of Marijuana Laws). »Unsere Organisation wurde 1972 gegründet«, erklärt er. »Wir sind der Meinung, dass Marihuana nicht strafrechtlich verfolgt werden sollte und wir setzen uns daher für eine entsprechende Änderung der Gesetze ein.« Margolin ist seit 1967 Anwalt, damals hat es ihn schockiert, dass »anderweitig unschuldige Menschen nur fürs Rauchen eines Krauts ins Gefängnis kamen, genau wie Diebe oder Mörder.« Das, so meint er, habe für ihn keinen Sinn ergeben, also nahm er den Kampf auf – vor Gericht und auch in der Politik. »Wenn man wirklich Veränderungen bewirken will, muss man die Gesetze ändern«, meint er lapidar. »Gefängnisstrafen sind nicht effektiv.«
Studien zufolge sind mehr als zehn Prozent aller Festnahmen und etwa 20 Prozent aller Inhaftierungen auf Verstöße gegen die geltenden Drogengesetze zurückzuführen. »Und wenn man wirklich etwas gegen Drogensucht unternehmen will, sind Gefängnisstrafen der falsche Weg«, sagt Margolin. »Aber es hat sich viel geändert seit den siebziger Jahren. Viele Gesetze wurden gelockert. Als ich als Strafverteidiger anfing, konnte man für Marihuana noch fünf Jahre lang hinter Gitter kommen. In Kalifornien ist es jetzt nur noch ein Kavaliersdelikt, nicht anders als ein Strafzettel, mit einer Höchststrafe von 500 Dollar.« Auch viele Gesetze bezüglich der Inhaftierung wurden bereits gelockert, der Staat bietet nun Alternativen an, so zum Beispiel Kurse zur Aufklärung über Drogen. »Statt dass die Menschen einfach bestraft werden«, so Margolin, »kommen viele von ihnen jetzt in Drogenrehabilitationsprogramme. Wir haben eine Menge erreicht.«
In Kalifornien wird Marihuana bislang noch unter dem Alibi des medizinischen Gebrauchs verkauft. Wer hier sein Gras legal erwerben will, braucht ein ärztliches Attest. Dieses stellt in der Regel nicht etwa der Hausarzt aus, sondern – gegen Geld – eine von vielen zu diesem Zweck gegründeten Arztpraxen. Mit dem Attest kann man dann in eine von über 4 000 sogenannter »Apotheken« gehen – erkennbar an einem grünen Kreuz und dem meist etwas eigenwilligen Dekor. Im Gegensatz zu normalen Apotheken gibt es hier keine Pillen und Salben, sondern nur Gras. Das aber in allen Formen: zum Rauchen, zum Essen oder zum Kochen. Es gibt Gras-Muffins, Gras-Cookies oder Gras-Brownies. Im Kifferparadies West Hollywood trifft man häufig auf solche Apotheken, die neben Marihuana meist auch noch Pfeifen, Bongs und einschlägige Literatur anbieten. Es gibt einen vielfältigen Konkurrenzkampf. Dabei ist der medizinische Nutzen von Marihuana noch immer umstritten. Das liegt unter anderem daran, dass Marihuana in den USA auf Bundesebene immer noch als eine schedule 1 drug klassifiziert ist, also als eine gefährlich Substanz ohne jeden medizinischen Nutzen. Solange das so ist, bleibt es schwierig, klinische Studien durchzuführen oder an die entsprechenden Gelder dafür zu gelangen.
Erst vor wenigen Tagen haben die zuständigen Behörden ihre Genehmigung gegeben, dass eine Studie über die Wirkung von Marihuana auf Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen durchgeführt werden darf. Drei Jahre hat es gedauert, bis die Erlaubnis dafür erteilt wurde. Unter der Leitung der Wissenschaftlerin Suzanne Sisley bekommen nun 50 Kriegsveteranen mit mittelschweren bis schweren Symptomen posttraumatischer Belastungsstörungen zehn Wochen lang einen Joint gereicht. Das Gras kommt von einer Marihuana-Farm, die die US-Bundesregierung für Forschungszwecke an der Universität von Mississippi gegründet hat. Dann wird sich wohl zeigen, ob posttraumatische Belastungsstörungen mit Marihuana effektiv behandelt werden können, oder ob das Gras nur die Symptome betäubt. Bei der Behandlung von Querschnittsgelähmten, Krebs- und Aids-Patienten in Kalifornien hingegen wird immer häufiger zum Tütchen gegriffen, beispielsweise um Schmerzen zu mindern oder Appetit zu stimulieren.

Doch die weit über zwei Milliarden Dollar Umsatz, die in Kalifornien jedes Jahr mit Marihuana gemacht werden, lassen sich unmöglich nur mit Patienten erklären, die einen echten Bedarf haben. Gegner der Legalisierung warnen vor gesundheitlichen Konsequenzen, vor Suchtgefahr, Lethargie oder dem Verlust von kognitiven Fähigkeiten, wie beim Alkoholkonsum. »Klar, wir sollten mit Marihuana vorsichtig sein«, räumt selbst Margolin ein. »Die Regierung steht in der Pflicht, die Menschen über die Gefahren aufzuklären und Marihuana nicht zu bewerben. Wir sind für die Legalisierung, aber das heißt nicht, dass Marihuanagebrauch immer und unter allen Umständen legal sein sollte. Wir müssen vorsichtig sein. Aber das derzeitige System der Bestrafung ist irrational und ungerecht.«
Für Ökonomen war das medizinische Argument immer eine Art Trojanisches Pferd, besser wäre es wohl gewesen, die Diskussion von Anfang an auf den normalen Konsum zu beschränken. Aber das geht nur schrittweise, was wiederum auch Vorteile mit sich bringt. Solange nur einzelne Bundesstaaten ihre eigenen Gesetze erlassen, können die großen Tabak- und Pharmakonzerne noch nicht ins Geschäft einsteigen, denn diese sind in allen Bundesstaaten vertreten und müssen sich daher an die grenzüberschreitende Gesetzgebung auf Bundesebene halten.
Es ist Geld zu machen mit Gras, ein normaler Kleinbauer kann in der eigenen Wohnung mit ein paar Pflänzchen locker an die 23 000 Dollar im Jahr verdienen. Die anfänglichen Einrichtungskosten für einen Kleinbetrieb, von Miete und Lohnnebenkosten einmal abgesehen, betragen rund 3 000 Dollar. Da lohnt sich die Investition. Zudem entstehen dabei Arbeitsplätze, die nicht ins Ausland verlagert werden können.

Die 2007 gegründete Oaksterdam University im kalifornischen Oakland ist eine Hochschule, an der Studenten alles über den fachgerechten Anbau von Gras lernen können. Ziel des Gründers Richard Lee ist es, »das Geschäft zu legitimieren«. Noch ist es wie im Wilden Westen, es sind vorwiegend Klein- und Jungunternehmer, die in das Geschäft einsteigen.
Zum Beispiel Justin Hatfield, dem sogar das renommierte konservative Wall Street Journal einen langen Artikel gewidmet hat, was an sich schon als Symptom eines gesellschaftlichen Umbruchs verstanden werden kann. »Wer sich in diesem Geschäft frühzeitig und klug positioniert, kann auf große Gewinne hoffen«, erklärt Hatfield. Es herrscht Goldgräberstimmung bei Unternehmern wie Hatfield, der die höchst beliebte Website weedmaps.com gegründet hat, auf der jeder ganz problemlos eine Marihuana-Apotheke in seiner Nähe finden kann. Und wer zu faul ist, die eigene Wohnung zu verlassen, der kann sich auf der Seite einen Lieferservice aussuchen, der einem das Gras direkt nach Hause bringt. Jede Apotheke zahlt an die 300 Dollar für eine Annonce auf der Website. So hat Hatfield bislang an die 25 Millionen Dollar verdient, er beschäftigt mehr als 60 Angestellte.
Doch gibt es bei der allgemeinen Euphorie denn gar keine Bedenken, dass das immer weiter ge­fächerte Angebot auch eine größere Nachfrage schaffen könnte? »Das Gegenteil ist der Fall«, erklärt Bruce Margolin. »In den Bundesstaaten, in denen Marihuana in den letzten Jahren entkriminalisiert wurde, haben sich die Zahlen eingependelt. Wir bewegen uns auf eine Zeit zu, in der jeder Amerikaner einfach so zum Joint greifen kann. Und ab dann wird es für viele Menschen langweilig werden, es wird immer Leute geben, die einfach keine Lust auf Marihuana haben und es nie rauchen werden, da ist es völlig gleichgültig, ob es legal ist oder nicht. Das ist einfach eine Frage der Statistik.«
Auch die Prognose eines möglichen Anstiegs der Drogenkriminalität halten die Befürworter für falsch. Bereits 2003 veröffentlichten die Forscher der University of California in Berkley, David Boyum und Mark Kleiman, eine Studie, der zufolge die Kriminalität auf den mit der drakonischen Gesetzgebung zusammenhängenden Schwarzmarkt zurückzuführen sei. Die Autoren argumentieren, dass man die Anzahl von Verbrechen mindern könnte, indem man Marihuana zu den mehr oder weniger gleichen Bedingungen wie Alkohol mündigen Bürgern legal zur Verfügung stellen würde. Tatsächlich, so Bruce Margolin, zeigen Umfragen, dass derzeit 58 Prozent der Amerikaner für die Legalisierung eintreten: »Es gibt ein starkes Interesse daran«, meint er. Kein Wunder also, dass Kiffer, Farmer und Lobbyisten mittlerweile gemeinsam ihre Interessen vertreten. Justin Hatfield spendete im vergangenen Jahr eine Million Dollar für die Legalisierung seiner grünen Goldgrube. Er und andere sind davon überzeugt, dass die Prohibition ihrem Ende zugeht: »Was in Amerika mit der Homoehe passiert ist, wird als nächstes mit Marihuana passieren.«