Die Reaktionen auf Russlands Ukraine-Politik in ehemaligen Sowjetländern

Unbehagen im nahen Ausland

In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wächst in der Bevölkerung der Widerstand gegen Russlands imperiale Politik. Auch die Regierungen sind beunruhigt.

Präsident Bako Sahakjan hatte bis vor kurzem selten Gelegenheit, ausländische Politiker zu empfangen. Bergkarabach, das sich 1991 für unabhängig von Aserbaidschan erklärte, war fast in Vergessenheit geraten. Nun aber wächst das Interesse am Land wieder, in den vergangenen Wochen kamen Abgeordnete aus Europa und den USA, deren Regierung Anfang Mai eine neue Vermittlungsinitiative ankündigt hat.
Allerdings hat Sahakjan sich auf die Seite Russlands geschlagen. Am 18. März freute er sich sehr über die vielen Tausend Besucher, die bei einem »spontanen« Konzert in der Hauptstadt Stepanakert das Ergebnis des Krim-Referendums feierten. Über einen Sprecher ließ er mitteilen, dass das Konzert allen »selbstbestimmten Völkern« gewidmet sei, auch der Bevölkerung der Krim: »Wenn wir das befürworten, was im Kosovo, in Abchasien, Südossetien und im Südsudan passiert ist, warum sollten wir dann nicht auch die Entwicklungen auf der Krim gutheißen? Schließlich stärkt das die juristische Basis unserer Argumente.«
Unerwähnt blieben die fundamentalen Unterschiede zwischen Bergkarabach und der Krim: Während die im Territorium Aserbaidschans liegende Region für die Anerkennung als souveräner Staat kämpft, gehört die Krim nach einem international umstrittenen Referendum nun zur Russischen Förderation.
In den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, die in Russland oft »nahes Ausland« genannt werden, zeichnen sich widersprüchliche Reaktionen auf die russische Intervention in der Ukraine ab. Besonders deutlich zeigt sich dies in den Kaukasusländern Armenien, Aserbaidschan und Georgien.
Im zur Nato und zur EU strebenden Georgien werden die Ereignisse in der Ukraine und auf der Krim vor allem mit Rückblick auf den Krieg gegen Russland 2008 beurteilt. Das abtrünnige Südossetien erklärte sich damals nach den fünf Tage andauernden Kämpfen für unabhängig und wird heute de facto von Russland kontrolliert. So warf am 11. März Präsident Giorgi Margwelaschwili den Nato-Staaten vor, ihre zögerlichen Reaktionen auf das russische Vorgehen in Südossetien hätten die russische Regierung dazu ermuntert, sich auch die Krim einzuverleiben.
Helen Khoshtaria vom unabhängigen georgischen Think Tank Grass sagte: »Das Ergebnis der Ukraine-Krise wird die Zukunft von Georgiens Freiheit, Sicherheit und Souveränität bestimmen. Wenn die internationale Gemeinschaft es versäumt, Russlands Vorgehen aufzuhalten, wird es das Land darin bestärken, eine Neuauflage der Sowjetunion zu kreieren, in die auch Georgien hineingezogen würde.« In Georgien ruft Russlands Haltung zur Ukraine-Krise neue Verstörung hervor, nachdem sich die öffentliche Meinung zuletzt weniger antirussisch gezeigt hatte als in den Jahren nach dem Krieg. In einer Umfrage von 2011 für das Caucasus Research Resources Center befanden 51 Prozent aller Befragten, dass Russland der größte Feind Georgiens sei. 2012 sagten dies nur noch 35 Prozent. Im Zuge der Eskalation in der Ukraine dürfte die Skepsis der Georgierinnen und Georgier gegenüber Russland wieder wachsen.
Anders verhält es sich im benachbarten Armenien. Die Regierung in Eriwan ist die russlandtreuste im Südkaukasus und strebt den Beitritt zur von Russland angeführten Eurasischen Zollunion an. So zeigte das Land seine Loyalität bei der Abstimmung zur UN-Resolution über die territoriale Integrität der Ukraine, die das Ergebnis des Krim-Referendums für ungültig erklärte. Armenien war einer von nur elf Staaten, die gegen die Resolution stimmten. Zuvor erklärte Präsident Sersch Sargsjan seine Unterstützung für die Angliederung der Krim an die Russischen Förderation, da Armenien das »Recht auf Selbstbestimmung« achte – ein Prinzip, mit dem die Unterstützung für die armenisch besiedelte Republik Bergkarabach begründet wird. Armenien ist im Südkaukasus geographisch relativ isoliert, weil es über keine Landverbindung zu Russland verfügt und die Grenzen zu Aserbaidschan und zur Tükei wegen des ungelösten Konflikts um Bergkarabach geschlossen sind.
In Aserbaidschan befürchten Beobachter wegen der russischen Aktivitäten in der Ukraine nachteilige Folgen für die Beziehungen zwischen der russischen und aserbaidschanischen Regierung. »Wladimir Putin nannte das Recht auf nationale Selbstbestimmung, um die Okkupation der Krim zu rechtfertigen. Unter demselben Vorwand könnte Moskau Baku mit der Drohung erpressen, Bergkarabach anzuerkennen«, so Elkhan Şahin­oğlu, der Direktor des Atlas Research Center Baku. Das von Präsident Ilham Alijew autoritär regierte Aserbaidschan verfügt über beträchtliche Öl- und Gasvorkommen und will eine unabhängige Außenpolitik betreiben, die gute Beziehungen sowohl zum Westen wie auch zu Russland einschließt. Einen Beitritt zur Eurasischen Zollunion hat die Regierung bislang kategorisch ausgeschlossen.
Die Herrschenden in den Diktaturen Zentralasiens reagierten zurückhaltend auf die Entwicklungen in der Ukraine. Die staatlich kontrollierten Medien in Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan und Turkmenistan berichteten nur wenig über die Ereignisse, und dies meist mit der Absicht, die Revolte auf dem Maidan zu diskreditieren. In der kasachischen Hauptstadt Astana wurde am 3. März der Aktivist Makhambet Abzhan von der Polizei festgenommen, weil er vor der russischen Botschaft ein Banner ausgerollt hatte, auf dem stand: »Gestern Abchasien und Ossetien, heute die Krim, morgen Nordkasachstan.«

Anders als im Südkaukasus gibt es in den zentralasiatischen Ländern der ehemaligen Sowjetunion bedeutende russische Bevölkerungsgruppen. So bilden Russen mit 23 Prozent die größte Minderheit in Kasachstan, die meisten von ihnen leben im Norden des Landes. Manche Kasachen befürchten, dass Russland gemäß der Doktrin des Schutzes von Russen in anderen Staaten auch in ihrem Land intervenieren könnte. Die Sorge der zentralasiatischen Diktatoren gilt gegenwärtig jedoch weniger den imperialen Bestrebungen Russlands als den Oppositionellen im eigenen Land, die sich die Proteste des Maidan zum Vorbild nehmen könnten. »Die Ereignisse in der Ukraine haben für Unruhe bei den Regierungen der postsowjetischen Länder gesorgt, insbesondere in Zentralasien. Anstatt ihre Lektionen vom Euromaidan zu lernen und die Lebensbedingungen zu verbessern, werden Dissidenten verfolgt und Pluralismus wird zerstört«, sagte Nuriddin Karschibajew von der Nationalen Organisation unabhängier Medien in Tadschikistan.