Der Gesetzentwurf zum Doppelpass

Schlechtes Passspiel

Union und SPD haben sich auf einen Gesetzentwurf zur doppelten Staatsbürgerschaft geeinigt.

Es klingt wie ein Versprechen: »Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert.« So steht es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Ein Versprechen der neuen Regierung an Tausende Kinder und Jugendliche, endlich Schluss zu machen mit der oft quälenden Verpflichtung, sich zu entscheiden, ob sie nun beispielsweise türkisch oder deutsch sein wollen – und anderes eben nicht mehr.

Die Frage aber blieb, was »in Deutschland aufgewachsen« bedeutet. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sah die Grenze bei zwölf Jahren: So lange sollten nach seinem Willen Kinder hier vor ihrem 21. Geburtstag gelebt haben, um beide Pässe behalten zu dürfen. Die SPD hingegen hatte während der Koalitionsverhandlungen immer verlangt, die Optionspflicht müsse ersatzlos gestrichen werden.
Der Kompromiss, auf den sich de Maizière und Justizminister Heiko Maas (SPD) nun geeinigt haben, sieht so aus: Kinder aus Zuwandererfa­milien können schon vor ihrem 21. Geburtstag die dauerhafte doppelte Staatsbürgerschaft be­antragen. Dann müssen sie nachweisen, dass sie acht Jahre in Deutschland gelebt haben oder hier sechs Jahre lang zur Schule gegangen sind. Ersatzweise reicht auch ein Schulabschlusszeugnis oder eine abgeschlossenen Berufsausbildung in Deutschland aus.
Werden die jungen Leute nicht selbst aktiv, prüfen die Behörden, ob die Voraussetzungen für den Doppelpass erfüllt sind, sobald jemand 21 Jahre alt geworden ist. Die Ämter prüfen dann im Melderegister, ob der Betroffene acht Jahre in Deutschland gemeldet war – die SPD handelte ihren Koalitionspartner also um vier Jahre herunter. Ist dieses Kriterium erfüllt, behält der oder die Jugendliche automatisch beide Pässe. Andernfalls schreiben die Behörden die Betroffenen an und bitten um ein Schulabschlusszeugnis oder einen anderen Nachweis des Aufenthalts in Deutschland. Wird dieser nicht vorgelegt, müssen die jungen Erwachsenen bis zu ihrem 23. Geburtstag einen der beiden Pässe abgeben. Im Zweifelsfall wird die deutsche Staatsangehörigkeit von Amts wegen entzogen.

Die Regelung gilt nur für Kinder ausländischer Eltern, die seit 1990 in Deutschland geboren worden sind. Denn nur sie haben mit der Geburt automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen – neben der ihrer Eltern. Für ältere Geschwister sind zwei Pässe auch weiter nicht möglich, für die Elterngeneration erst recht nicht: Auch bei Einbürgerungen soll es künftig generell keinen Doppelpass geben, was insbesondere türkische Migranten, die am häufigsten davon betroffen sind, gegenüber EU-Bürgern benachteiligt.
Bislang ist es so, dass hierzulande seit 1990 geborene Kinder von Ausländern zu Deutschen werden und die Staatsangehörigkeit der Eltern behalten. Zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr müssen sie aber eine ihrer beiden Staatsange­hörigkeiten aufgeben. Es sei denn, die Eltern stammen aus einem EU-Staat oder der Schweiz – dann gilt der Optionszwang nicht. Vor allem junge Türken stehen häufig vor dieser schwierigen Wahl. Bis 2017 werden in Deutschland jährlich zwischen 3 000 und 7 000 Kinder ausländischer Eltern das fragliche Alter erreichen.
2012 wurden gut 112 000 Ausländer eingebürgert, die meisten sind selbst eingewandert, also nicht hier geboren. Etwa die Hälfte von ihnen konnte ihren alten Pass behalten. Das betrifft allerdings nicht nur EU-Staatsangehörige oder Schweizer, auch Menschen aus einigen anderen Staaten können ihre bisherige Staatsangehörigkeit behalten, wenn sie ohne größere Umstände einen deutschen Pass bekommen. Denn einige Länder entlassen ihre Bürger prinzipiell nicht aus der Staatsangehörigkeit – zum Beispiel einige Staaten in Lateinamerika, Nordafrika und dem Nahen Osten. Zu ihnen zählen Marokko, Argentinien und der Iran, insgesamt sind es 42 Länder. Bei ihren Bürgern wird die doppelte Staatsangehörigkeit akzeptiert. Für die große Gruppe der türkischen Zuwanderer und für viele andere Nationalitäten gilt dies aber nicht.

Von einem »hervorragenden Kompromiss« sprach SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi: »Damit schaffen wir die völlig unsinnige Optionspflicht für Migrantenkinder ab und den Einstieg in ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht.« Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) nannte die Einigung hingegen »sehr unbefriedigend« und sprach von einem »integrationsfeindlichen Bürokratiemonster«.
Auch ein Bündnis von Migrantenverbänden kritisierte den Regierungskompromiss scharf. »Rechtsunsicherheit und Ungleichbehandlung bleiben bestehen«, heißt es in einem offenen Brief an den SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel. »Die Betroffenen sollen auch in Zukunft ein aufwendiges Verfahren durchlaufen müssen, das sie am Ende mit dem Verlust bzw. dem Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit bedroht.« Die Optionsregelung gefährde nicht nur Inte­grationsprozesse, sie widerspreche auch »dem Selbstverständnis und der Realität einer modernen Einwanderungsgesellschaft, in der bereits bei fast jeder zweiten Einbürgerung eine mehr­fache Staatsangehörigkeit die Regel ist«. Unterschrieben ist der Brief unter anderem von Hiltrud Stöcker-Zafari, der Bundesgeschäftsführerin des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften, und Kenan Kolat, dem Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland.
Kolat nennt das geplante Gesetz ein »Optionspflichtverlängerungsgesetz«. Schließlich falle der umstrittene Optionszwang nicht wirklich weg. Stattdessen entstehe neue Bürokratie. Außerdem sei unklar, was mit jenen passiere, die bereits ­einen ihrer Pässe hätten abgeben müssen. De Maizière hatte Kolat zugesagt, dass diese Gruppe auf einfachem Weg wieder eingebürgert werden könne. Doch davon ist im Gesetzentwurf nirgends die Rede.
Sevim Dağdelen, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, nannte den Entwurf einen »kleingeistigen, engstirnigen und faulen Kompromiss«. Die SPD habe »wieder einmal eines ihrer Wahlversprechen gebrochen«. Auch sie stört sich daran, dass keine Regelung für bereits ausgebürgerte sogenannte Optionskinder vorgesehen ist: »268 Deutsche wurden inzwischen aufgrund der Optionspflicht zu Ausländern, wie die Bundes­regierung auf eine Anfrage von mir einräumen musste.« Sie gehören zum Geburtsjahrgang 1990 oder 1991, für den die Regelung zum ersten Mal griff. Wenn keine gesetzliche Lösung für diese Altfälle getroffen werde, so Dağdelen, sei der »Behördenwillkür bei den zu erwartenden Ermessensentscheidungen Tür und Tor geöffnet«.
Dağdelen kritisierte weiter, dass die Regierung – entgegen der Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag, »Mehrstaatigkeit zu akzeptieren« – bei Einbürgerung generell keinen Doppelpass zulassen wolle. Migranten aus Ländern, die ihre Angehörigen wie die Türkei auf Wunsch aus der Staatsangehörigkeit entlassen, müssen diesen Pass abgeben. »Menschen, die im Durchschnitt 20 Jahre oder länger hier leben, bleiben somit Bürger zweiter Klasse«, sagt Dağdelen. Aydan Özoğuz, Staatsministerin für Migration, hat mittlerweile Nachbesserungen in Aussicht gestellt. Im »parlamentarischen Prozess« sei »zu diskutieren, was wir mit den rund anderthalb Geburtenjahrgängen machen, die noch von der alten Regelung betroffen sind und eine Staatsangehörigkeit bereits verloren haben«. Auch für diese Jahrgänge solle eine vernünftige Lösung gefunden werden.