Der Roman »Americanah« von Chimamanda Ngozi Adichie

Sie hat die Haare schön

Chimamanda Ngozi Adichie hat mit »Americanah« einen Roman über eine junge Nigerianerin geschrieben, die in die USA ein­wandert. Sie hat dort schon bald Erfolg und eine Green Card. Doch in ihrem Leben fehlt etwas.

Ifemelu wird in Nigeria mit schwarzer Haut geboren. Doch zu einer Schwarzen wird sie erst, als sie wegen ihrer überragenden schulischen Leistungen ein Stipendium erhält und in die USA einreist. Ausgerechnet im Land der unbegrenzten Möglichkeiten verwandelt sich die Hautfarbe, über die sie in der Heimat nie nachgedacht hat, in ein Kainsmal. In Amerika wird ihr schlagartig klar, dass sie in der gesellschaftlichen Hackordnung fortan ganz unten steht: unter den eingewanderten Juden, Asiaten und Latinos und unter den WASPs, den tonangebenden weißen Protestanten, sowieso. Will man Erfolg haben, muss man sein Schwarzsein kaschieren. Eine wohlmeinende Tante erteilt den Rat, Ifemelu solle endlich ihre Zöpfchen loswerden und ihr krauses Haar vom Friseur glätten lassen. Sie folgt der Aufforderung mit Skepsis, doch der Erfolg stellt sich sofort ein: Kurze Zeit später wird Ifemelu nach vielen Fehlschlägen endlich ein angemessener Job angeboten.
Es ist nicht nur lehrreich, sondern auch aufregend, zu beobachten, wie es der 1977 in Enugu geborenen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie gelingt, das geschmähte Afrohaar ihrer jungen Heldin so kunstvoll aufzutürmen, dass es sich in eine Metapher für das Leben einer Schwarzen in postkolonialen Zeiten verwandelt. Konsequent wird die verzweigte Handlung des Romans von einer Szene eingerahmt, die Ifemelu beim Besuch eines US-amerikanischen Haarsalons zeigt, in dem die schwarzen Angestellten mit Leidenschaft über ihre Aufstiegschancen in ihrem Gastland debattieren, während pausenlos Fetzen aus Nollywood-Filmen durch den Raum schwirren (quantitativ hat die nigerianische Filmindustrie Nollywood Hollywood inzwischen überflügelt). Nachdem die Heldin nach der Glättungsprozedur plötzlich büschelweise Haare verloren hat, ist die Pflege ihrer Frisur für sie zu einer identitätsstiftenden politischen Geste avanciert. Zur Offenbarung wird für Ifemelu eine Website, auf der Frauen stolz ihr Afrohaar vorführen: »Sie hatten lange Dreadlocks, kleine Afros, große Afros, eingedrehte und geflochtene Zöpfe, auffällige dicke Locken. Sie nannten Glättungsmittel ›cremiges Crack‹. Sie hatten die Nase voll davon, so zu tun, als wäre ihr Haar, was es nicht war (…). Sie erschufen eine virtuelle Welt, in der lockiges, krauses, gekräuseltes, wolliges Haar normal war.«
Ihre Erfahrungen als afrikanische Einwanderin machen Ifemelu bald zur erfolgreichen Bloggerin, deren dem eigenen Alltag entnommenes Material unerschöpflich scheint. Dabei kommt ihr eine Eigenschaft zugute, die einst bereits die Mitschüler in Lagos irritiert hat: »Sie streitet. Sie macht den Mund auf. Sie ist nie einer Meinung mit dir.« Ifemelu hat die Gabe, alltägliche Begegnungen präzise zu analysieren. In ihren Beschreibungen schont sie niemanden, weder Weiße noch Schwarze noch sich selbst. Als ihr ein äthiopischer Taxifahrer vorwirft, sie verrate ihre afrikanische Herkunft, weil sie eine viel zu enge Bluse trage, registriert sie sogleich die Empörung, die in ihr aufsteigt. Doch sie ist auch ehrlich genug, sich ihre gleichzeitig aufkommende Sorge um ihr Aussehen einzugestehen: Ihr erster Gang führt zur Toilette, wo sie fieberhaft überprüft, ob die Bluse womöglich wirklich zu eng sitzt. Empörung und Selbstironie kommen zusammen in einem komplexen Gefühl.
Keineswegs erschöpft sich Ifemelus Denken in den plakativen Provokationen ihrer Blogs – das scheinbar stimmige Selbstbild der furchtlosen Kritikerin, die selbst Afroamerikaner und wohlmeinende Liberale nicht verschont, wird immer wieder konterkariert. Lakonisch schildert Adichie den Moment, in dem sich die seit Wochen ausgehungerte Ifemelu in das Bett eines dubiosen Tenniscoachs legt, um wenigstens die Miete bezahlen zu können. All ihre Schlagfertigkeit erzielt plötzlich keine Wirkung mehr. Sie fühlt sich besudelt, fällt in eine »Suppe aus Nichts«. Obinze, ihren Freund, wird sie von diesem Tag an nicht mehr anrufen: »Zwischen ihr und dem, was sie fühlen sollte, tat sich ein Abgrund auf.« Als eine Freundin ihr auf den Kopf zusagt, sie leide an Depressionen, reagiert Ifemelu empört. Nur verweichlichte Amerikaner haben Depressionen – wie soll eine Afrikanerin etwas empfinden, wofür es in Afrika keine Worte gibt?
»Americanah« ist eine Liebesgeschichte, deren eigentliche Handlung Jahre nach dem Bruch mit Obinze einsetzt. Zwar hat sich Ifemelu gut in den USA eingelebt: Ein schwarzer Universitätsprofessor namens Blaine, der Bio-Granatapfelsaft trinkt und die New York Times liest, aber auch Curt, ein blendend aussehender Weißer mit steinreicher Mutter, konkurrieren um sie. Doch auf Schritt und Tritt spürt sie ein Unbehagen – einen an Selbstzerstörung grenzenden Impuls, die Behaglichkeit ihrer Green-Card-Sicherheit zu zerstören. So schickt Adichie ihre Heldin schließlich in die Heimat zurück, wo sie Obinze suchen wird, der nach einer brutalen Abschiebung ein glückliches Leben als Familienvater in Nigeria zu führen scheint. In Lagos lernt Ifemelu die neuen angesagten Songs kennen und wirft einen Blick auf die daheimgebliebenen jungen Frauen der größer werdenden Mittelschicht, deren Arbeit trotz einer guten Ausbildung ökonomisch kaum honoriert wird. Viele von ihnen leben notgedrungen in einer Wartestellung: Sie reisen als heimliche Geliebte reicher Öl- oder Immobilienbosse mit Designer-Handtasche in der Business Class, obwohl ihr Konto fast leer ist. Dass zwischen den finanziell abhängigen Geliebten und der auslandserfahrenen Ifemelu schnell die Fetzen fliegen, liegt nahe. Das Leben in den schicken Clubs von Lagos ist geprägt von Sticheleien zwischen den Daheimgebliebenen und den privilegierten Rückkehrerinnen mit perfektem New Yorker Akzent, die sich nach Smoothies und einer aktiven Zivilgesellschaft sehnen.
Adichie erzählt die Liebesgeschichte zwischen Ifemelu und Obinze gekonnt, doch zu den Glanzstücken in »Americanah« zählen die messerscharfen Beobachtungen des US-amerikanischen und nigerianischen Alltags aus der Sicht einer Außenseiterin, die in Amerika noch nicht und in Nigeria nicht mehr ganz dazugehört. Diese lebt in einem fragilen Zwischenreich, wie es von vielen gebildeten Afrikanern, die aus schlichtem Mangel an Möglichkeiten ihre Heimatländer verlassen haben, bewohnt werden muss. In ihrem Nachdenken über so nebensächlich wirkende Phänomene wie Beyoncés Frisur, Obamas Partnerwahl und Angelina Jolies Afrika-Engagement blitzen Erkenntnis und Weisheit auf. Der Welt der Boko Haram ist Ifemelus Nigeria fern: Als Kind einer ambitionierten Igbo-Familie ist sie behütet aufgewachsen, »mit Büchern von Enid Blyton und anglophilen Lehrern (…), die auf den BBC World Service schworen«. Adichies Roman ist »dicht, luftig und großartig« – wie Ifemelus Haar, nachdem es sich vom Glättungsschock erholt hat.

Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah. Aus dem Englischen von Anette Grube, S. Fischer, Frankfurt/Main 2014, 608 Seiten, 24,99 Euro