Die Annäherung von CDU/CSU an die AfD

Konservative für Deutschland

In CDU und CSU herrscht Aufregung. Denn Rechtskonservative in den Unionsparteien rufen zur Zusammenarbeit mit der »Alternative für Deutschland« auf – gegen den Willen der Bundeskanzlerin.

Wo ist die alte CDU hin? Und wohin die traditionsbewusste CSU? Sind sie verschwunden, haben sie sich erfolgreich transformiert, verbergen sie sich nur? Vielleicht sind sie einfach in einer anderen Partei aufgegangen. Diese hat einige Erfolge vorzuweisen. Die Alternative für Deutschland (AfD) wurde bei den Europawahlen von über zwei Millionen Wahlberechtigten gewählt und hat sieben Prozent aller gültigen Stimmen erhalten. Damit fiel das Ergebnis sogar besser aus, als die Partei selbst erwartet hatte. Bei der Bundestagswahl 2013 scheiterte sie immerhin nur sehr knapp an der Fünf-Prozent-Hürde.
Die FDP hingegen, als deren Konkurrentin die AfD sich begreift und häufig in den Medien dargestellt wird, hat bei der Europawahl nicht einmal die Hälfte dieser Stimmen erhalten, weniger als eine Million Menschen wollten sich von ihr in Brüssel vertreten sehen. In der AfD finden sich jedoch gar nicht so viele ehemalige FDP-Anhänger. Der nunmehrige AfD-Europaabgeordnete Hans-Olaf Henkel, der ehemalige Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, unterstützte zwar früher finanziell und politisch die FDP, war aber nie Mitglied dieser Partei und distanzierte sich 2011 von ihr.

Alexander Gauland dagegen, der unter dem Ministerpräsidenten Walter Wallmann (CDU) Leiter der Hessischen Staatskanzlei war, ist nun Spitzenkandidat der AfD für die brandenburgische Landtagswahl im September. Mehrere weitere hochrangige CDU-Mitglieder sind wegen der Haltung von CDU und CSU zur Europäischen Währungsunion und der derzeitigen Familien- und Einwanderungspolitik von Bundeskanzlerin ­Angela Merkel zur AfD gewechselt. Merkel hat in den vergangenen Jahren in der CDU für politische Veränderungen gesorgt und Lieblinge der Konservativen wie Roland Koch und den Markt­radikalen Friedrich Merz konsequent aus der Parteiführung verdrängt. Das sorgte für Unruhe in den rechten Kreisen der CDU, die sich ohnehin kaum damit abfinden konnten, dass die Partei von Adenauer und Kohl nun von einer Frau geführt wurde, die in der DDR sozialisiert worden war.
Die AfD hat sich hingegen als ein Sammelbecken für Nationalisten und EU-Kritiker, für D-Mark-Fanatiker und Homophobe, für Zuwanderungsgegner und evangelikale Familienpolitiker erwiesen – also als das, was sich viele Rechte, die ehemals der CDU anhingen, für eine konservative Partei wünschen. Die Bestsellerautoren Thilo Sarrazin, Heinz Buschkowsky und Akif Pirinçci sind zwar keine Mitglieder der AfD – Sarrazin und Buschkowsky sind in der SPD –, doch was sie schreiben, gefällt den Wählerinnen und Wählern der AfD. Denn auch sie sehen sich bedroht von EU-Kommissaren, Muslimen, Homosexuellen und Gender-Politikern, die vermeintlich stets und überall die »Gleichmacherei« vorantreiben wollen. Kurzum: Die AfD ist ein Sammelbecken für all jene bürgerlich-konservativen Kräfte, deren Ansichten und Lebensführung nicht mehr wie vor 40 Jahren vorherrschend sind, sondern von der Entwicklung des Kapitalismus austauschbar und entbehrlich gemacht wurden – ein Zusammenhang, der diesen enttäuschten, verunsicherten und vergrämten Bürgern selbst verborgen bleibt.
Vor diesem Hintergrund entwickelte sich in der vergangenen Woche eine Debatte, in der sich vor allem jene zu Wort meldeten, die die CDU zwar nicht verlassen wollen, jedoch sehr genau darauf achten, wie sich die AfD entwickelt. Angela Merkel hatte zwar mit großem Nachdruck deutlich gemacht, dass sie die AfD nicht als potentiellen Koalitionspartner für die CDU ansehe, doch viele rechtskonservative Funktionsträger widersprachen ihr angesichts der Ergebnisse der Europawahl entschieden. Der frühere hessische Fraktionsvorsitzende Christean Wagner etwa, der den »Berliner Kreis« mitbegründet hat, ein Sammelbecken der Rechtskonservativen in der CDU, vermeldete: »Ich bevorzuge eindeutig die FDP, aber halte es für einen taktischen Fehler, jetzt schon eine Zusammenarbeit mit der AfD für unmöglich zu erklären.« Klaus-Peter Willsch, der in der CDU-Fraktion weiterhin gegen die sogenannten Euro-Rettungsschirme agitiert, hatte ähnliches verlauten lassen.
Nun hat sich auch Erika Steinbach eingemischt. Sie sagte am Sonntag im Interview mit Spiegel online: »Spätestens seit der Europawahl ist klar, dass die AfD keine Eintagsfliege ist. Jenseits des Euro-Themas sehe ich in der Innen- und Gesellschaftspolitik viele Überschneidungen, sicher mehr als mit anderen Parteien.« Warum einige Wählerinnen und Wähler nun rechts von der CDU wählen, wusste sie auch: »Mit Projekten wie dem Mindestlohn oder der Rente mit 63 haben wir viele unserer Wähler regelrecht vor den Kopf gestoßen. Auch die doppelte Staatsbürgerschaft hatte die CDU früher immer kritisch gesehen. In Hessen hatten wir einst sogar eine Kampagne gegen den Doppelpass, die zur absoluten Mehrheit führte. Aber auch die Familien- und Gesellschaftspolitik hat zu Verunsicherung geführt. Die Veränderung dieser Positionen sind überwiegend Koalitionsnotwendigkeiten. Das führt dazu, dass sich mancher Wähler bei uns nicht mehr gut aufgehoben fühlt.« Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen dürfte sehr wohl wissen, dass sie mit solchen Aussagen ihre Parteivorsitzende desavouiert.
Doch aus koalitionstaktischen Gründen scheint Steinbach einen solchen Angriff gern zu riskieren. Denn eine Koalition mit der SPD führt nur zu einer weiteren Veränderung der Positionen. Für andere Koalitionen aber steht die FDP bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im August und im September nicht zur Verfügung, da sie in diesen Bundesländern kaum in den Landtag gelangen wird. Die Grünen hingegen, die gute Chancen haben, in all diesen Landtagen vertreten zu sein, sind für die verbliebenen Konservativen in der CDU der Partei gewordene Teufel. Das, worunter Steinbach schon im politischen Bündnis mit der SPD leiden muss, wird sie in Koalitionen mit den Grünen kaum noch ertragen können.
Die AfD hat in den drei Bundesländern – nicht nur aufgrund des Wahlerfolges bei der Europawahl – gute Chancen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Dass es immer wieder zu Tumulten innerhalb der Partei kommt, Parteimitglieder sich als Rechtsextreme erweisen oder etwa der thüringische Spitzenkandidat Matthias Wohlfarth sogar von den eigenen Parteimitgliedern als »völkischer Christ« bezeichnet wird, dürfte Steinbach und andere auch weiterhin nicht stören. Aus Angst um ihre Partei und deren Koalitionsmöglichkeiten und aus heimlicher Sympathie für das Programm der AfD dürften die Rechtskonservativen in der CDU einiges tun, um die AfD koalitionsfähig zu machen – und letztlich selbstverständlich die Anhänger der AfD an die CDU zu binden, um somit ihren eigenen, immer machtloseren rechten Flügel in der CDU zu stärken.

Ob dies gelingen wird, ist allerdings fraglich. Für die AfD sieht es bei den kommenden Landtagswahlen zwar gut aus  – und in jedem Fall besser als für die FDP  –, doch dass es für den Einzug in alle Landtage reicht, ist noch nicht aus­gemacht. Auch könnte es für die oft politisch unerfahrene Funktionäre der AfD schwierig werden, arbeitsfähige Fraktionen zu bilden. Zudem könnte die AfD, selbst wenn ihr all das gelingt, unter Umständen doch nur in Sachsen als Koalitionspartner dienen, in den beiden anderen Bundesländern sieht es derzeit nicht so aus, als ob die CDU eine deutliche Mehrheit der Stimmen erringen könnte. Mögen also Steinbach und ihre Kampfgefährten ein bisschen Staub aufwirbeln – Angela Merkel wird das tun, was sie am besten kann: abwarten. Ihre Ablehnung von Koalitionen mit der AfD dürfte jedoch genauso verbindlich sein wie ihre Aussagen zum Atomstrom. Sie redet mal so, mal so – Hauptsache, sie regiert am Ende.