Thailand nach dem Putsch der Militärs

Drei Finger gegen die Putschisten

Die thailändischen Generäle behaupten, ihr Putsch diene der nationalen Versöhnung. Doch der erneute Sturz einer gewählten Regierung wird die Demokratiebewegung weiter radikalisieren.

Dreht sich Thailand im Kreis? 2006 entledigten sich die traditionellen Führungsschichten eines lästigen Modernisierers – Thaksin Shinawatra – mit einem Putsch. Doch die nachfolgenden Wahlen gewannen immer wieder die Thaksin nahestehenden Parteien. Acht Jahre später wurde nun Thaksins Schwester Yingluck mittels eines Putsches aus dem Amt gejagt. Neuwahlen sollen erst Ende 2015 stattfinden. Der jüngste Putsch ist aber mehr als eine einfache Wiederholung. Vieles deutet darauf hin, dass das Militär den Schlag gegen die Fraktion um Thaksin zu Ende führen will, um deren Rückkehr an die Regierungsmacht für immer auszuschließen.

So ist das Vorgehen des Militärs weitaus repressiver und härter als 2006. Das Kriegsrecht wurde verhängt, es gibt eine Ausgangssperre und ein Versammlungsverbot, überdies geht der selbsternannte »Nationale Rat für Ruhe und Ordnung« mit einer Verhaftungswelle gegen Thaksin nahestehende Politiker, kritische Akademiker und politische Aktivisten vor. Diese werden schriftlich vorgeladen und müssen sich den Militärgerichten stellen. Sie werden in der Regel einige Tage festgehalten, verhört und eingeschüchtert. Erst wenn sie schriftlich versprechen, nicht mehr »aufwiegelnd« tätig zu werden oder sich zu äußern, werden sie wieder auf freiem Fuß gesetzt. Andere, vor allem Rothemdenaktivisten aus dem Norden und Nordosten, werden verhaftet und von Militärgerichten verurteilt.

Dieses repressive Vorgehen soll die Führungspersonen der Phuea-Thai-Partei und der Rothemden einschüchtern. So wurden die gestürzte Ministerpräsidentin Yingluck sowie mehrere Minister vom Militär vorgeladen. Zu den verhafteten und unter Drohungen freigelassenen kritischen Akademikern gehören der Geschichtsprofessor Sut­hachai Yimprasert, der die der unter Intellektu­ellen einflussreichen Zeitschrift Thanapol Eawsakul (Unter einem Himmel) herausgibt, der bekannte Journalist Pravit Rojanapruk, Tewarit Maneechay, Journalist der kritischen Web-Zeitung Prachatai, und Mitglieder der »Gruppe der kritischen Juristen« (Nitirat). Die komplette Führungsriege der Rothemden wurde verhaftet, ebenso die Gewerkschafterin Jittra Cotchadet und der Anführer einer Thaksin-kritischen Fraktion der Rothemden, Sombat Boongam-anong.

Die Militärjunta macht immer mehr Gebrauch vom Gesetz gegen Majestätsbeleidigung, was hysterische und absurde Züge annimmt. Ein Student wurde verhaftet, nachdem er an einer Protestveranstaltung teilgenommen hatte, und wird nun wegen Äußerungen auf seiner Facebook-Seite festgehalten. Ein Taxifahrer, der mit einem Fahrgast über die politische Situation diskutierte, wurde von diesem wegen Majestätsbeleidigung angezeigt und verhaftet. Sogar im Exil lebende Thais, die wegen Majestätsbeleidigung gesucht werden, wie die Arbeiteraktivistin Junya Lek Yimprasert und der Sozialist Ji Giles Ungpakorn, bekamen eine Vorladung. Sie sollen bis zum 12. Juni in Bangkok persönlich beim Militärgericht erscheinen.

Ähnlich rabiat ist die Medienzensur. Facebook und Hunderte von anderen Websites wurden vorübergehend blockiert. Geheimdienstler infiltrieren Chatrooms, um kritische Stimmen und Verabredungen für Proteste herauszuschnüffeln. Mehrere kritische Fernsehsender wurden geschlossen, der Rest muss sich der Zensur des Militärs beugen. Am härtesten wird aber gegen die lokalen Radiosender vorgegangen, die zum beliebtesten Medium der Rothemden geworden sind. Etliche sind geschlossen und ihre Betreiber verhaftet worden.

Angesichts der vielen Putsche (31 versuchte oder erfolgreiche seit 1932) in Thailand gehen viele Beobachter von einem zirkulären Muster aus, bei dem Machtübernahmen des Militärs als kurze Interventionen in einer sonst demokratischen Entwicklung dargestellt werden. So rechtfertigen auch die neuen Putschisten ihr Handeln. General Prayut Chan-o-cha und die anderen Generäle, die fast alle aus der ultraroyalistischen Eliteeinheit »Queens Guard« stammen, wollen angeblich nur die Ordnung wiederherstellen, um einen Prozess der nationalen Versöhnung zu ermöglichen und dann zur Demokratie zurückzukehren. Sie hoffen, durch die Zerschlagung der politischen Strukturen der Phuea-Thai-Partei einerseits und die Einbeziehung von Gefährten Thaksins in den Versöhnungsprozess andererseits die Wiederauf­erstehung einer neuen Thaksin-Partei bei den vorgesehen Wahlen zu verhindern.

Prominente den Putsch kritisierende Akademiker wie die Politikprofessoren Thitinan Pongsudhirak aus Bangkok und Duncan McCargo aus Leeds raten dem Militärregime nun, sich möglichst schnell wieder zurückzuziehen und eine Übergangsregierung aus unabhängigen Technokraten einzusetzen, die einen Plan erarbeiten, der die »Rückkehr zur politischen Normalität« ermöglichen soll. Doch eine solche Rückkehr wird es nicht geben. Vielmehr setzt dieser Putsch eine neue, radikalisierende Dynamik in Gang. Ein Blick in die Geschichte Thailands zeigt, dass jede größere Mili­tär­aktion die thailändische Gesellschaft nachhaltig veränderte. Bei der Revolution 1932 putschten Offiziere und zivile Beamten gegen die absolute Monarchie und setzen eine Verfassung und das Wahlrecht durch. Das berühmte Demokratiedenkmal in Bangkok ließ General Phibun Songkhram zum Gedenken an diese Revolution errichten. Derzeit zelebrieren die Rothemden den Jahrestag als Geburt der thailändischen Demokratie.

Phibun wurde 1957 von General Sarit Thanarat mit einem Putsch abgesetzt. Sarit belebte die geschwächte Monarchie und legte den Grundstein für das royalistisch-militärische Netzwerk, das bis zum Aufstieg Thaksins das Land politisch und wirtschaftlich dominierte. 1973 konnte eine Massenbewegung von Studierenden und Arbeitern das Militärregime stürzen und eine Demokratisierung einleiten. Es entstanden neue Parteien, Gewerkschaften und Bauernorganisationen, die Streiks und Landbesetzungen durchführten. Der darauffolgende Putsch im Jahr 1976, bei dem mit Unterstützung des Königshauses Hunderte von Demokraten massakriert wurden, führte zur »Flucht in die Wälder«. Tausende Studenten schlossen sich der kommunistischen Guerilla an. Von den maoistischen Dogmen und undemokratischen Strukturen der kommunistischen Partei desillusioniert, kehrten viele zurück, um den Grundstein für die ländlich und »thai-kulturell« orientierten Zivilgesellschaft Thailands zu legen. Ein weiterer Putsch 1991 provozierte im folgenden Jahr den zweiten großen Demokratieaufstand Thailands, der wieder das Militärregime schlagen konnte. In den folgenden Jahren entstand das »Forum der Armen«, bei dem sich Tausende Bauern und Marginalisierte organisierten. An diesen historischen Linien orientieren sich heute die politisierten Massen Thailands.

Der Putsch 2006 brachte eine entscheidende neue Dynamik. So wurde aus der Protestbewegung gegen Thaksin, die bis dahin sehr breit und zum Teil progressiv ausgerichtet war und auch von Demokraten aus dem Jahr 1992 angeführt wurde, eine reaktionäre und demokratiefeindliche Bewegung. Im Gegenzug machte der Putsch aus Anhängern Thaksins politische Aktivisten. Die folgende Entmachtung gewählter, Thaksin nahestehender Regierungen mit juristischen Mitteln und vor allem das blutige Vorgehen des Militärs gegen die Rothemd-Proteste im Jahr 2010 radikalisierten die Rothemden weiter. Der jüngste Putsch wird diesen Prozess erneut vorantreiben.

Schon die ersten Reaktionen nach dem Putsch zeigen, dass er in Thailand eine explosive Dynamik auslösen könnte. 2006, als die Generäle Thaksin Shinawatra absetzten, schmückten die Soldaten ihre Panzer mit Blumen. Viele ließen sich mit den Soldaten fotografieren, um ihre Unterstützung zu signalisieren. Dieses Mal kursieren in den sozialen Medien Bilder, auf denen Menschen sich mit Soldaten ablichten lassen, dabei aber den Drei­fingergruß aus dem Film »The Hunger Games« (auf Deutsch »Tribute von Panem«) zeigen. Es sind Bilder der Rebellion, der Gruß symbolisiert den Widerstand gegen autoritäre Herrschaft.

In »The Hunger Games« probt die Unterschicht einen Aufstand gegen eine Elite, die ihren Reichtum zur Schau stellt und die verarmten Massen mit Repression und Militärgewalt vom Wohlstand ausschließt. Die Parallelen zu Thailand liegen auf der Hand. Das Militär verkennt die Lage, wenn es glaubt, das Problem durch die Zerschlagung des Parteiapparats Thaksins lösen zu können. Der Putsch findet in einer Situation statt, in der eine breite Bewegung schon vorhanden ist, deren Anhänger teils bereit sind, ins Gefängnis zu gehen. Die Auflösung der Phuea-Thai-Partei und das Kaltstellen der Führungsriege könnte die Entstehung neuer, von Thaksin unabhängiger poli­tischer Organisationen beschleunigen. Dieses Mal werden die Kämpfe nicht im Dschungel ausgefochten, sondern in den sozialen Medien, in den Einkaufszentren und auf den Straßen. Die vielen kleinen Flashmobs, die trotz des Versammlungsverbots überall stattfinden, sind die Vorboten einer neuen Demokratiebewegung Thailands.