Humanitäre Luftwaffe

Politiker treffen wichtige Entscheidungen, Soldaten haben keine Fragen zu stellen. Diese Vorstellung von Disziplin und Gehorsam herrscht bei vielen Militärangehörigen vor. Angesichts der verheeren Bilanz von Frankreichs militärischen Aktivitäten in Ruanda zwischen 1990 und 1994, vor und nach dem Völkermord an den Tutsi, gerät diese Position einmal mehr ins Wanken. Auch einige frühere französische Militärangehörige zweifeln inzwischen am Sinn ihres damaligen Einsatzes, was in Frankreich eine öffentliche Kontroverse ausgelöst hat. Einer jener Kritiker ist der heute 48jährige ehemalige Luftwaffenoffizier Guillaume Ancel. Ab dem 23. Juni 1994 war er als Fliegerleitoffizier in Ruanda im Einsatz. Am Vortag hatte die vorgeblich humanitären Zielen dienende französische Opération Turquoise begonnen, die in Wirklichkeit den Abzug der Völkermörder in den Osten des damaligen Zaire deckte und ermöglichte.
In einem halben Dutzend französischer Medien gab Ancel nun zum Jahrestag des Beginns des Genozids, dem 7. April, zu Protokoll: »Ich war damals Experte für Luftangriffe: Solche Spezialisten entsendet man nicht in humanitäre Einsätze! Unsere Mission hatte in Wirklichkeit ein aggressives Ziel: Es ging darum, die militärische Rückeroberung der Hauptstadt Kigali durch die von Paris unterstützte Regierung vorzubereiten.« Damit meinte er die Hutu-Regierung der Genocidaires. Ancel forderte, anzuerkennen, dass Frankreich »eine Mitverantwortung am Genozid« trage. Ferner gab er zu Protokoll, sein Vorgesetzter habe Zehntausende Waffen auf einen LKW laden lassen, um sie den in Richtung Zaire abziehenden Völkermördern zurückzugeben, während Ancel beauftragt worden sei, »die Journalisten abzulenken«. Er habe jedoch protestiert. Ihm widersprach daraufhin im konservativen Wochenmagazin Le Point der frühere Offizier Jacques Hogard, der sich als Ancels damaliger Vorgesetzter präsentierte. Hogard zufolge war Ancel damals ausschließlich im humanitären Einsatz. Als Antwort publizierte dieser jedoch auf einem Blog Faksimiledokumente, die seinen damaligen Auftrag belegen – an erster Stelle stand die Bekämpfung der Tutsibewegung RPF. Hogard war zudem, entgegen seiner Behauptungen, zum fraglichen Zeitpunkt nicht Ancels Vorgesetzter: Er traf erst eine Woche nach diesem in Ruanda ein, der Luftwaffenoffizier Ancel stand erst ab dem 10. Juli unter dessen Kommando.