Kämpfe trotz Waffenstillstand im Südsudan

Zerfall und Gewalt

Im Südsudan haben die Regierung und die ihr feindlichen Rebellen einen Friedensvertrag unterzeichnet. Doch kurz darauf wurde er offenbar wieder gebrochen.

US-Außenminister John Kerry verkündete Anfang Mai die Verhängung ökonomischer Sanktionen gegen die Kriegsparteien im Südsudan. Dabei scheint es sich jedoch eher um eine Verzweiflungstat zu handeln. Derzeit weiß niemand, wie die Desintegration des jüngsten Staates Afrikas noch aufgehalten werden kann.
Einreiseverbote und das Einfrieren von Vermögenswerten betreffen Marial Chanuong, den Chef der Präsidentengarde des Südsudan, und den Rebellenführer Peter Gadet, womit diplomatisch beide Kriegsparteien symbolisch abgestraft werden. Kerry begründete diesen Schritt damit, dass es sich um Personen handele, die »für unvorstellbare Gewalttaten gegen Zivilisten« verantwortlich seien. Tatsächlich dürfte Chanuong die Hauptverantwortung für den Überfall auf oppositionelle Einheiten im Dezember 2013 in der Hauptstadt Juba tragen, der zum unmittelbaren Auslöser des Bürgerkrieges wurde. Gadet wird vorgeworfen, hinter dem Überfall auf die Stadt Bentiu im April dieses Jahres zu stehen, bei dem über 200 Zivilisten ums Leben kamen.

Aus den ländlichen Kampfgebieten des Südsudan dringen derzeit nur spärliche Meldungen nach außen. Viele können nicht von unabhängigen Beobachtern überprüft werden. Es deutet jedoch vieles darauf hin, dass nicht nur in Bentiu, sondern auch in anderen Kampfgebieten von beiden Parteien schwere Kriegsverbrechen begangen werden. Das US-Außenministerium warnt mittlerweile gar vor einem Genozid, ohne anzugeben, welche Kriegspartei gegen welche ethnische Gruppe einen Genozid verüben könnte. Die Wahrnehmung des Machtkampfs als ethnischer Konflikt greift denn auch zu kurz. Keineswegs stehen sich nur Dinka und Nuer, die beiden größten Bevölkerungsgruppen des Südsudan, gegenüber (Jungle World 2/2014). Vielmehr stellten sich auch einige prominente Dinka wie Mabior Garang, der Sohn des 2005 verstorbenen ehemaligen SPLA (Sudan People’s Liberation Army)-Führers John Garang, nach Ausbruch des Konfliktes auf die Seite des ehemaligen stellvertretenden Präsidenten Riek Machar und gegen Präsident Salva Kiir. Garang, dessen Vater im Gegensatz zu seinem Nachfolger Kiir noch einen demokratischen Gesamtsudan anstrebte, fungiert mittlerweile als einer der Sprecher der Rebellenallianz, die seit Monaten im zentralen Südsudan in heftige Kämpfe mit der Regierungsarmee verwickelt ist.
Nach der Eskalation der Kämpfe im Dezember war am 23. Januar ein erster Waffenstillstand zwischen der Regierung und den Rebellen ausgehandelt worden, der allerdings vor Ort nicht eingehalten wurde. Während weitere Verhandlungen stattfanden, gingen in den verschiedenen Teilen des zentralen Südsudan die Kämpfe weiter. Am 5. März kam es in Juba schließlich zu Kämpfen innerhalb der Regierungsarmee. Ausstehende Soldzahlungen und der angebliche Versuch, den Kommandanten einer Einheit zu verhaften, hatten in jener Kaserne, in der im Dezember bereits die Kämpfe begonnen hatten, erneut zu einem Aufstand geführt. Zwar brachte auch diesmal die Regierung die Situation wieder unter Kontrolle. Tagelang blieb die Hauptstadt jedoch unter strikter militärischer Kontrolle. Die Ereignisse vom 5. März führten zudem die Fragilität der verbliebenen Regierungstruppen vor Augen.

Im Südsudan gelang es offensichtlich nicht, die ehemalige Guerillaarmee in eine funktionierende nationale Armee umzuwandeln. Vielmehr handelt es sich um ein Sammelsurium bewaffneter Einheiten, deren Loyalität zur Regierung teuer erkauft werden muss. Im Februar weiteten sich die Kämpfe nach Norden in das Gebiet der Schilluk und damit in Richtung der grenznahen Ölfelder aus. In der Provinz Upper Nile mit der Hauptstadt Malakal war es seit 2006 immer wieder zu Verteilungskämpfen zwischen lokalen Dinka und Schilluk gekommen, die auch in den derzeitigen Kämpfen eine Rolle spielen.
Wie zuvor schon in anderen umkämpften Städten dürfte es auch in Malakal zu schweren Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gekommen sein. Das Personal des lokalen SOS-Kinderdorfs, das sich mit den Kindern in das UN-Quartier in Malakal flüchtete, berichtete Anfang Mai, dass sich dort bei ihrer Ankunft bereits »Zehntausende weitere Flüchtlinge« befanden. In den Lagern der Zivilisten, die sich unter den Schutz der UN begeben hatten, scheinen schreckliche hygienische Bedingungen zu herrschen. Nyanyul Look, eine Mutter des SOS-Kinderdorfs, berichtet: »Wir hatten zu wenig Wasser und zu wenige Toiletten. Ich hatte furchtbare Angst, dass eine Seuche ausbrechen würde. Außerdem war es kaum möglich, bei dieser Masse an verschreckten Menschen unsere Kinder im Auge zu behalten, und wir Mütter waren ständig in Sorge, dass uns eines abhanden kommen würde.«

Seit erneute Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien im April scheiterten, dauern die Kämpfe an. Am 15. und 16. April massakrierten Rebellen bei der Rückeroberung der Stadt Bentiu im Unity State mindestens 200 Menschen, die sich in die Kali-Balle-Moschee geflüchtet hatten. Über ein lokales Radio wurden Kämpfer der Nuer dazu aufgerufen, Dinka-Frauen zu vergewaltigen und Dinka zu ermorden. In einem UN-Bericht hieß es, dass zwar einige Kommandanten der Opposition zur Einheit gemahnt und sich gegen den Tribalismus ausgesprochen, andere allerdings auch explizit zur Gewalt gegen Dinka aufgerufen hätten. Die Ereignisse von Bentiu deuten darauf hin, dass der Konflikt mit zunehmender Dauer stärker ethnisiert zu werden droht. Eine solche Ethnisierung würde jedoch die Gefahr weiterer Spaltungen der Opposition in sich bergen. Das könnte die Zahl der militärischen Akteure erhöhen.
Dinka, Nuer und Schilluk sind nur die größten der ethnischen Gruppen des Südsudan. In der seit 2011 vom Sudan unabhängigen Republik leben über 80 ethnische Gruppen. Bereits vor Beginn des Bürgerkrieges kam es mehrfach zu ethnisierten Konflikten zwischen Murle und Nuer, Dinka und südsudanesischen Arabern sowie Dinka und Schilluk. Es handelte sich jedoch meist um regional begrenzte Kämpfe und Massaker. Seit Dezember aber entgleiten immer größere Territorien der Kontrolle des Staates und größere Städte werden in die Kampfhandlungen einbezogen, entsprechend steigt die Zahl der Opfer.
Anfang Mai kamen nun in Addis Abeba erneut die Kontrahenten Salva Kiir und Riek Machar zu Gesprächen zusammen. Am 6. Mai meldete die Sudan Tribune, dass sich der Präsident und sein ehemaliger Stellvertreter auf einen Waffenstillstand und die Bildung einer gemeinsamen Übergangsregierung geeinigt hätten. Kiir sicherte auch die Kooperation mit der UNMISS (UN Mission in South Sudan) zur Beendigung der Gewalt zu. Am Freitagabend voriger Woche unterzeichneten beide Parteien schließlich einen Friedensvertrag. Doch einige Stunden später wurde bereits von neuen Kampfhandlungen berichtet. Die Voraussetzungen für einen Waffenstillstand sind nicht die besten. Veränderungen in der politischen Ökonomie des Landes waren bisher nie Gegenstand von Verhandlungen. Die im Südsudan dominierende Mischung aus Neoliberalismus, Rentenökonomie und Tribalismus liefert keine Basis für die Entwicklung einer funktionierenden Staatlichkeit. Trotzdem scheint es derzeit kaum eine Alternative zu weiteren Verhandlungen zu geben. Wird der Krieg fortgesetzt, droht schließlich der Zerfall des Südsudan mit noch wesentlich mehr zivilen Opfern.