Das Referendum in der Ostukraine

Auf nach Neurussland

Nach dem Referendum in der Ostukraine wollen Separatisten den Staat »Neurussland« schaffen. Ihr Demokratieverständnis ähnelt demjenigen Wladimir Putins.

»Unterstützen Sie den Akt über die staatliche Selbstständigkeit der Donezker Volksrepublik?« Das steht in russischer und ukrainischer Sprache auf den Wahlzetteln unter dem Logo der »Donezker Volksrepublik«. Wer am vergangenen Sonntag in die durchsichtigen Wahlurnen blickt, kann viele Zettel erkennen, auf denen »Ja« an­gekreuzt ist. Die Wahlkommission im ostukrainischen Donezk besteht aus vermummten Männern in Camou­flage-Uniformen, die sich durch rabiates Auftreten auszeichnen. Auch hinter der Wahlkommission weht die Flagge, auf der in großen Lettern »Donezker Republik« steht. Da angeblich aus »logistischen Gründen« vielerorts keine Wahlkabinen zur Verfügung standen, dürfte die Motivation gering gewesen sein, vor solchen Herren »Nein« anzukreuzen. Wählerinnen und Wähler wurden vor Ort registriert, da es keine Wahllisten gab. Manche gingen gleich mehrfach zur Wahl. Ausgezählt wurden die Stimmen von den Separatisten selbst, unabhängige Wahlbeobachter waren nicht vor Ort. Die Situation in der Region ist derzeit so angespannt, dass freie Wahlen kaum möglich gewesen wären. Eine rechtliche Grundlage für das Referendum in der Ostukraine über die Abspaltung vom Rest des Landes gibt es nicht und sowohl der Ablauf als auch das Ergebnis wecken Erinnerungen an das Referendum auf der Krim.

Bereits zwei Stunden nach der Schließung der Wahllokale wurde das Ergebnis verkündet. Laut Angaben der zuständigen Wahlkommission sprachen sich in der Oblast Donezk 89,7 Prozent der Wählerinnen und Wähler für eine unabhängige Republik aus, wobei die Wahlbeteiligung bei 75 Prozent gelegen haben soll. In der Oblast Luhansk sollen sogar 96 Prozent für die Unabhängigkeit ihrer Region gestimmt haben, bei einer Wahlbeteiligung von 81 Prozent.
Erhebungen des Internationalen Kiewer Instituts für Soziologie, des Donezker Politologen Kyrill Tscherkaschin und des Meinungsforschungsinstituts Pew kommen zu anderen Ergebnissen, die deutlich machen, dass dies kein Ergebnis demokratischer Wahlen gewesen sein kann. Demnach hält die Mehrheit der Bevölkerung in der Ost- und Südukraine wenig vom Euromaidan und der neuen ukrainischen Regierung, von den Separatisten jedoch genauso wenig. Die meisten Einwohnerinnen und Einwohner der Oblasten Luhansk und Donezk teilen vor allem einen Wunsch: Die Kämpfe sollen aufhören. Eine Dezentralisierung und Föderalisierung der Ukraine befürworte eine große Mehrheit, allerdings lehnen die meisten einen Austritt aus der Ukraine und einen Beitritt zur russischen Föderation ab. Weniger als ein Drittel der lokalen Bevölkerung wünsche sich demnach einen Beitritt zur russischen Föderation. Auch die Mehrheit der russischsprachigen Bevölkerung möchte nicht Teil Russlands werden. Die große Mehrheit in beiden Oblasten lehne eine russische Militärintervention entschieden ab. In den anderen Oblasten der Ost- und Westukraine sei die Ablehnung einer Teilung der Ukraine noch größer.
Diejenigen, die sich auf die Seite Wladimir Putins und der prorussischen Milizen in der Ukraine stellen und sich auf das »Selbstbestimmungsrecht der Völker« berufen, sollten genauer hinschauen, mit wem sie da eigentlich paktieren. Da wäre zum Beispiel der selbsternannte »Volksgouverneur von Donezk«, Pavel Gubarew, der gegenüber dem russischen Staatsfernsehen sagte: »Das Referendum bedeutet uns alles«, und verkündete, er werde jetzt beginnen, staatliche Strukturen und Militär aufzubauen, um »Neurussland« zu schaffen, das die gesamte Ost- und Südukraine und Teile Moldawiens umfassen soll. Im transnistrischen Tiraspol warten viele Menschen schon sehnsüchtig auf die russischen »Befreier«. Vor seiner Karriere als »Volksgouverneur« war Gubarew, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete und es Fotos und Videos belegen sollen, Mitglied der Neonazi-Partei »Russische Nationale Einheit«, die auch paramilitärische Truppen unterhielt. Diese forderten »Russland den Russen«, leugneten die Shoah und begingen Hassverbrechen gegen Angehörige ethnischer und sexueller Minderheiten in Russland. Danach wechselte Gubarew zur »Progressiven Sozialistischen Partei der Ukraine«, die Viktor Janukowitsch bei den letzten Wahlen unterstützte und einen Beitritt der Ukraine zur geplanten Eurasischen Union befürwortet. Derartige nationalbolschewistische Bündnisse zwischen vermeintlich linken Sowjetnostalgikern und Neonazis sind in Russland nicht ungewöhnlich. Nun ist Gubarew Vorsitzender der »Volkswehr Donbass«, die vor kurzem damit ­begonnen hat, Regierungsgebäude in Donezk, Charkow, Kramatorsk und Slawjansk zu besetzen. Erst vergangene Woche wurde Gubarew im Austausch gegen gefangene Geheimdienstagenten aus der ukrainischen Haft entlassen. Seine Frau Ekaterina Gubarew ernannte der 31jährige zur Außenministerin der »Donezker Volksrepublik«.

Pavel Gubarew ist keine Ausnahme unter den prorussischen Kräften. Der ukrainische Rechtsextremismusexperte Anton Schechowzow sagt im Gespräch mit der Jungle World: »Die Anti-Maidan-Bewegung wurde von den Faschisten übernommen. Es ist schon merkwürdig, wenn Deutsche mit dem Finger auf die Maidan-Bewegung zeigen und diese als Faschisten bezeichnen, während sie großes Verständnis für Putins Politik haben. Die Situation der Minderheiten auf der Krim und in der Süd- und Ostukraine hat sich deutlich verschlechtert.« In Anspielung auf Lenin schrieb Slawomir Sierakowski kürzlich in einem Kommentar in der New York Times, es gebe viele westliche Intellektuelle und Journalisten, die für Putin »nützliche Idioten« seien, die ihre Nostalgie für die Sowjetunion ausleben und ihrem Antiamerikanismus freien Lauf lassen.
Auch auf dem Berliner Parteitag der deutschen Linkspartei kam diese Haltung zum Ausdruck. Vier Mitglieder der Partei waren Mitte März sogar als Wahlbeobachter auf die Krim gereist und fanden sich dort ausschließlich zwischen Wahlbeobachtern rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien wieder. Zweifel an ihrem Tun nährte dieser Umstand offenbar nicht.
»Moskau respektiert den Ausdruck des Willens der Bevölkerung der Regionen Donezk und Luhansk«, erklärte ein Kremlsprecher am Montag. Noch am Freitag vergangener Woche bat Putin die internationale Gemeinschaft bei einer Militärparade auf der Krim, das »Selbstbestimmungsrecht der Völker« zu respektieren. In Inguschetien, Tschetschenien, Dagestan und dem Kosovo hingegen geht ihm das Selbstbestimmungsrecht der dortigen Bevölkerung offensichtlich zu weit.
Putin und seine Anhänger in der Ostukraine versuchen nun zu holen, was noch zu holen ist, und die Ukraine zu spalten, bis von dem Land nur noch ein kleiner Binnenstaat übrig bleibt. Wer nach der Annexion der Krim noch glaubt, es befanden sich keine russischen Spezialeinheiten in der Ostukraine, ist naiv. Der Euro-Maidan wurde zu Putins größter Niederlage, die Annexion der Krim zu seinem größten Triumph. Wenn es sich anbietet, »Neurussland« in die künftige Eurasische Union aufzunehmen oder einen solchen Staat in der Zukunft an Russland anzuschließen, dann wird Putin dies tun. In der Ostukraine setzt sich derzeit sein Verständnis von »freien Wahlen« und dem »Selbstbestimmungsrecht der Völker« durch.