»Wir gehen nicht vom Staatsvolk aus«

Am 25. Mai dürfen die Berliner über die Zukunft des ehemaligen Tempelhofer Flugplatzes abstimmen – aber nur die deutschen. Dagegen wendet sich das Bündnis »Wahlrecht für alle«. Wir sprachen mit Bahar Sanli.
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Sie veranstalten auf dem Tempelhofer Feld einen Tag vor der Wahl einen Aktionstag. Weshalb?
Wir wollen auf die Benachteiligung der ungefähr 440 000 Berlinerinnen und Berliner aufmerksam machen, die von diesem Volksentscheid ausgeschlossen sind.
Das betrifft vermutlich gerade in der direkten Nachbarschaft zum Tempelhofer Feld in Kreuzberg und Neukölln viele Migranten?
Richtig. Etwa 100 000 Anwohner rund um das Tempelhofer Feld haben nicht die deutsche Staatsbürgerschaft und dürfen bei diesem Volksentscheid nicht mitbestimmen, obwohl sie von dem Ergebnis unmittelbar betroffen sind.
Sollen Ausländer auch bei anderen Volksentscheiden mit abstimmen dürfen?
Ja, natürlich. Wir fordern ein Wahlrecht für alle, zunächst auf kommunaler und Landesebene. Menschen, die hier leben und gemeldet sind, sollen die Stadt, in der sie ihren Lebensmittelpunkt haben, auch mitgestalten können. Bei Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene dürfen EU-Bürger zwar mitwählen, aber Drittstaatsange­hörige wie etwa Türkeistämmige dürfen selbst das nicht.
Sie fordern auch das Wahlrecht zur Europawahl auch für Nicht-EU-Bürger.
Genau. Wir gehen nicht vom Staatsvolk aus, sondern von der Bevölkerung, den Einwohnern einer Stadt, eines Landes oder eben auch der EU. Sie leben hier und damit gestalten sie die Gesellschaft mit, sei es über Steuern, ihre Arbeit, ihr Engagement, ihre Freizeit. Sie haben die gleichen Pflichten, aber nicht die gleichen Rechte.
Was wird am 24. Mai passieren?
Um 13 Uhr finden symbolische Wahlen statt, an denen alle Berlinerinnen und Berliner teilnehmen dürfen, sowohl zur EU-Wahl als auch zum Tempelhofer Feld. Dann gibt es ein Fotoshooting unter dem Motto »Gesicht zeigen für ein Wahlrecht für alle«. Schließlich werden »Berlin für alle«-Pässe verteilt, eine Art Protestpass, angelehnt an den Reisepass, der symbolisieren soll, dass wir alle Berliner sind – als Persiflage der ganzen Diskussionen darüber, wer nun zum deutschen Staatsvolk gehört und wer nicht. Und um 16 Uhr gibt es dann eine Demonstration auf dem Tempelhofer Feld.