Menschen im Krieg

Am Wochenende hatten die Afghanen die Wahl. Und viele Millionen haben sich für Freiheit und Demokratie entschieden. Sie trotzten den Taliban und gaben ihre Stimme für einen neuen Präsidenten ab. Die Menschen setzten damit ein Zeichen – gegen den Terror der Islamisten. Anja Niedringhaus wäre vermutlich begeistert gewesen. Sie, die seit vielen Jahren die Entwicklung des Landes mit der Kamera in der Hand und mit viel Empathie aufmerksam begleitet hat. Doch als die Menschen in langen Schlangen und im strömenden Regen vor den Wahllokalen standen, war die 48jährige bereits tot.
Einen Tag vor der Abstimmung über den künftigen Präsidenten hatte ein Polizist mit einer Kalaschnikow und dem Ruf »Gott ist groß« auf Niedringhaus und ihre Kollegin Kathy Gannon gefeuert. Beide saßen auf der Rückbank eines Autos. Sie wollten dabei sein, wenn Wahlzettel ausgeliefert werden. Eigentlich eine Routinefahrt für die beiden Frauen. Aber dieses Mal ging alles schief. Gannon wurde bei dem Anschlag schwer verletzt, Niedringhaus war sofort tot. Eine Kriegsreporterin, die der Krieg aus dem Leben riss.
Wer aus Konflikt- und Krisenregionen berichtet – und das hat Anja Niedringhaus jahrelang getan –, weiß um die Gefahr, in die man sich dabei begibt. Auch Niedringhaus war sich dessen sehr wohl bewusst. In einem Interview sagte sie einmal: »Ich will nicht umgebracht werden. Wenn ich tot bin, ist das schade. Ich hänge am Leben.« Die Pulitzerpreisträgerin gab auch freimütig zu, dass sie Angst habe. Doch das hielt sie nicht davon ab, als Journalistin immer wieder großen Mut zu zeigen. Eine bewundernswerte Eigenschaft, die Kriegsreporter auszeichnet. Und deren Einsatz sollte man Respekt zollen. Denn sie sind es, die täglich ihr Leben aufs Spiel setzen, um uns mit Hilfe von Texten und Bildern über das Grauen in der Welt informieren. Diese kleine Schar von Journalisten verteidigt auf ihre Art die Freiheit der Menschen und der Presse. Weil sie von dort berichten, wo beide Grundrechte mit Füßen getreten werden. Gäbe es diese Reporter nicht als Zeugen, könnten die Schlächter dieser Welt frohlocken – und deren Opfer blieben unerwähnt.
Der berühmte Kriegsfotograf James Nachtwey hat sein Selbstverständnis einmal so ausgedrückt: »Ich bin kein Jäger. Mir geht es mehr um eine Haltung. Ich glaube, dass ich einen wichtigen sozialen Auftrag erfülle, im Dienst der Öffentlichkeit.« Anja Niedringhaus hatte ein ähnliches Ziel: Sie wollte die Menschen zeigen, die in Konfliktgebieten leben müssen, und auf das aufmerksam machen, was ist, »nachdem geschossen wird«. Das ist der Fotojournalistin nicht länger vergönnt. Ein Fanatiker hat das verhindert. Und der Krieg mit seinem langen Arm.