Gabriele del Grande im Gespräch über sein Filmprojekt: »Io sto con la sposa«

»Was wir getan haben, ist illegal, aber legitim«

Fünf syrische Flüchtlinge ohne Papiere, eine inszenierte Hochzeit, eine 3 000 Kilometer lange Reise von Mailand nach Stockholm und fünf illegale Grenzübergänge innerhalb der europäischen Festung: Davon handelt der Dokumentarfilm »Io sto con la sposa« (Ich gehöre zur Braut) von Antonio Augugliaro, Gabriele del Grande und Khaled Soliman al Nassiry. Es ist mehr als ein Film: Einen »Akt des zivilen Ungehorsams« nennen ihn die Autoren, die, getarnt als Hochzeitsgesellschaft, mit 17 weiteren Komplizen, vier Tage lang zu Fluchthelfern wurden, um ihre syrischen Freunde durch Europa zu schleusen, damit sie in Schweden Asyl beantragen konnten. Gabriele del Grande erzählt, wie es war.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich als Hochzeitsgesellschaft zu tarnen?
Dazu muss man kurz die aktuelle Situation skizzieren: Seit einem Jahr erreichen immer mehr syrische Flüchtlinge die italienischen Küsten. Diese Menschen wollen nicht in Italien bleiben, ihr Ziel ist Nordeuropa. In der Regel passiert Folgendes: Sie kommen mit dem Boot an, werden von den italienischen Behörden in Aufnahmezentren gebracht, und sie flüchten, bevor man ihnen die Fingerabdrücke abnimmt. Sie steigen dann in einen Zug Richtung Norden und kommen meistens bis Mailand. Dort bezahlen sie Schlepper, die sie nach Deutschland oder Skandinavien bringen. Rund 1 000 Euro pro Person kostet eine solche Reise. Das ist der allgemeine Hintergrund. Zu unserer Idee: Co-Regisseur Kahled und ich gingen oft zum Mailänder Hauptbahnhof, der mittlerweile zur Anlaufstelle für viele Syrer geworden ist, wir wollten diese Leute kennenlernen, mit ihnen sprechen, ihre Geschichten hören. Dort haben wir dann Abdallah, einen jungen Studenten aus Damaskus, kennengelernt, wir sind Freunde geworden, wir saßen oft zusammen und redeten über seine Pläne, nach Schweden zu kommen. Die Idee, eine Hochzeit zu inszenieren, kam eines abends nach einem gemeinsamen Essen und war zunächst auch nur halb ernst gemeint. Wir schliefen eine Nacht drüber und am nächsten Tag rief mich Antonio, der andere Co-Regisseur, an und meinte: »Leute, es ist die genialste Idee, die ich jemals gehört habe, lasst uns das versuchen!« So wahnsinnig wie wir waren, haben wir es gemacht. Und Abdallah wurde unser »Bräutigam«.
Ihr Motiv war also zunächst politisch?
Zunächst wollten wir nur unseren Freunden helfen. Die politische Dimension dessen, was wir vorhatten, war uns natürlich von Anfang an bewusst. Wir wollten sie kommunizieren und so ist die Idee des Films und der damit verbundenen Kampagne gekommen.
Ist der Film eine reine Dokumentation oder enthält er auch fiktionale Elemente?
Der Film dokumentiert eine fiktive Geschichte. Wir haben die Hochzeit erfunden, da wir ohne diesen Trick nie nach Schweden gekommen wären. Aber es gab kein Drehbuch. Das, was wir im Rahmen dieser Reise gefilmt haben, ist eins zu eins so geschehen. Also die Geschichte dieser Gruppe von Wahnsinnigen – Italienern, Syrern, Palästinensern, manche mit Papieren, manche ohne – auf dem Weg nach Schweden, die ist hundertprozentig wahr.
Können sie etwas über die Gäste dieser Hochzeit erzählen, eine Geschichte vielleicht?
Wir waren insgesamt 23, fünf Syrer, sechs Leute, die gefilmt haben, und der Rest waren einfach Freunde, die die Gäste gespielt haben. Die Braut hat zum Beispiel eine palästinensische Syrerin aus Damaskus gespielt, die seit sechs Monaten legal in Spanien lebt. Die fünf Syrer sind neben Abdallah, dem Bräutigam, ein älteres Ehepaar und ein Vater mit seinem zwölfjährigen Sohn, Manar. Er und sein Vater sind palästinensische Syrer vom belagerten Flüchtlingscamp Yarmouk bei Damaskus, wo es im vergangenen Jahr sogar Hungertote gab. Manar ist ein ganz großes Rap-Talent. In Mailand hat er in einem Tonstudio mit befreundeten Rappern sein erstes Lied aufgenommen. Während unserer Reise hat er in Marseille ein spontanes Konzert gegeben, in einem Lokal, in dem wir eine Rast eingelegt hatten.
Nach Italien kam er mit seinem Vater. Sie blieben zwölf Tage auf dem Meer, für eine Überfahrt –, sie waren von Ägypten losgefahren – die in der in der Regel nur fünf Tage dauert. Irgendwie haben sie es geschafft, nach Sizilien zu kommen, und dann die übliche Geschichte: Bevor ihnen die Fingerabdrücke genommen wurden, sind sie aus dem Heim abgehauen, um sich auf dem Weg nach Schweden zu machen. Das erste Mal haben sie es mit Schleppern versucht. In Mittel­italien haben sie einen Syrer bezahlt, der Touristenbusse mietet, um Flüchtlinge nach Schweden zu schmuggeln. 50 Leute pro Bus, 1 000 Euro pro Person. So funktioniert das, das ist allgemein bekannt. Der Bus, in dem Manar und sein Vater saßen, wurde aber an der Grenze zu Frankreich von der Polizei angehalten, die dem Schlepper hinterher war. Dann wurden den beiden die Fingerabdrücke genommen und seitdem saßen sie in Mailand fest, da sie kein Geld mehr hatten, um noch einmal einen Schlepper zu bezahlen. Am Mailänder Bahnhof haben wir sie kennengelernt. Als wir mit ihnen über die Inszenierung redeten, war Manar sofort enthusiastisch, sein Vater dagegen skeptisch. Am Ende hat er zugesagt, weil er einfach kein Geld mehr hatte.
Sie bezeichnen den Film als eine »Selbstanzeige«. Was riskieren Sie?
Juristisch könnten wir wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung angezeigt werden. Wer fünf Leute ohne Papiere durch Europa schleust, dem drohen zwischen fünf bis 15 Jahre Gefängnis.Technisch gesehen sind wir nicht auf frischer Tat ertappt worden. Und wir haben auch von niemandem Geld verlangt, so dass man uns nicht vorwerfen kann, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Also einen Prozess würde es geben, wenn jemand uns anzeigt. Was wir getan haben, ist illegal, aber legitim.
Was riskieren die Leute, die mit Ihnen unterwegs waren?
Nichts. Die meisten syrischen Flüchtlinge, die in Italien ankommen, nehmen genau diese Route. Normalerweise zahlen sie Schleppern viel Geld dafür. Sie riskieren nichts, weil sie als syrische Flüchtlinge in Europa ein Recht auf Asyl haben. Ob sie in Schweden bleiben oder nach Italien zurückgeschickt werden, hängt nur davon ab, ob ihnen in Italien die Fingerabdrücke genommen wurden. Wenn nicht, können sie in Schweden Asyl beantragen.
Wie war es im Fall der Menschen, denen Sie geholfen haben?
Manar und sein Vater wurden zurückgeschickt. Das geht so: Wenn in Italien die Fingerabdrücke erfasst werden, kommen sie in die Datenbank der Dublin-II-Länder, die Eurodac. Wenn die schwedischen Behörden das sehen, schicken sie die Leute zurück.
Was wird jetzt aus den beiden?
Sie haben in Italien Asyl beantragt. Ich glaube, sie haben nächste Woche das Interview, und es würde mich wundern, wenn das Ergebnis negativ wäre, denn momentan gewähren alle europäischen Länder syrischen Flüchtlingen irgendeine Form von Schutz.
Was für ein Leben erwartet die anderen in Schweden?
Die anderen, also das Ehepaar und Abdallah, haben schon in Schweden Asyl bekommen. Dort gibt es eine große Community syrischer Flüchtlinge. Die Leute, die mit uns unterwegs waren, hatten dort Freunde und Menschen, die sie schon aus Damaskus kannten. Manche von ihnen sind mit dem Flugzeug gekommen, weil sie sich den Flug und ein Visum leisten konnten. Das ist aber eine Minderheit, die meisten werden durch das europäische Grenzsystem kriminalisiert und haben dann keine andere Wahl, als Schlepper zu bezahlen. Unsere Freunde wussten alle schon vorher, zu wem sie in Stockholm gehen, wir haben sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.
Warum haben Sie sich für diese Form von Hilfe entschieden, anstatt zum Beispiel eine Asyl-Kampagne in Italien zu initiieren?
Weil sie nicht in Italien bleiben wollten. Sie sehen hier keine Zukunft. Warum sollten sie hier bleiben, auch nur für die Zeit, die nötig ist, den Asylantrag zu stellen und bearbeiten? Sie bekommen das Stück Papier und dann kümmert sich niemand mehr um sie. In Schweden, wo sie ein soziales Netz und eine funktionierende Infrastruktur haben, ist es anders. Sie müssen sich das so vorstellen: Es handelt sich um schwer traumatisierte Menschen, selbstverständlich wollen sie dorthin, wo sie ein wenig sozialen Bezug haben. Aber der politische Punkt ist folgender: Alle müssen in die Lage versetzt werden, sich frei in Europa zu bewegen. Es geht um die Ablehnung der Dublin-II-Logik, der staatlichen Kontrolle über die Körper von Menschen, die nicht die Freiheit haben, sich selbst auszusuchen, wo sie leben möchten. Warum sollen andere entscheiden, wie sich diese Menschen zu bewegen haben?
Sie erzählen eine ungewöhnliche Geschichte über Krieg und Immigration, die sogar ein Happy End hat. Man lacht auch viel im Film, stimmt das?
Ja, das stimmt. Wir wollten den bedrückenden Ton vermeiden, in dem diese Art von Geschichten oft erzählt werden. Wir wollten unsere Freunde einmal nicht als Opfer zeigen, sondern als handelnde Personen, die versuchen, an ihrer Situation etwas zu ändern. Die Angst war groß, und gleichzeitig hatten wir Spaß zusammen. Ich sehe da keinen Widerspruch. Ich könnte Ihnen von Momenten in Syrien erzählen, in denen ich mit meinen Gastgebern zu Hause eingesperrt war und wir haben gesungen und getanzt wie die Verrückten, um nicht an die Bomben zu denken. Tragik und Komödie gehen im Film, wie im Leben, sehr oft zusammen. Unsere Freunde wussten es viel besser als wir.
Der Film ist ein Crowdfunding-Projekt. Wann wird er fertig sein?
Wir möchten im Juni damit fertig werden, da wir uns für das Filmfestival in Venedig bewerben wollen. Das Crowdfundig war in den ersten zehn Tagen nach Bekanntgabe des Projekts wirklich überwältigend. Das zeigt uns, dass es viele Menschen gibt, die an den Traum eines offenen Europa glauben.

Website zum Film »Io sto con la sposa«